Deutschland prüft Rüstungsexportstopp für Ägypten Islamisten trauen sich nicht aus Moschee
17.08.2013, 13:10 Uhr
Es war eine blutige Nacht in Ägypten, mit Straßenschlachten und 173 Toten - nun konzentriert sich der Konflikt auf den Ramses-Platz in Kairo. Hunderte Islamisten harren dort aus Angst vor aufgebrachten Anwohnern und Militärs in einer Moschee aus. Deutschland legt derweil das Genehmigungsverfahren für neue Rüstungsexporte ins nordafrikanische Land auf Eis.
I n der Moschee Al-Fateh am Ramses-Platz in der Kairoer Innenstadt fürchten Anhänger des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi ein neues Blutbad. Vor der Moschee haben sich Anwohner versammelt. Die Menschen sind offenbar aufgebracht, weil am Freitag aus der Menge der Islamisten heraus Schüsse abgegeben worden sein sollen.
Nach der Großkundgebung der Muslimbrüder auf dem Ramses-Platz am Freitag waren dort rund Tausend Islamisten von der Polizei eingekesselt worden. Trotz Ausgehverbotes harrten sie über Nacht in dem Gebetshaus aus.
Nach stundenlangen Verhandlungen hatten am Samstagmorgen erste Anhänger des entmachteten Mursi die Fateh-Moschee verlassen. Nun hielten sich noch rund 700 Menschen im Inneren auf, sagten Augenzeugen dem Nachrichtensender Al-Dschasira. Die verbleibenden Menschen hätten Angst vor den Sicherheitskräften und Schlägerbanden.
Am "Freitag der Wut" hatte es Straßenschlachten und insgesamt 173 Tote gegeben. Das Innenministerium teilte mit, 1004 Demonstranten festgenommen zu haben. Weitere blutige Zusammenstöße werden befürchtet. Die Islamisten riefen zu neuen Protesten auf - trotz des grünen Lichts der Übergangsregierung für die Sicherheitskräfte, auf gewaltbereite Demonstranten zu schießen.
"Bis wir den Putsch gebrochen haben"
Gehad al-Haddad, ein Sprecher der Muslimbruderschaft, schrieb auf Twitter: "Die Demonstrationen werden täglich von denselben Orten aus durch alle Provinzen Ägyptens weitergehen, bis wir den Putsch gebrochen haben". Erklärtes Ziel der Muslimbrüder ist die Wiedereinsetzung des Anfang Juli vom Militär entmachteten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande forderten ein Ende der blutigen Gewalt und mahnten angesichts der Krise eine enge Abstimmung der EU-Staaten an. Die Gewalt müsse "sofort" enden, erklärten Merkel und Hollande im Anschluss an ein Telefongespräch nach Angaben des Elysée-Palasts in Paris. Die Ägypter müssten wieder einen "Dialog" aufnehmen und "so schnell wie möglich auf den Weg der Demokratie zurückkehren".
Zudem müsse mit Blick auf die Gewalt "dringend" eine gemeinsame Haltung der EU-Staaten gefunden werden, erklärten Merkel und Hollande. Die EU-Außenminister sollten sich kommende Woche treffen, um über die "Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Ägypten" zu beraten und "gemeinsame Antworten" zu finden. Für kommenden Montag ist in Brüssel bereits ein Treffen der 28 EU-Botschafter angesetzt. EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton rief die Mitgliedsstaaten auf, "angemessene Maßnahmen" zu ergreifen.
Keine neuen Waffenexporte
Deutschland will zudem laut Merkel seine Beziehungen mit dem Land "auf den Prüfstand stellen". Wie das Bundespresseamt mitteilte, waren sich Merkel und Hollande einig, dass auch die EU ihre Beziehungen zu Ägypten "einer umfassenden Prüfung unterziehen solle". Die Gesellschaft im Land sei "tief gespalten". Konkrete Maßnahmen wurden nicht genannt.
Allerdings will die schwarz-gelbe Bundesregierung zunächst keine neuen Waffenexporte in das Land genehmigen. Die deutsche Rüstungsexportpolitik sei ohnehin restriktiv, sagte Außenminister Guido Westerwelle dem "Focus". "Und das wird so bleiben, gerade mit Blick auf diese aktuellen Entwicklungen." Dem Bericht zufolge prüft die Bundesregierung derzeit, wie mit bereits genehmigten, aber noch nicht erfolgten Waffenexporten umgegangen werden soll.
"Die Bundesregierung hat alle Entscheidungen über Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter nach Ägypten zurückgestellt", teilte das Wirtschaftsministerium mit. Im ersten Halbjahr 2013 lieferten deutsche Unternehmen dem Bericht zufolge Rüstungsgüter im Wert von rund 13,2 Millionen Euro an Ägypten. Es habe sich vor allem um Ausrüstungsgegenstände für die ägyptische Marine und um Telekommunikationstechnik gehandelt.
AA: "Sehr zugespitzte Lage" in Kairo
Das Auswärtige Amt rät wegen der "Unvorhersehbarkeit der Entwicklungen" von Reisen nach ganz Ägypten ab. Es gebe eine "sehr zugespitzte Lage" in der Hauptstadt Kairo, während in den Touristenzentren am Roten Meer die Situation "derzeit noch anders sei", sagte Außenamtssprecher Andreas Peschke. Er betonte, dass es sich um einen Reisehinweis und keine Reisewarnung handele. Das Ministerium geht davon aus, dass sich derzeit eine fünfstellige Zahl von Deutschen in Ägypten aufhält.
Verschiedene Reiseunternehmen sagten für die kommenden Wochen alle Reisen in das Land ab. Urlauber, die sich derzeit in den Baderegionen am Roten Meer befinden, können ihren Urlaub jedoch fortsetzen, da es dort unverändert ruhig sei, teilte der Reiseveranstalter Tui mit. Wer seinen Urlaub dennoch abbrechen möchte, soll sich laut Tui an die Reiseleitung vor Ort wenden. Bereits gebuchte Reisen können nach Angaben des Deutschen Reiseverbands umgebucht oder storniert werden. Der Stopp der Reisen hat auch Folgen für die Flugbranche: Lufthansa-Aktien sackten ab. Der Chemiekonzern BASF stellt seine Produktion in dem Land vorerst ein. Auch der Handelsriese Metro schloss Büros.
Amnesty fordert Untersuchung
Am Mittwoch hatten Sicherheitskräfte zwei zentrale Protestlager der Muslimbrüder in Kairo gewaltsam geräumt. Dabei wurden nach offiziellen Angaben mindestens 578 Menschen getötet und 3000 verletzt. Im Zuge der Auseinandersetzungen wurde über mehrere Landesteile der Notstand verhängt.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verlangte eine unabhängige Untersuchung des Blutbades vom Mittwoch. Die Reaktion der Behörden auf die Proteste sei "extrem unverhältnismäßig", erklärte die Organisation. Die Sicherheitskräfte hätten offenbar nicht zwischen friedlichen und gewaltbereiten Demonstranten unterschieden und auch keine Versorgung von Verletzten zugelassen.
Fördergelder eingefroren
Die Bundesregierung fror 25 Millionen Euro Fördergelder für Ägypten ein. Entwicklungsminister Dirk Niebel stoppte ein Kooperationsprogramm für Klima- und Umweltschutz, für das entsprechende Hilfsmittel vorgesehen waren. 15 Millionen Euro davon werden nun für syrische Flüchtlinge in Jordanien zur Verfügung gestellt. Neue Zusagen für Entwicklungsprojekte in Ägypten soll es vorerst nicht geben. "Dennoch lassen wir die ägyptische Bevölkerung nicht allein", erklärte Niebel. Die Bundesregierung werde das Land weiter bei der Wasser- und Energieversorgung sowie bei der Stärkung von Demokratie und Menschenrechten unterstützen.
US-Präsident Barack Obama verurteilte den harten Kurs der Übergangsregierung scharf und sagte eine gemeinsame Militärübung amerikanischer und ägyptischer Streitkräfte ab. Die USA hatten zuvor bereits ihre Bürger zum Verlassen des Landes aufgerufen. Der UN-Sicherheitsrat rief alle Parteien auf, die "Aggressionen" einzustellen.
Der saudi-arabische König Abdullah stellte sich in einer Fernseh-Ansprache auf die Seite der Machthaber in Kairo. Saudi-Arabien halte den Kampf gegen "Terrorismus, Kriminalität und Aufruhr" für gerechtfertigt, sagte der Monarch. Auch Jordanien unterstützte die ägyptische Regierung, die "den Rechtsstaat wiederherstellt" sowie "den Terrorismus bekämpft".
Quelle: ntv.de, rpe/dpa/AFP