Das Spiel mit dem Feuer Israel fürchtet "ägyptische Gefahr"
23.04.2012, 16:02 Uhr
Die Erdgaslieferungen sind Teil des vor 30 Jahren abgeschlossenen Friedensvertrags zwischen Ägypten und Israel.
(Foto: dpa)
In Israel reagiert man gereizt. Ägypten kündigt den Erdgas-Vertrag, der Teil des Friedensvertrags beider Länder war. Israels Finanzminister Steinitz sieht eine "empfindliche Störung der Friedensstimmung", Oppositionschef Mofas einen "präzedenzlosen Tiefpunkt" in den Beziehungen.
Die ägyptische an Israel ist wie eine Bombe eingeschlagen. In Israel galt zunächst der ägyptische Beschluss als erster Schritt zu einer Aufkündigung des seit dreißig Jahren bestehenden Friedensvertrags. Schließlich wurden die ägyptischen Erdgaslieferungen an Israel im Rahmen des Friedensvertrags und des israelischen Rückzugs von der Sinaihalbinsel 1982 vertraglich abgesprochen.
Ägypten lieferte das Erdgas aus dem südlichen Sinai, das von Israel entdeckt und erschlossen worden war, auch an Jordanien und Syrien. Die "saubere Energie" hatte eine Umstellung der Kraftwerke in den drei Ländern von Schweröl auf das billigere Erdgas zur Folge. Doch die Pumpstationen auf dem Sinai wurden inzwischen 14 Mal von El-Kaida nahestehenden Beduinen , um die Versorgung nach Israel zu unterbrechen. In der Folge hat Ägypten 2011 nur etwa 25 Prozent der vertraglich abgesprochenen Menge an Israel geliefert und 2012 nichts mehr. In Israel stiegen die Strompreise um 25 Prozent. Das Ausbleiben des ägyptischen Erdgases trifft so jeden Israeli.
Der Erdgas-Vertrag spielte eine entscheidende Rolle während des "arabischen Frühlings" in Ägypten und dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak. Mitgliedern des alten Regimes wurde vorgeworfen, dem verhassten israelischen "Feind" das Erdgas zu einem Vorzugspreis verkauft und so das ägyptische Volk um seine Naturschätze "beraubt" zu haben. Gleichzeitig diente das Gasgeschäft als Vorwand, Mubarak Korruption vorzuwerfen.
"Empfindliche Störung der Friedensstimmung"
Die Aufkündigung des Vertrags hat in Israel größte Sorgen ausgelöst und könnte für Ägypten fatale Folgen haben. Finanzminister Juval Steinitz redete zunächst von einer "empfindlichen Störung der Friedensstimmung". Oppositionschef Schaul Mofas redete von einem "präzedenzlosen Tiefpunkt" in den Beziehungen zwischen beiden Ländern und forderte die Amerikaner auf, einzugreifen. Die USA überweisen an Ägypten über zwei Milliarden Dollar pro Jahr Finanzhilfe als "Belohnung" für den Friedensvertrag mit Israel. Da der Gasvertrag Teil des Friedensabkommens ist, kann dessen Aufkündigung als erster Schritt in Richtung einer Aufkündigung des Friedensvertrags interpretiert werden.
Ägyptens Wirtschaft liegt infolge der Revolution und des Zusammenbruchs der Tourismusindustrie am Boden. Der Aufstand mit blutigen Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in Kairo war auch ein sozialer Aufstand. Doch hat er die Lage für die meisten Ägypter nur noch verschlimmert. Eine Reduzierung der amerikanischen Finanzhilfe oder gar ihr Ausbleiben wäre Ägyptens Wirtschaft ein Todesstoß.
Derweil bemüht sich Israel, die Beziehungen mit Kairo einigermaßen korrekt aufrecht zu erhalten - aus eigenem Interesse. Dennoch gab es in den vergangenen Monaten immer wieder gewaltsame Aueinandersetzungen. Bei einem wären sechs Israelis fast gelyncht worden, wenn die Amerikaner nicht in letzter Minute interveniert und die Ägypter dann doch Sonderheiten entsendet hätten, umd die Israelis zu retten. Die Affäre war für das Militärregime unter Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi höchst peinlich, hatte aber keine politische Folgen. Schlimmer war eine Terrorattacke vom Sinai aus, bei der acht Israelis nahe Eilat ums Leben kamen.
Dieser Tage werden israelische Urlauber dringend aufgerufen, die traumhaften Strände entlang der Sinaiküste am Roten Meer umgehend zu verlassen und heimzukehren. Nicht nur die Sprengungen der Erdgas-Pipeline, sondern auch die Terrorattacke nahe Eilat und wiederholte Entführungen von Touristen im Sinai gelten als Zeichen für eine mangelnde Kontrolle der ägyptischen Sicherheitskräfte auf der Sinai-Halbinsel. Dort haben Beduinen das Sagen und palästinensische Extremisten aus dem Gazastreifen.
Das Herz des Friedensvertrages zwischen Israel und Ägypten ist eine international überwachte Entmilitarisierung des Sinai. Während nur "Polizisten" im Sinai stationiert sein durften, hat Israel stillschweigend der Verlegung ägyptischen Militärs nach Scharm Al Scheich zugestimmt, um zunächst den gestürzten Diktator Mubarak zu schützen. Dann wurden Soldaten zugelassen, um die Erdgaspipeline bei Al Arisch zu schützen.
Nach der Aufkündigung des Gasvertrag fürchten nun viele in Israel, dass auch der Friedensvertrag nicht mehr viel wert ist und es zu einer dauerhaften militärischen Präsenz im Sinai kommen könnte. Dies würde unweigerlich zu weiteren Spannungen führen, schon ist in Israel von einem möglichen Krieg die Rede. Viele gehen davon aus, dass die "ägyptische Gefahr" eine größere Bedrohung für das Land bedeutet als die potenzielle iranische Atombombe.
Inzwischen bemühen sich Kairo wie Jerusalem allerdings, die Kontroverse zu einem "rein kommerziellen Streit ohne jegliche politische Bedeutung" zu reduzieren. Steinitz ruderte zurück und sagte: "Ich hoffe dass es sich nur um einen geschäftlichen Streit um die Preisgestaltung handelt." Der ägyptische Botschafter in Tel Aviv und der israelische Botschafter in Kairo wurden ersucht, die Aufkündigung des Vertrags zu ergründen.
Der Nahe Osten ist sein Metier. Ulrich W. Sahm berichtet seit Mitte der 1970er Jahre aus der Region. Er ist immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Nachricht.
Quelle: ntv.de