"Recht auf Selbstverteidigung ist begrenzt" Israel stellt Bedingungen
18.11.2012, 16:45 Uhr
An der Grenze zum Gazastreifen sollen bereits 70.000 Soldaten stationiert sein.
(Foto: REUTERS)
Im Nahen Osten zeichnet sich keine rasche Lösung des militärischen Konflikts ab. Zwar stellen die Israelis Bedingungen für eine Waffenruhe. Diese werden aber auch von den Palästinensern erhoben. Auch die internationalen Bemühungen zur Beilegung des Konflikts laufen mit unterschiedlichen Vorzeichen. Derweil gibt es vor Ort Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Bodenoffensive.
Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman hat eine mögliche Waffenruhe im Gazastreifen an die Bedingung geknüpft, dass alle bewaffneten Palästinensergruppen keine Raketen oder Schüsse mehr abfeuern. Das sei die "erste und bedingungslose" Voraussetzung, sagte Lieberman vor einem Treffen mit dem französischen Außenminister Laurent Fabius. Israel wünsche eine "langfristige Vereinbarung", fügte Lieberman hinzu.
Zuvor hatte israelische Zeitung "Jediot Achronot" berichtet, dass die Hamas ebenfalls Bedingungen für ein Ende der Raketenangriffe auf Israel genannt hat. Demnach müsse die seit 2007 bestehende Blockade des Gazastreifens durch Israel und Ägypten aufgehoben werden und die Tötungen von Mitgliedern militanter Palästinensergruppen durch Israel aufhören.
Israel hatte mit einer massiven Ausweitung seiner Offensive im Gazastreifen gedroht. "Die israelischen Streitkräfte sind darauf vorbereitet, die Hamas und die Terrororganisationen einen hohen Preis zahlen zu lassen", sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Kabinett. Israel und die im Gazastreifen herrschende Hamas setzten ihre Luft- und Raketenangriffe unter der wachsenden Besorgnis der Weltöffentlichkeit fort.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der nach Angaben des Auswärtigen Amtes eine Reise in die Region erwägt, warnte vor einem Flächenbrand und forderte eine Waffenruhe. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und die Arabische Liga kündigten diplomatische Aktivitäten an.
Ägypter planen Protestmarsch
Derweil planen ägyptische Aktivisten einen "Solidaritätsmarsch" nach Gaza. Wie Organisatoren sagten, soll die Aktion am Dienstag auf der Sinai-Halbinsel beginnen und über die Grenze in das palästinensische Gebiet führen. "Anstelle von unnützen Protesten wollen wir bei Rafah die Grenze überqueren und zeigen, was wirkliche Solidarität ist", sagte ein Mitglied der sozialistisch-nationalistischen Karama Partei. Dort solle es dann eine Menschenkette gegen die israelischen Bombardements geben.
Pro und Contra in Berlin
In Berlin warben einige hundert Demonstranten bei einer Kundgebung um Solidarität für Israel. Unter den Rednern war auch der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer. Er sprach von "Raketen-Terror" der radikal-islamischen Hamas und forderte: "Die Weltöffentlichkeit muss endlich aufhören, Israel das legitime Recht auf Selbstverteidigung abzusprechen." Darüber hinaus gehe es auch um den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung, die ebenfalls unter der Hamas leide. Auf einer weiteren Demonstration in Berlin waren eher israelkritische Töne zu hören.
Bodenoffensive wird vorbereitet
Aus nicht bestätigten israelischen Quellen wird berichtet, dass die rund 70.000 vor dem Gazastreifen stationierten Soldaten den Befehl erhalten hätten, ihre privaten Handys auszuschalten. Dies geschieht, damit die Soldaten im Falle eines Einmarsches nicht "vom Feind" lokalisiert werden können. Im Normalfall gilt dies als sicheres Anzeichen für eine bevorstehende Militäraktion.
Bislang hatte die israelische Luftwaffe mit schwerem Bombardement auf Raketenangriffe aus dem Gazastreifen reagiert. Über eine Bodenoffensive war nur diskutiert worden. Erklärtes Ziel des jüdischen Staates ist es, die Raketen der islamistischen Hamas auszuschalten und sie von Angriffen auf Israel abzuschrecken. Die israelische Flugabwehr schoss am Sonntag erneut zwei auf Tel Aviv abgefeuerte Raketen ab. Zeitgleich flog die Luftwaffe, die am Samstag die Zentrale der Hamas zerstört hatte, weitere Luftangriffe. In der Nacht zum Sonntag wurden sechs Journalisten verletzt, als die Israelis ein von Medien genutztes Gebäude unter Feuer nahmen.
Eine Militärsprecherin sagte, Ziel der Aktion sei eine "von der Hamas für terroristische Aktionen benutzte Übertragungsantenne" auf dem Dach des Gebäudes gewesen. Internationale Medienunternehmen verlangten eine Klarstellung, zumal ein Mitarbeiter des in Beirut ansässigen Fernsehsenders Al-Kuds Sanitätern zufolge ein Bein bei dem Angriff verlor.
Die Hamas drohte Israel mit Vergeltung. "Diese Runde der Auseinandersetzung mit dem zionistischen Feind wird nicht die letzte gewesen sein, sondern ist nur der Anfang", sagte ihr Sprecher in Gaza.
Schon über 70 Tote
Am Sonntag wurden laut Gesundheitsministerium bei einem Luftangriff auf ein Haus in Gaza-Stadt elf Menschen getötet, darunter eine siebenköpfige Familie mit vier Kindern. Drei Palästinenser starben bei späteren Angriffen. Allein am Sonntag wurden damit 20 Palästinenser getötet. Seit Mittwoch starben in dem Konflikt nach Angaben der beiden jeweiligen Seiten mindestens 69 Palästinenser und drei Israelis. Hunderte Menschen wurden verletzt.
Auch die Hamas und andere radikale Palästinensergruppen setzten ihren Raketenbeschuss auf Israel fort. Im Süden Israels wurden dabei sieben Menschen verletzt, einer von ihnen schwer, wie die Behörden mitteilten. In der Metropole Tel Aviv gab es am Sonntag erneut Luftalarm.
Internationale Appelle
Der israelische Militäreinsatz wird im Westen zwar als Akt der Selbstverteidigung bezeichnet, gleichwohl wurden Forderungen laut, die Feindseligkeiten zu beenden. So erklärte US-Präsident Barack Obama, seine Regierung sei zusammen mit anderen Ländern um eine Beilegung der Krise bemüht. Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi wollte Palästinensern zufolge am Sonntag seine Vermittlung fortsetzen. UN-Generalsekretär Ban wird am Montag in Kairo erwartet. Die Arabische Liga kündigte für Dienstag die Reise einer Delegation nach Gaza an.
Außenminister Westerwelle nannte die Lage brandgefährlich. "Der ganzen Region droht die Eskalation", schrieb Westerwelle in einem Beitrag für die "Bild am Sonntag". Dafür sei die Hamas verantwortlich. "Israels Regierung handelt, um die Bürger zu schützen. Auslöser der Gewaltspirale sind die Raketen der Hamas", schrieb Westerwelle. Der Minister will möglicherweise schon in Kürze nach Israel fliegen.
Recht auf Selbstverteidigung ist begrenzt
Auch die großen deutschen Kirchen riefen die "Verantwortlichen in Gaza" auf, "die Strategie der Gewalteskalation zu beenden". Gleichzeitig forderten sie "mit Entschiedenheit die israelische Regierung auf, in ihren militärischen Maßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt zu beachten". "Die ohnehin erschöpfte Bevölkerung im Gaza-Streifen darf nicht ein weiteres Mal von der eigenen Regierung als Einsatz in einem Machtspiel missbraucht werden", erklärten der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, gemeinsam. "Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung, aber dieses Recht ist durch die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung begrenzt."
Quelle: ntv.de, dpa/AFP