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"Prinzip der Übersättigung" Israel und USA droht Überforderung an vier Fronten

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Die Gefechte nehmen abseits des Gazastreifens auch an anderen Grenzregionen Israels immer weiter zu. Kommt es zu mehreren Frontabschnitten gleichzeitig, droht vor allem den USA eine Überforderung ihrer Nachschub-Verpflichtungen. Dahinter steckt eine Taktik der Verbündeten Hamas, Hisbollah und dem Iran.

Noch wartet die israelische Armee zwar mit einer Bodenoffensive im Gazastreifen. Dass sie kommen soll, daran gibt es laut dem israelischen Botschafter Ron Prosor aber keinen Zweifel. Die USA unterstützen die Armee eigenen Aussagen zufolge bei den Vorbereitungen, haben aber auch Zweifel, ob die israelischen Streitkräfte für eine Bodenoffensive bereit sind. Es schwingt in Washington die Angst mit, dass Israel seine militärischen Ziele im Gazastreifen verfehlen könnte.

Zweifelsohne ist eine Bodenoffensive in dem dicht besiedelten urbanen Gelände mit seinen Tunnelsystemen ein gefährliches Vorhaben, das viele Risiken birgt. Doch das ist nicht die einzige Front, um die sich Israel und die USA derzeit sorgen. "Israel ist mittlerweile nicht nur an einer Front gebunden, sondern an vier", sagt der österreichische Oberst Markus Reisner ntv.de.

Neben der Situation im Gazastreifen drohen auch an anderen Stellen neue Kriegsfronten. Fast täglich kommt es an der Grenze zum Libanon zu Auseinandersetzungen mit der Terrororganisation Hisbollah, die mit Panzerabwehrraketen israelische Stellungen beschießt. Israel beantwortet die Angriffe wiederum mit dem Einsatz von Präzisionsmunition und Artillerie. Die Gefechte nehmen laut Reisner stetig zu, weshalb die israelische Armee auch Kräfte an andere Brennpunkte als den Gazastreifen verlegen muss.

So wie im Westjordanland. Dort wurden seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober bereits knapp 100 Menschen bei Auseinandersetzungen getötet. Dazu komme eine vierte Front bei Syrien, so Reisner. Dort sei es dem Iran durch die Unterstützung der syrischen Regierung gelungen, iranische Revolutionsgarden in Syrien zu positionieren. Die Israelis hätten hier mit gezielten Luftangriffen auf Aleppo oder Damaskus probiert, die Versorgung der iranischen Revolutionsgarde, "aber auch die Anschlussversorgung der Hisbollah zu unterbrechen".

Gegner wenden "Prinzip der Übersättigung" an

Daneben spielt dem Militärexperten zufolge noch ein fünftes Element eine Rolle: "Der wichtigste Unterstützer der israelischen Streitkräfte, nämlich die US-Streitkräfte, sind durch Raketen- und Drohnenangriffe auf Stützpunkte der USA in Syrien ebenfalls gebunden." Erst vor knapp einer Woche gab es sogar den spektakulären Fall, dass zwei irakische Milizen, die vom Iran unterstützt werden, US-Streitkräfte im Irak mit Drohnen angegriffen haben. In Washington reagierte man alarmiert: "Wir sind besorgt über die Möglichkeit, dass Verbündete des Iran ihre Angriffe gegen unser eigenes Personal, unsere eigenen Leute verstärken", sagte US-Außenminister Antony Blinken erst kürzlich im Fernsehsender CBS News.

Hinter den verschiedenen Bedrohungsszenarien an mehreren Fronten steckt laut Reisner das sogenannte "Prinzip der Übersättigung". Man könne klar erkennen, dass die lokalen Terrororganisationen Hamas und Hisbollah mit dem Iran im Hintergrund versuchen, sowohl Israel, "als auch seine Verbündeten an mehreren Fronten zu binden, damit sie nicht in der Lage sind, zentral alle ihre Kräfte im Gazastreifen zu bündeln". Die USA versuchen deshalb auf der diplomatischen Ebene die militärischen Handlungen von Israel im Gazastreifen zu begrenzen. Sonst befürchte man, dass immer mehr zivile Opfer die islamische Welt an den Kipppunkt bringen könnte. Die Angst vor einem Flächenbrand ist groß, denn dieser wäre kaum zu beherrschen, sagt Reisner. Grund dafür sind auch der Ukraine-Krieg, den die USA mit Waffenlieferungen bedienen muss, sowie die kritischen Entwicklungen zwischen China und Taiwan.

Ein Vier-Fronten-Krieg wäre zudem eine logistische Herausforderung für die israelischen Waffen und Streitkräfte. Zur Abschreckung hat Israel deshalb 300.000 Reservisten eingezogen, um ein klares Signal zu senden. Gleichzeitig sei Israel durch die Unterstützung der USA in der Lage, eine entsprechende Anschlussversorgung für die Soldatinnen und Soldaten zu liefern, sagt Reisner.

Waffenlieferungen an Ukraine und Israel überschneiden sich

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Bei der Anzahl von Waffen geht man derzeit davon aus, dass Israel bis jetzt mehr als 8000 Stück Präzisionsmunition verschossen hat, schreibt das US-Portal Politico. Für Nachschub sind die USA verantwortlich. "Aber auch hier sind die Arsenale natürlich begrenzt", sagt Reisner. Das sei auch der Grund, warum die USA eine Ausweitung verhindern wollen. "Sie versuchen den Konflikt dahingehend zu moderieren, dass es nicht zu einer völligen Überforderung der eigenen Logistik kommt."

Viele der Munitionsarten, die Israel als Nachschub braucht, sind auch für die amerikanischen Kriegspläne im indopazifischen Raum und anderswo von zentraler Bedeutung und wurden im vergangenen Jahr eilig in die Ukraine geliefert, heißt es in dem Bericht von Politico. Zwar führt die Ukraine eine andere Art von Krieg als Israel. Bei den Waffen, die beide Länder aus den USA haben wollen, gebe es aber trotzdem Überschneidungen. Dazu gehören laut Bericht 155-mm-Artilleriegeschosse, luftgestützte Bomben mit kleinem Durchmesser, Munition für den direkten Angriff und Hellfire-Raketen. Wenn beide Kriege weitergehen, während die USA sich zusätzlich auf einen möglichen Kampf mit China vorbereiten, drohen die Forderungen nach Waffenlieferungen nur noch weiter zuzunehmen.

Quelle: ntv.de

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