Krisengeplagte RegionIsrael wählt und was 2026 außerdem im Nahen Osten passiert

In Israel und im Libanon finden im kommenden Jahr Wahlen statt, in Syrien, den Golfstaaten und in der Türkei gehen Entwicklungen weiter, die über die Region hinaus von hohem Interesse sind. 2026 wird deutlich, ob Frieden und Stabilität im Nahen Osten möglich sind.
Das Jahr 2025 endet für den Nahen Osten mit zahlreichen Ungewissheiten, auch wenn der Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas, über zwei Jahre das dominierende Thema der Region, im Oktober vorerst ein Ende fand. Der Friedensplan von US-Präsident Donald Trump beendete nicht nur das humanitäre Leid im Gazastreifen, sondern führte auch zur Befreiung aller noch lebenden israelischen Geiseln aus den Terrortunneln der Hamas. Aktuell gilt ein Waffenstillstand, noch kein dauerhafter Frieden.
Ohne den Einsatz des amerikanischen Präsidenten wäre wohl weder das vorläufige Ende des Gaza-Kriegs und die Freilassung der israelischen Geiseln noch die erhebliche Schwächung des iranischen Regimes während des Zwölf-Tage-Kriegs zwischen Israel und Iran im Juni 2025 möglich gewesen. Nur durch den spektakulären US-Einsatz bunkerbrechender Bomben auf iranische Atomanlagen konnte verhindert werden, dass das Mullah-Regime in Teheran in den Besitz zerstörerischer Nuklearwaffen kommen konnte. Diese würden nicht nur die Existenz des jüdischen Staates Israel, sondern auch die Stabilität und Sicherheit des gesamten Nahen Ostens gefährden. Die Konsequenzen wären auch für Deutschland und die EU unvorhersehbar.
USA bleiben Machtfaktor in der Region
2025 endet daher mit der Gewissheit, dass die USA als wesentlicher Machtfaktor im Nahen Osten zurück sind. Ohne ihre diplomatischen und militärischen Interventionen stünde die Region vermutlich chaotischer da. Dies wurde zuletzt Mitte Dezember beim US-Militärschlag gegen Terroristen des sogenannten "Islamischen Staats" (IS) in Syrien deutlich. Die Rolle der EU und ihrer Mitgliedstaaten bleibt trotz einer oft anderen Selbstwahrnehmung in der Region begrenzt.
Das Jahr 2026 wird für den Nahen Osten daher zu einem wichtigen Gradmesser dafür, ob dauerhafter Frieden und Stabilität möglich werden oder die krisengeplagte Region nicht doch erneut im Chaos versinken könnte. Diese Trends lassen sich mit Blick auf den Nahen Osten identifizieren:
2026 wird entscheidend dafür sein, ob der Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel in einem verlässlichen Frieden endet. Dafür ist die Entwaffnung der Terrororganisation ebenso unerlässlich wie die Sicherstellung, dass sie in der zukünftigen Verwaltung des Küstenstreifens keinerlei Rolle einnehmen wird. Die Deradikalisierung der Bevölkerung im Gazastreifen durch ein reformiertes Schulsystem wird ebenso wichtig sein wie der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur. Die US-Regierung geht in ihrem "Project Sunrise" für den Gazastreifen von Kosten über 100 Milliarden Euro aus. Dabei muss mit Argusaugen darauf geachtet werden, dass Steuergelder ausschließlich in den oberirdischen Wiederaufbau fließen und die unterirdische Terrortunnelstruktur endgültig zerstört wird.
Die Parlamentswahlen in Israel und im Libanon werden 2026 für die weiteren Entwicklungen in der Region von größter Bedeutung sein. In Israel wird die Knesset-Wahl zur Abstimmung über die politische Ausrichtung des Landes nach den Schrecken vom 7. Oktober 2023. Es wird sich zeigen, welchen Einfluss ultraorthodoxe Kräfte entfalten können und wie sich das politisch traditionell heterogene Land in Folge des längsten Krieges in der Geschichte des Landes gesellschaftlich verändert hat. Dabei sollte Premierminister Benjamin Netanjahu trotz des vorherrschenden Wunschdenkens in weiten Teilen europäischer Beobachter nicht vorschnell abgeschrieben werden. In aktuellen Umfragen führt seine Likud-Partei, und im Vergleich aller möglicher Gegenkandidaten erhält Netanjahu derzeit am meisten Zuspruch als nächster Ministerpräsident.
Die Wahl im Libanon wird zum Gradmesser der politischen Funktionalität des Zedernstaates. Seit der Wahl des früheren Armeechefs Joseph Aoun zum Staatspräsidenten im Januar 2025 befindet sich das Land auf einem hoffnungsvollen Weg. Der Einfluss der Terrororganisation Hisbollah, und damit auch Irans, wird zurückgedrängt und das Gewaltmonopol des Staates schrittweise wiederhergestellt. Die Wahlen werden zeigen, wie stark der politische Arm der Hisbollah noch ist und wie ein politischer Kompromiss der sektiererischen Interessen von Sunniten, Schiiten und christlichen Maroniten in eine stabile Regierung münden könnte. Die Entwaffnung der Hisbollah sollte erfolgt sein, bevor es 2026 möglicherweise zu einer weiteren Eskalation zwischen Iran und Israel kommen könnte.
Schließlich Syrien. Dort verfolgen alle regionalen Akteure eigene Interessen. Während Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes durch die Omnipräsenz des Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa 2025 auf der internationalen Bühne rehabilitiert wurde, wird es 2026 wesentlich um die Einbeziehung aller ethnischen und religiösen Strömungen und die Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet gehen. Über 20.000 IS-Kämpfer werden noch in Syrien vermutet, Tausende von ihnen sind radikale ausländische Dschihadisten, denen die vermeintlich prowestliche Orientierung des früheren HTS-Terroristen al-Scharaa ein Dorn im Auge ist. Auch ob die Integration der kurdischen Streitkräfte in die syrische Armee gelingen kann, wird ein Test für die Durchsetzungsfähigkeit der neuen syrischen Regierung werden. Zudem wird die Bevölkerung immer ungeduldiger und erwartet eine bessere Wirtschaftslage. Die Situation in Syrien bleibt daher hochvolatil. 2026 wird zum Schicksalsjahr für die Zukunft Syriens.
Auf die Entwicklungen in Syrien blicken auch die Türkei, die eigene wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen verfolgt, sowie Katar und Saudi-Arabien ganz genau. Die Golfstaaten widmen sich derweil weiter um eine Diversifizierung ihrer Ökonomie und stellen sich auf eine Zukunft nach dem Öl- und Gasreichtum ein. Zunehmend werden sie auch zur wichtigen diplomatischen Drehscheibe. Der Gipfel zwischen der EU und den Ländern des Golfkooperationsrates 2026 in Saudi-Arabien wird zeigen, welche neuen Wege der Zusammenarbeit bei Handel und Energie möglich werden.
In der Türkei, immerhin zweitgrößter Truppensteller der Nato nach den USA, wird 2026 die UN-Klimakonferenz COP31 stattfinden. Dies wird die nach größerem Einfluss strebende Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdoğan zum Anlass nehmen, die wachsende Bedeutung der Türkei zur Bewältigung internationaler Krisen zu betonen. Tatsächlich nimmt das Land bei wesentlichen Fragen der regionalen Stabilität im Nahen Osten eine zentrale Rolle ein, sei es beim Wiederaufbau im Gazastreifen oder bei der Stabilisierung Syriens.
Durch all diese Entwicklungen dürfte auch 2026 ein angespanntes Jahr für die weitere Stabilisierung der Länder des Nahen Ostens bleiben. Da Deutschland durch vielfältige Interessen in der Sicherheits-, Wirtschafts-, Energie- und Migrationspolitik mit der Region verbunden ist, dürfte die politische Aufmerksamkeit auch im neuen Jahr mit Blick auf den Nahen Osten sehr hoch bleiben.
Der Autor: Dr. Thomas Volk ist Leiter der Abteilung Naher Osten und Nordafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung.