Politik

Sieben Tote und 300 Verletzte bei Protesten in der Ukraine Jetzt rollen Panzer durch Kiew

Panzer werden zur Beseitigung der Barrikaden eingesetzt.

Panzer werden zur Beseitigung der Barrikaden eingesetzt.

(Foto: REUTERS)

Die ukrainische Opposition beklagt bei den gewaltsamen Protesten in Kiew bereits sieben Tote. Die Zahl der Erschossenen sei von drei auf fünf gestiegen, teilen Ärzte mit. Zudem werden in einem Waldstück offenbar zwei Leichen mit Folterspuren gefunden. Die Opposition will morgen "zum Angriff übergehen". Es wird vermutet, dass die Sicherheitskräfte vorher das Stadtzentrum gewaltsam räumen lassen.

Über der Stadt hängt dicker, giftiger Rauch.

Über der Stadt hängt dicker, giftiger Rauch.

(Foto: REUTERS)

Bei den gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Regierungsgegnern sind in der ukrainischen Hauptstadt Kiew nach Angaben von Ärzten fünf Menschen getötet und 300 weitere verletzt worden. Die Opposition spricht bereits von sieben Toten. Wie der Koordinator der Rettungskräfte der Opposition, Oleg Musij, dem Oppositionssender Hromadske sagte, wurden die fünf Demonstranten seit Mitternacht getötet. Laut der Nachrichtenseite "Ukrainska Pravda" hatten vier der fünf Tote Schussverletzungen.

Offiziell wurden bis Mittwochabend von der Justiz zwei Tote bestätigt. Beide sollen erschossen worden sein, die Staatsanwaltschaft leitete eine Untersuchung ein. Die Opposition meldete zudem, ein Mann sei am Dienstag seinen Verletzungen erlegen, die er am Sonntag bei einem Sturz erlitten hatte, als er vor der Polizei floh. Der Mann soll von einem Dach gestürzt sein. Zudem sollen in einem Wald bei Kiew zwei Leichen mit Folterspuren gefunden worden sein. Die Behörden äußerten sich nicht zu den Angaben.

Hunderte Menschen sollen verletzt worden sein.

Hunderte Menschen sollen verletzt worden sein.

(Foto: AP)

Nach den tödlichen Schüssen auf Regierungsgegner rief die inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko die Ukrainer zum Aufstand gegen Präsident Viktor Janukowitsch auf. "Das Blut der Helden der Ukraine klebt an den Händen von Janukowitsch", teilte die Ex-Regierungschefin mit. Die 53-Jährige forderte die Sicherheitskräfte auf, zu den Demonstranten überzulaufen: "Belastet Eure Seelen nicht mit dem Blut von Ukrainern". Die wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilte Politikerin betonte, die internationale Gemeinschaft müsse eine "zweite große Front" gegen die "Diktatur" eröffnen. Nicht bestätigt sind Berichte, nach denen die Sicherheitskräfte in den kommenden Stunden den Unabhängigkeitsplatz - den Maidan - räumen wollen.

Auch Oppositionspolitiker Vitali Klitschko rief zum Widerstand gegen die prorussische Führung auf. "Wenn der Präsident uns morgen nicht entgegenkommt, dann gehen wir zum Angriff über. Einen anderen Ausweg gibt es nicht", sagte der Boxchampion. Auch er rief die Polizei auf, zur Opposition überzulaufen. Die Menschen skandierten "Klitschko, Klitschko, Klitschko".

Giftiger Rauch überzieht die Stadt

Zur Stunde brennen in Kiew stapelweise Reifen. Über der Stadt hängt dicker schwarzer Rauch. Im Schneetreiben rücken Spezialeinheiten mit Schützenpanzern vor. Oppositionelle suchen Deckung hinter ausgebrannten Einsatzfahrzeugen.

Der deutsche Botschafter Christof Weil sieht mit dem Einsatz von Schusswaffen eine historische Grenze überschritten. Denn trotz aller Krisen und bisweilen gewaltsamer Proteste: Noch nie sind bei politischen Krisen in der seit 1991 unabhängigen Ex-Sowjetrepublik Schusswaffen eingesetzt worden. Im Gegenteil - bislang galt die Ukraine stets als Beispiel für friedlichen Machtwechsel, etwa bei der demokratischen Orangenen Revolution 2004. Jetzt aber ist der Widersacher - Janukowitsch - von damals an der Macht. Und erstmals fließt Blut.

Das Machtlager und die gemäßigte prowestliche Opposition um Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko machen sich gegenseitig verantwortlich für die Opfer. Kiew ist voller Gerüchte. Wer die tödlichen Schüsse abgefeuert hat, ist noch unklar. Unkontrollierte Spezialeinheiten oder ultraradikale Provokateure? Neutrale Beobachter neigen zur ersten Möglichkeit. Angeblich sind Scharfschützen im Einsatz. Einen offiziellen Schießbefehl haben die Einsatzkräfte aber nicht.

Experten: Moskauer Politik ist gefährlich

Vor allem westliche Experten halten auch Aufforderungen Russlands an die Regierung in Kiew, sich das Treiben nicht gefallen zu lassen, für brandgefährlich. Mit Milliarden Euro hat Kremlchef Wladimir Putin kürzlich den finanziell schwer angeschlagenen Nachbarn gestützt. Dies führte kurzfristig zu einer Entspannung.

Aber längst gibt es viele Bürger, denen es darum geht, in einem anderen System zu leben. Vor allem junge Menschen machen bei den friedlichen Protesten auf dem Unabhängigkeitsplatz - dem Maidan - ihrer Sehnsucht nach einer Zukunft in einem freien Europa Luft. Sie fordern auf Dauer gleiche Bedingungen wie in der nahen EU mit visafreiem Reisen und ein Leben ohne Korruption. Diese Aussicht hatte ihnen Janukowitsch genommen, als er Ende November ein weitreichendes Abkommen mit der EU auf Drucks Russlands verweigerte. Mit den Todesschüssen scheint der Druck auf Janukowitsch. Er müsse zurücktreten und den Weg für einen Neuanfang frei machen.

Dass Regierungschef Nikolai Asarow ungeachtet der Gewalteskalation zum Wirtschaftsforum ins Schweizer Davos fliegt, ist für viele der Beweis, dass der Führung das Volk egal ist und sie nur noch den eigenen Machterhalt sichern will. "Nieder mit der Diktatur!", lautet die neue Parole auf der Straße. Ein Krisentreffen von Janukowitsch und den Oppositionsführern gilt als letzte Hoffnung auf einen Ausweg aus der innenpolitischen Krise. Aber die Fronten sind verhärtet.

Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP

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