Von Grundgesetz gedeckt Juristen halten Impfpflicht für umsetzbar
23.11.2021, 07:56 UhrImmer mehr Politiker aus Bund und Ländern sprechen sich für eine allgemeine Impfpflicht aus. Auch Juristen halten die Einführung einer solch strikten Regelung angesichts steigender Corona-Zahlen für angemessen. Dabei gehe es nicht um Zwang, betont der Rechtsprofessor Franz C. Mayer.
Die Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus bekommen nun auch Rückendeckung von Rechtswissenschaftlern. Renommierte Juristen halten sie für vereinbar mit dem Grundgesetz. In Österreich soll die Impfpflicht im Februar kommen. Mehrere deutsche Ministerpräsidenten sprechen sich ebenfalls dafür aus.
Eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus wäre nach Ansicht des Staatsrechtlers Ulrich Battis vom Grundgesetz gedeckt. "Eine solche allgemeine Impfpflicht ist durchaus vertretbar - und zwar, um das Leben anderer Menschen zu schützen", sagte der Rechtswissenschaftler von der Berliner Humboldt-Universität der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Battis verwies auf Artikel 2 des Grundgesetzes, der den Schutz des Lebens anderer Menschen festlegt. "Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das ebenfalls der Artikel 2 festschreibt, hat dahinter zurückzutreten."
Der Saarbrücker Pharmazie-Professor Thorsten Lehr sagte "RTL direkt", im nächsten Frühjahr führe kein Weg an einer Impfpflicht vorbei. Sie könne die Lage "schlagartig" ändern. "Das Ende der Pandemie liegt mit der Impfpflicht in unseren Händen."
Uneinigkeit in der CDU
Die Regierungschefs von Baden-Württemberg und Bayern, Winfried Kretschmann und Markus Söder, schrieben in einem gemeinsamen Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Eine Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte. Vielmehr ist sie die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit zurückgewinnen." Im ZDF-"heute journal" machte Kretschmann deutlich, dass er dies für verfassungskonform hält. Vor einigen Jahrzehnten habe es bereits eine Impfpflicht in Deutschland gegeben - und aktuell in abgeschwächter Form auch bei Masern, so der Grünen-Politiker. CSU-Chef Söder hatte bereits zuletzt für eine allgemeine Impfpflicht plädiert.
Zustimmung kam auch von den CDU-Regierungschefs Volker Bouffier aus Hessen, Daniel Günther aus Schleswig-Holstein und Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, ebenfalls CDU, mahnte eine gründliche Prüfung an. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte von der SPD sagte, eine Impfpflicht käme zu spät, um die vierte Corona-Welle zu stoppen, könne aber "für die Zukunft mit Blick auf die bundesweite Situation sicherlich" nicht ausgeschlossen werden. Dagegen stellten sich Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans, der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn, beide CDU, sowie FDP-Fraktionsvize Michael Theurer.
Im Deutschlandfunk sagte Spahn über eine allgemeine Impfpflicht, sie löse das akute aktuelle Problem nicht. "Wir brechen diese Welle ja nicht mit einer verpflichtenden Impfung. Die käme viel zu spät die Wirkung. Wir müssen jetzt Kontakte reduzieren und geschlossen staatlich handeln. Deswegen weiß ich nicht, ob alle Kraft, die wir haben grad in dieser Debatte, zum jetzigen Zeitpunkt richtig konzentriert ist", so der CDU-Politiker. Auch sein Parteifreund Friedrich Merz äußerte sich ablehnend und hält eine Impfpflicht für nicht durchsetzbar. "Die allgemeine Impfpflicht würde jetzt Wochen oder Monate dauern, bis sie wirkt", sagte der CDU-Vorsitzkandidat im ARD-Morgenmagazin. Er sei zudem skeptisch, ob eine Impfpflicht verfassungsrechtlich unbedenklich sei.
Individuelle Freiheit hat Grenzen
Der Verwaltungsrechtler Hinnerk Wißmann von der Universität Münster sagte der "Welt", eine Impfpflicht sei das mildere Mittel, "wenn die Alternative ist, den freien Staat in Lockdown-Endlosschleifen abzuschaffen". Uwe Volkmann, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Goethe-Universität Frankfurt, sagte, die "Eingriffstiefe" sei geringer als "die andernfalls erforderlichen gravierenden Freiheitseinschränkungen".
Der Bielefelder Rechtsprofessor Franz C. Mayer sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Die Freiheit der Einzelnen endet da, wo Freiheit und Gesundheit anderer in Gefahr sind - das ist hier der Fall, wenn die Impfkampagne nicht gelingt." Mayer machte klar, dass es um eine Impfpflicht und keinen Impfzwang ginge. Für Impfverweigerer seien ein Bußgeld oder gesetzliche Regelungen zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes denkbar. Auch Ministerpräsident Kretschmann hält ein Bußgeld für möglich. Niemand werde im Gefängnis landen oder von der Polizei zum Impfen abgeholt.
Länder beraten über schärfere Regeln
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sieht eine Impfpflicht als letztes Mittel an. Der Funke Mediengruppe sagte er mit Blick auf aktuelle Corona-Maßnahmen: "Wenn das alles nichts hilft und die allgemeine Impfquote nicht deutlich steigt, werden wir nach meiner persönlichen Überzeugung um eine allgemeine Impfpflicht nicht herumkommen, um endlich aus diesem Teufelskreis von Lockerungen und Lockdowns auszubrechen."
An diesem Dienstag wollen mehrere Landeskabinette über schärfere Regeln beraten. In Bayern, Berlin und Brandenburg wollen die Landesregierungen entscheiden, auch in Niedersachsen soll eine neue Corona-Verordnung vorgestellt werden. Baden-Württemberg will voraussichtlich am Mittwoch bei allen Veranstaltungen in Kultur, Freizeit und Sport die Regel 2G plus einführen. Dann müssten auch Geimpfte und Genesene einen negativen Test vorweisen. Wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr, erweiterte die Regierung aus Grünen und CDU ihren Katalog für schärfere Maßnahmen.
Quelle: ntv.de, mbe/dpa/AFP