Erneut Tote bei Gewalt in Ägypten Kairoer Steuerbehörde brennt
03.02.2012, 15:36 Uhr
Die Gewalt auf ägyptischen Straßen findet kein Ende. Wütende Demonstranten stürmen ein Gebäude der Steuerbehörde und werfen Brandbomben. Auch das Innenministerium wird belagert. Die Polizei hält sich laut Augenzeugen jedoch zurück. Allerdings sterben bei den jüngsten Protesten mehrere Menschen, Hunderte werden verletzt.
Ein wütender Mob hat ein Gebäude der Steuerbehörde in Kairo gestürmt. Das ägyptische Staatsfernsehen berichtete, das Gebäude stehe in Flammen. Die Eindringlinge hätten Möbel und Akten zerstört, hieß es weiter. Bei neuerlichen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften in Kairo erstickten derweil nach Angaben von Ärzten zwei Demonstranten an Tränengas. Dem Innenministerium zufolge wurden seit Donnerstag knapp 1500 Menschen bei den Protesten verletzt.
Das Gebäude der Steuerbehörde liegt gegenüber des Innenministeriums. Dieses wurde den zweiten Tag in Folge von wütenden Demonstranten belagert. Tausende Protestler warfen Steine auf das Gebäude. Die Polizei setzte Tränengas gegen die Protestierer ein. Doch der Wind trieb die Schwaden zurück in Richtung Polizei, und die Menge rief: "Gott ist der Größte!" Ein harter Kern der Demonstranten räumte eine Betonbarriere beiseite und näherte sich dem Ministerium. Ein Reporter vernahm Schüsse und sah Patronenhülsen. Die Menschen machen das Innenministerium für den Tod von 74 Menschen im Stadion von Port Said verantwortlich.
Nach Angaben von Sicherheitskräften stürmten derweil bewaffnete Angreifer eine Polizeistation in Kairo und befreiten Gefangene. Anschließend setzten sie die Polizeistation in Brand. Auf dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos versammelten sich Tausende Menschen und riefen Slogans gegen den regierenden Militärrat. Nach den Freitagsgebeten zogen Demonstranten von den Moscheen in Richtung des Parlamentsgebäudes, um den Rücktritt der seit dem Sturz des langjährigen Präsidenten Husni Mubarak regierenden Generäle zu fordern. Für das Wochenende haben revolutionäre Jugendgruppen unter dem Motto "Freitag des Zorns" zu Massenprotesten gegen den regierenden Militärrat aufgerufen.
Zusammenstöße auch in Suez
Bereits in der Nacht war in der Hauptstadt ein Mensch erschossen worden, Hunderte Menschen sollen verletzt worden sein. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Mena erlag zudem ein verletzter Soldat inzwischen seinen Verletzungen. In der rund 140 Kilometer entfernten Stadt Suez kamen in der Nacht zwei Menschen bei Protesten ums Leben. Unklar war, ob die Schüsse von Demonstranten oder der Polizei abgegeben wurden. Die Polizei setzte Tränengas ein, als Protestgruppen sich Gebäuden von Regierung und Sicherheitsbehörden näherten. Augenzeugen zufolge wurde auch scharf geschossen. Auch in Alexandria und Port Said gingen Tausende aus Protest gegen den Militärrat auf die Straße.
Ausgelöst hatten die Proteste , bei denen am Mittwochabend 74 Menschen getötet und etwa 1000 verletzt wurden. Zwar gab der von den Streitkräften ernannte Ministerpräsident Kamal al-Gansuri erste personelle Konsequenzen gegen Sicherheitsverantwortliche bekannt. Zur Enttäuschung vieler verärgerter Parlamentarier entließ die Regierung den Innenminister jedoch nicht. Die Polizei nahm zudem 53 Verdächtige fest. Menschenrechtler sprachen von "willkürlichen Festnahmen". Die bei der Parlamentswahl siegreichen islamistischen Muslimbrüder sprachen anschließend von geplanten Provokationen konservativer Kräfte.
Die Demonstranten werfen dem herrschenden Militärrat vor, er wolle trotz gegenteiliger Versicherungen die Macht nicht an eine gewählte Regierung abgeben. In Berlin rief Außenminister Guido Westerwelle den Militärrat auf, den Kurs zur Demokratisierung des Landes unbeirrt fortzusetzen. Die Zusagen dazu müssten eingehalten werden, sagte Außenamtssprecher Andreas Peschke. Auch der Prozess zur Übergabe der Macht in zivile Hände müsse weitergehen. Darüber hinaus fordere Westerwelle, dass die besorgniserregenden Ereignisse in Kairo, Port Said und anderen Städten aufgeklärt würden.
US-Touristinnen wieder frei
Die Entführung zweier US-Touristinnen und ihres ägyptischen Reiseführers auf dem Sinai wurde derweil nach wenigen Stunden beendet. Wie ägyptische Sicherheitskräfte mitteilten, blieben die Touristinnen und der Führer unversehrt. Ägyptische Beduinen hatten sie vorübergehend in ihre Gewalt gebracht. Eine Gruppe bewaffneter Männer hielt auf dem Weg zum Katharinenkloster im Süden der Halbinsel einen Reisebus auf und verschleppte die drei Insassen, wie die Sicherheitskräfte mitteilten. Laut Beduinen forderten die Entführer die Freilassung von Verwandten in ägyptischen Gefängnissen. Unter welchen Umständen die Entführung zu Ende ging, wurde zunächst nicht bekannt.
Erst am Dienstag hatten Beduinen 25 chinesische Ingenieure und Techniker von einer vom Militär betriebenen Zementfabrik verschleppt. Am Mittwoch waren die Chinesen aber bereits wieder freigelassen worden. Im vergangenen Monat hatten Beduinen 50 deutsche und britische Touristen über mehrere Stunden hinweg festgehalten.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP