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Kaja Kallas als Außenbeauftragte Diese Frau ist eine klare Ansage an Putin

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Kaja Kallas dürfte demnächst Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik werden - so der offizielle Titel der EU-Außenbeauftragten.

Kaja Kallas dürfte demnächst Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik werden - so der offizielle Titel der EU-Außenbeauftragten.

(Foto: picture alliance/dpa/Lehtikuva)

Es wäre ein Signal der politischen Abschreckung für Russland: Estlands Premierministerin Kaja Kallas wird wahrscheinlich neue Außenbeauftragte der EU. Für Kallas wäre der Wechsel nach Brüssel ein Stück Familientradition.

Noch ist nichts entschieden. Aber es sieht sehr danach aus, als werde die Premierministerin von Estland, Kaja Kallas, die neue Außenbeauftragte der Europäischen Union. Das derzeit diskutierte Personaltableau erfüllt regionale und politische Voraussetzungen: Die deutsche Christdemokratin Ursula von der Leyen bleibt Chefin der Europäischen Kommission. Der frühere portugiesische Ministerpräsident António Costa, ein Sozialdemokrat, wird Präsident des Europäischen Rates - ein Amt, das derzeit der Belgier Charles Michel innehat. Und Kaja Kallas wird Außenbeauftragte. Ihre Reformpartei ist Teil der drittgrößten Fraktion im Europaparlament, der Liberalen.

Aber Kallas erfüllt noch eine weitere Voraussetzung. Zwar hat Estland weniger Einwohner als München. Aber das Wort der estnischen Regierungschefin hat Gewicht in der EU. "Kaja Kallas wird von vielen geschätzt, weil sie einer jüngeren Generation von Politkern angehört, die unprätentiös, pragmatisch und klar ist", sagt Osteuropa-Experte Nico Lange ntv.de. "Viele Mittelosteuropäer und Nordeuropäer fühlen sich in ihren Positionen vertreten", so der Senior Fellow bei der Münchner Sicherheitskonferenz.

In den vergangenen fünf Jahren war der spanische Sozialdemokrat Josep Borrell Außenbeauftragter der EU; in den drei Spitzenpositionen der Europäischen Union war Osteuropa nicht vertreten. Experte Lange erhofft sich von Kallas, sollte sie das Amt bekommen, neuen Schwung: "Wir brauchen unbedingt mehr Politiker in Top-Positionen, die in ihren 40ern sind, und weniger Männer über 60." Borrell sei als Außenbeauftragter "bei vielen unbeliebt" gewesen, "weil er wenig geliefert hat, aber dabei oft arrogant auftrat", so Lange. "Mit Kallas an dieser Position würde die EU ein gutes Upgrade erhalten."

Zuhause hat sie Punkte verloren

Tatsächlich spricht eine ganze Reihe von Gründen für Kallas - nicht nur ihr Alter und der europäische Proporz. Sie war vier Jahre, von 2014 bis 2018, Europaabgeordnete und kennt den Brüsseler Betrieb auch aus der Perspektive des Parlaments. Ihr Vater war der erste estnische EU-Kommissar in Brüssel. Vor allem aber wäre Kallas' Berufung ein klares Signal an Russland.

Wie kaum eine zweite Persönlichkeit an der Spitze eines NATO- und EU-Staats wirbt sie vehement für eine Unterstützung der Ukraine, damit das Land sich gegen den russischen Überfall verteidigen kann. "Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert nun schon vier Jahre", sagte Kallas kürzlich beim Ukraine-Gipfel in der Schweiz. "Den größten Teil dieser Zeit hat die Welt ihn ignoriert. Einige hofften damals und hoffen heute, dass territoriale Zugeständnisse an den Aggressor Frieden bringen werden. Aber das werden sie nicht." Russland, betonte Kallas, sei eine Kolonialmacht, auch wenn es selten als solche wahrgenommen werde.

Für Kallas hätte die Beförderung nach Brüssel zudem einen klaren Vorteil: So gut ihr Ruf auf internationaler Ebene ist, so angekratzt ist er zuhause. Das hat mit einer Affäre um ihren Mann Arvo Hallik zu tun: Im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass Hallik Anteile an einer Transportfirma hatte, die Geschäfte mit Russland machte. Medien in Estland forderten ihren Rücktritt, bei den Europawahlen verlor ihre Reformpartei acht Punkte und fiel auf 18 Prozent.

Härte Richtung Russland, Empathie für Europa

Das jedoch ist nicht der Grund, warum es am Montagabend beim informellen Gipfel der Staats- und Regierungschefs noch keine Einigung über die Verteilung der EU-Spitzenposten gab. Nach Einschätzung von Rafael Loss vom European Council on Foreign Relations (ECFR) lag es auch nicht an Kontroversen über die kursierenden Namen. Der Grund sei vielmehr, dass die Europäische Volkspartei (zu der auch CDU und CSU gehören) nach ihrem Wahlsieg austestet, ob sie nicht mehr Einfluss geltend machen kann. Kallas jedenfalls sei "keine allzu kontroverse Kandidatin mehr", sagt Loss ntv.de. Sie betone zwar immer die Unterstützung der Ukraine und die europäische Verteidigungsfähigkeit. Aber sie versuche zugleich, "eine gewisse Empathie auszustrahlen". Beispielsweise, indem sie ihre Familiengeschichte mit ihren politischen Vorstellungen verbindet, um diese anschlussfähig für andere Teile Europas zu machen - etwa für die Südeuropäer, die weit weg von Russland sind und nicht jede Befürchtung der östlichen Partner teilen.

Auch beim Gipfel in der Schweiz berief Kallas sich auf ihre eigene Familiengeschichte: Sie sprach über ihre Mutter, die als Baby nach Sibirien deportiert wurde. Frieden zu russischen Bedingungen sei gleichbedeutend mit massenhaften Gräueltaten, Unterdrückung und Kolonisierung, sagte Kallas. Anders als US-Präsident Joe Biden oder Bundeskanzler Olaf Scholz tänzelt die Estin nicht herum, wenn es darum geht, wie dieser Krieg enden soll: "Die Ukraine muss gewinnen, Russland muss vertrieben werden, und der russische Aggressor und die Kriegsverbrecher müssen vor Gericht gestellt werden", forderte sie bereits 2022 in einem Artikel für die Zeitschrift "Foreign Affairs".

Das ist nicht nur Gerede, sondern hart unterfüttert: Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt unterstützt kein Land die Ukraine stärker als das kleine Estland - Deutschland steht in dieser Statistik des Kieler Instituts für Weltwirtschaft auf Platz 13, die USA auf Platz 23. Das Gleiche gilt für das Zweiprozentziel der NATO. Während Deutschland sich in diesem Jahr knapp über die 2014 festgeschriebene Marke schleppte, liegen die estnischen Verteidigungsausgaben bei 3,43 Prozent des BIP - Platz zwei hinter Polen und vor den USA.

"Das wäre ein starkes Zeichen der EU"

Entsprechend bewertet der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter die Personalie. "Es ist wünschenswert und würde die EU enorm stärken, wenn die estnische Premierministerin Kaja Kallas künftig die EU-Außenbeauftragte wird", sagt er ntv.de. "Dies wäre ein starkes Zeichen der EU, endlich umzudenken und sich einerseits stärker um europäische Sicherheit zu kümmern."

Zugleich wäre Kallas als EU-Außenbeauftragte "ein Signal politischer Abschreckung gegenüber Russland, denn Kallas hat nicht nur schon immer vor Russlands imperialen Ambitionen und seinem hybriden Krieg gegen Europa gewarnt, sie ist auch an der Spitze derer, die die Ukraine viel stärker unterstützen will". Kiesewetter weist darauf hin, dass der Vorschlag, 0,25 Prozent des BIPs für die militärische Unterstützung der Ukraine einzusetzen, von Kallas stammt. "Sie wäre ein enorm starkes Pendant zu einem künftigen NATO-Generalsekretär und könnte der EU neues Gewicht geben." Den Vorschlag hatte Kallas im März bei einer Konferenz in Berlin unterbreitet. Auch Scholz nannte ihn "sympathisch" - schließlich liegt Deutschland mit seiner Hilfe bereits oberhalb der 0,25 Prozent.

Befürchtungen, dass Kallas sich als Außenbeauftragte zu stark auf das Thema Russland konzentrieren könnte, weist ECFR-Experte Loss zurück. "Für eine Außenbeauftragte Kallas wird Russland eine große Rolle spielen", sagt er. "Aber das wird es ohnehin tun."

Quelle: ntv.de

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