Politik

Kein Frühling in Moskau Kalte Freundschaft mit Russland

Rollentausch in Sicht: Russlands Präsident Medwedew könnte bald Ministerpräsident werden - unter einem Wieder-Präsidenten Putin.

Rollentausch in Sicht: Russlands Präsident Medwedew könnte bald Ministerpräsident werden - unter einem Wieder-Präsidenten Putin.

(Foto: dpa)

Nach den Parlamentswahlen ist es unruhig geworden in Russland. Viele Menschen machen ihrem Unmut über den Ausgang der Wahlen, die soziale Ungerechtigkeit und die Allmacht der Putin-Partei "Einiges Russland" in Demonstrationen Luft. Gegen die Personalie Putin selbst richten sich jedoch nur selten Proteste. Dass er 2012 erneut Präsident wird, daran zweifeln nur wenige. Die sechs Jahre seiner möglicherweise kommenden Amtszeit könnten Russland viele Chance eröffnen. Es drohe aber auch eine neue Eiszeit in den internationalen Beziehungen, meint Alexander Rahr, Russlandexperte und Autor des Buches "Der kalte Freund".

n-tv.de: Wie bewerten Sie die Lage in Russland?

Alexander Rahr: Dort gibt es nicht so etwas wie einen Arabischen Frühling. Dort demonstriert ein Teil der Intellektuellen, ein Teil der neuen Mittelschicht gegen die Ungerechtigkeiten bei der Parlamentswahl.

Was meinen Sie mit Ungerechtigkeiten?

In Russland demonstrieren Kommunisten, Demokraten und Monarchisten gegen die Wahlfälschungen.

In Russland demonstrieren Kommunisten, Demokraten und Monarchisten gegen die Wahlfälschungen.

(Foto: dpa)

In vielen Provinzen wurden sogenannte administrative Ressourcen benutzt. Es wurde nachgeholfen, damit die Partei "Einiges Russland" ein besseres Ergebnis bekommt als die Wähler wollten. Es scheint tatsächlich so, dass dieser Partei zehn Prozent der Stimmen hinzuaddiert wurden. Natürlich gibt es auch Unzufriedenheit mit dem System Putin. Aber die hält sich in Grenzen. Es gibt wenige Losungen, die Putins Rücktritt fordern. Es wird keine Alternative zu ihm aufgezeigt. Die Menschen demonstrieren gegen die soziale Ungerechtigkeit, für die viele Putins Partei "Einiges Russland" verantwortlich machen. Zugleich richten sich die Proteste gegen die Allmacht, welche die Partei aufgebaut und wirklichen politischen Pluralismus abgewürgt hat. Es ist jetzt an Putin, an der Partei, an den Machthabern, etwas zu verändern. Das ist auf zweierlei Art möglich: Entweder man ringt die Demonstrationen mit Gewalt nieder. Das aber würde zu noch mehr Demonstrationen, zu noch mehr Widerstand und Unzufriedenheit führen. Das kann sich Putin so kurz vor den Präsidentenwahlen im März kaum leisten. Oder man lässt Druck aus dem Kessel. Man kann liberale Neuerungen einführen, um die meisten der Demonstranten zufriedenzustellen.

Präsident Dmitri Medwedjew hat politische Reformen angekündigt, ohne konkrete Schritte zu benennen. Was müsste er aus Ihrer Sicht machen?

Medwedew kämpft um sein historisches Erbe. Er soll ja unter einem Präsidenten Putin - und es bestehen kaum Zweifel, dass Putin Präsident wird - für sechs Jahre Premierminister werden. Und als solcher wird er versuchen, jene liberale Wirtschaftsagenda fortzusetzen, die er jetzt schon angestoßen hat, mit fragwürdigem Erfolg allerdings, weil die Widerstände zu groß waren. Medwedew hat als Politiker auch keine große Durchsetzungskraft. Als Premier unter Putin wird er aber in einigen Wirtschaftszweigen Freiraum bekommen. Ich bin davon überzeugt, dass die nächste Regierung nicht aus Geheimdienstlern besteht. Sie besteht ja heute schon kaum aus Geheimdienstlern, eher aus einigen Leuten mit geheimdienstlichem Hintergrund. Aber die sogenannten Silowiki, die Vertreter von Armee, Geheimdiensten und Polizei, müssen weichen. Die neuere Generation der jetzt 40- bis 50-jährigen Fachleute wird zusammen mit Medwedew Regierungsverantwortung übernehmen müssen. Das ist eine Generation, die den Kommunismus kaum kennt, die sich mit der Entwicklung der letzten 20 Jahre identifiziert und nicht mehr die Sowjetunion zurückhaben will. Die nächsten sechs Jahre bedeuten für Russland mehr Chancen für Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft, obwohl die alte Bürokratie noch sehr viel Einfluss hat.

"Russland Demokratie zu lehren ist ein hoffnungsloses Unterfangen", lautet der erste Satz Ihres Buches. Wie darf man dies interpretieren?

Das ist der Aufruf des Publizisten, sich einmal in das Innere Russlands hineinzudenken. Zugleich drückt der Satz eine gewisse Frustration aus. Die USA und auch die EU konzentrieren sich auf die Frage, wann Russland endlich dieselben demokratischen Werte annimmt wie sie. Wenn nicht, kann es nicht unser Verbündeter sein, manch einer spricht sogar von einem Feind. Die Russen sind zu stolz, sich ständig belehren zu lassen. Ich denke, wir können und müssen eine strategische Partnerschaft eingehen, ohne dass wir ständig in Sachen Demokratie belehren.

Sie sprechen von Russland als kaltem Freund. Geht es um die russischen Energieressourcen?

Ja, auch. Aber da stecken noch mehr Metaphern darin. Wir sind nach dem Ende des Kalten Krieges keine warmen, keine natürlichen Freunde geworden, sind aber auch keine Feinde mehr. In dieser Welt müssen wir unsere gegenseitigen Vorteile suchen und partnerschaftlich miteinander umgehen. Ich habe Putin gefragt, wieso wir 20 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion noch nicht zusammengekommen sind.

Was hat er geantwortet?

Russland wäre zu groß und könne deshalb nicht in die NATO und in die EU. Das war aber nur seine halbe Antwort. Die andere Hälfte lautete: Die Amerikaner wollen verhindern, dass Ost- und Mittelosteuropa sich mit Westeuropa zu einem gemeinsamen Kontinent zusammenfüge und die Amerikaner dann möglicherweise außen vor bleiben. Die Amerikaner versuchen, die transatlantische Allianz aufrechtzuerhalten, auch auf die Gefahr einer neuen Spaltung Europas.

Alexander Rahr leitet das Berthold-Beitz-Zentrum - Kompetenzzentrum für Russland, Ukraine, Belarus und Zentralasien.

Alexander Rahr leitet das Berthold-Beitz-Zentrum - Kompetenzzentrum für Russland, Ukraine, Belarus und Zentralasien.

(Foto: Premier.gov.ru)

Die Antwort ist die Eurasische Union.

Genau. Manch einer versucht, das Projekt lächerlich zu machen. Aber denen wird das Lachen noch vergehen.

Die Ukraine bleibt ein Zankapfel.

Der polnisch-amerikanische Politologe Zbigniew Brzezinski hat gesagt, solange die Ukraine nicht wieder mit Russland geht, kann Russland nicht wieder zum Imperium werden. Davon lässt sich der Westen leiten.

Nach dem Treffen zwischen Medwedjew und Obama 2009 war von einem Neustart in den Beziehungen die Rede. Danach sieht es gegenwärtig überhaupt nicht aus. Fürchten Sie eine weitere Verschärfung der Beziehungen?

Ja, diese Furcht sollte man haben. Wir Europäer bekämen Probleme, wenn die Russen als Antwort auf den strategischen Raketenabwehrschirm mitten in Europa, bei Kaliningrad, ihre eigenen Raketen aufstellen, die auf Installationen des Schirms in Polen, Tschechien und der Türkei gerichtet sind. Das ist kein neuer kalter Krieg, aber eine neue Eiszeit, wenn Putin im Mai nächsten Jahres - sehr wahrscheinlich - ins Präsidentenamt eingeführt wird und der US-Wahlkampf beginnt.

Quelle: ntv.de, Mit Alexander Rahr sprach Manfred Bleskin

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