EU-Parlament will raus aus Straßburg Kann Europa sparen?
20.11.2013, 17:05 Uhr
In Straßburg beschloss das EU-Parlament, dass es hier lieber gar nicht mehr tagen würde.
(Foto: dpa)
Europa ist teuer, undurchsichtig und langsam. Schuld daran sind aber nicht die Europapolitiker, sondern die Mitgliedstaaten. Nun wehrt sich das Europaparlament. Eine erste wichtige Entscheidung ist getroffen.
Wenn eine Behörde mit 5500 Beschäftigten und 1700 Assistenten umzieht, ist das ein gigantischer Aufwand. Akten müssen aus den Schränken geholt, in Kisten geladen, transportiert und am Bestimmungsort wieder einsortiert werden. Allein für diese Papiere sind acht große LKW notwendig, für die Mitarbeiter fährt ein Sonderzug.
Was klingt wie eine Ausnahmesituation, ist in der Europäischen Union der Normalfall: Einmal pro Monat zieht das Europäische Parlament von Brüssel nach Straßburg und wieder zurück. Der "Wanderzirkus" ist das Symbol für Verschwendung und Maßlosigkeit, mit der in der EU Politik gemacht wird. 200 Millionen Euro pro Jahr sollen die Transfers kosten, 19.000 Tonnen an CO2 fallen an, das riesige Gebäude in Straßburg steht immer bereit, obwohl es nur an 42 Tagen im Jahr genutzt wird. 100.000 Arbeitstage gehen den Beamten und ihren Mitarbeitern durch die Reisen pro Jahr verloren, errechnete das Parlament selbst.
Die europäischen Parlamentarier gelten darum vielen vor allem als Geldvernichter. Nur: Für die teure Pendelei können sie nichts, niemand ist unglücklicher mit der Situation als sie selbst. Schuld an den teuren Umzügen sind die Regierungen der Mitgliedstaaten. Alle Vorstöße, mit denen die Parlamentarier die Fahrerei beenden wollten, scheiterten am Europäischen Rat, also dem Gremium, in dem die Staats- und Regierungschefs der Nationalstaaten sitzen.
Parlament will kein "Hampelmann" mehr sein
In der Straßburg-Frage ist es Frankreich, das den Standort nicht aufgeben möchte, weil er in der Stadt Arbeitsplätze schafft und Prestige ausstrahlt. Die offizielle Begründung des Europaministers Thierry Repentin lautet, die EU solle "polyzentrisch" bleiben – ein Argument, mit dem sein Land ganz allein dasteht. Doch der Sitz in Straßburg ist im EU-Vertrag festgelegt, dem Dokument, auf dem die gesamte EU aufgebaut ist.

Der deutsche EU-Parlamentarier Häfner treibt die Aufgabe des Standortes Straßburg voran.
(Foto: dpa)
Die Abgeordneten versuchen nun, den Vertrag zu ändern. Sie wollen "selbst entscheiden, wann wir uns treffen, wo wir uns treffen und wozu wir uns treffen", sagte der deutsche Grünen-Abgeordnete Gerald Häfner, der den Beschluss in Zusammenarbeit mit Kollegen aus vielen anderen Fraktionen ausgearbeitet hatte. 483 Parlamentarier stimmten für seinen Plan, nur 141 dagegen. Obwohl die Regierungen, also auch Frankreich noch zustimmen müssen, strahlte Häfner Optimismus aus: "Dieses Parlament steht vor einem Durchbruch, vor einer historischen Stunde", sagte er.
Häfner sieht die Entscheidung als ein Symbol dafür, dass sich das Parlament selbst ernst nimmt: "Es geht um die Frage, ob wir uns als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger verstehen oder als Hampelmann, ein untergeordnetes Organ der Regierungsspitzen in Europa." Damit spricht der Politiker die zwei Sichtweisen an, die es zur EU gibt: Für die einen ist sie ein Verbund aus Staaten und darum haben zu Recht die Chefs dieser Staaten das Sagen. Das Parlament ist für sie nur eine von vielen Behörden. Für die anderen ist die EU eine Art Superstaat, auch wenn sie im Vergleich zu ihren Mitgliedern nur sehr wenige Kompetenzen hat. Aus dieser Sicht müsste das Parlament die zentrale Rolle in der EU spielen, der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs wäre nur eine zweite Kammer, so wie in Deutschland der Bundesrat.
Europa der Bürger oder der Staaten?
Häfners Sicht der Dinge ist so wie die vieler seiner Kollegen sehr deutlich: "Wir wollen kein Europa von Oben nach Unten, ein Europa der Technokratie. Wir wollen ein Europa der Demokratie, ein Europa der Bürger." Und in seinem solchen Europa müsste eben auch das Parlament selbst entscheiden dürfen, wann und wo es arbeitet.
Obwohl in vielen Ländern eine große Skepsis vor der EU herrscht, werden die Verfechter des "Europas der Bürger" immer stärker. Zum ersten Mal wird es im Mai eine Wahl geben, bei der Spitzenkandidaten in einem europaweiten Wahlkampf gegeneinander antreten. Dass sich das Parlament nun gegen die Regierungen stellt und Einsparungen fordert, könnte seine Popularität steigern. Obwohl im Parlament Vorschläge oft sehr lange ausgehandelt und von Abgeordneten vieler Parteien beschlossen werden, stellen sich die Regierungen immer wieder quer, weil sie ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen.
Ob das dieses Mal anders sein wird, ist noch nicht klar. Zwar macht das Parlament großen Druck, doch die Zustimmung Frankreichs kann es nicht erzwingen. Der französische Europaminister sagt, die Position seines Landes sei "nicht verhandelbar". Solche Sprüche hört man in Straßburg allerdings häufiger. Und niemand kann so gut Kompromisse aushandeln, wie die EU-Abgeordneten.
Quelle: ntv.de