Politik

"Einfach mal Neuland" Kanzlerin trifft auf Volk

Bilder, die das Bundespresseamt lieben dürfte: Charmante Kanzlerin spricht mit engagiertem Jungvolk.

Bilder, die das Bundespresseamt lieben dürfte: Charmante Kanzlerin spricht mit engagiertem Jungvolk.

(Foto: dpa)

In mehreren Veranstaltungen stellt sich die Kanzlerin seit Wochen dem Wahlvolk. Der Bürger fragt, Merkel antwortet, so das Prinzip. Dass das in der Praxis nicht wirklich funktioniert, zeigt der "Bürgerdialog zur Zukunft Deutschlands", der in Berlin seinen Abschluss findet. Der Bürger fragt. Aber Merkel antwortet irgendwie nicht.

Da hält die Kanzlerin Wort. Mit Bürgern will sie sprechen, Anregungen aufnehmen, zuhören. Immer wieder verspricht Angela Merkel in den vergangenen Monaten solche Dinge. Alle Politiker machen das in letzter Zeit. Spätestens, seitdem der Bürger in Stuttgart dem Politiker gezeigt hat, was eine Harke ist. Und tatsächlich, sie hält Wort. Beim "Bürgerdialog zur Zukunft Deutschlands" darf Deutschland mal so richtig nah an sie heran.

Der Berliner Standort der Bertelsmann-Stiftung.

Der Berliner Standort der Bertelsmann-Stiftung.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Ankunft Kanzlerin: Die spröde Frau aus Mecklenburg-Vorpommern entsteigt ihrer gepanzerten Limousine, auf dessen Kühlergrill die vier Ringe prangen. Türe auf, Lächeln an. Als sie in der Einfahrt der Berliner Repräsentanz der Bertelsmann-Stiftung steht, zieht sie noch eben ihren Blazer glatt. Heute trägt sie den grünen. Und schon hat das Empfangskomitee sie erreicht. Devot gebückte Stiftungsmitarbeiter reichen ihr die Hand, versichern der Spitzenpolitikerin ihre Ehrerbietung und Dankbarkeit dafür, dass sie sich die Zeit genommen hat.

Schon hat man die Staatslenkerin ins Innere des Prunkbaus an Berlins Prachtboulevard Unter den Linden geschoben. Im Foyer ist eine Fotowand aufgebaut worden. Zehn, fünfzehn Fotografen und Kameraleute lungern schon seit 30 Minuten davor herum. Sie warten auf ihre 90 Sekunden, und die sind jetzt gekommen. Merkel kommt, macht die Raute, es hagelt Blitze, Merkel geht. Ehe sie sich überhaupt besinnen kann, schiebt man sie weiter.

"Merken, wo die Wunde schmerzt"

Es ist dieser Kokon, aus dem Merkel versuchen möchte, auszubrechen. Aus der engen Abfolge von Gipfeln, Tagungen, Sitzungen. Alle vier Jahre wendet sich die Politik fragend ans Volk. Wer soll das hier weitermachen? Ansonsten kommt dieser Kosmos über weite Strecken ganz gut ohne den Bürger aus. Über Jahrzehnte macht der das auch klaglos mit. Doch seit ein, zwei Jahren verlangt er nach mehr. Er will gefragt werden, mitreden, mitbestimmen. Ständig.

Die Kanzlerin betritt die reale Welt.

Die Kanzlerin betritt die reale Welt.

(Foto: dpa)

Dass die Bundesregierung das verstanden hat, soll die Reihe von Bürgerdialogen, die seit Jahresbeginn an verschiedenen Orten der Republik immer wieder stattfinden, zeigen. Kanzlerin kommt, Volk spricht, Kanzlerin geht. So läuft das meistens ab. Und so ist es auch heute. In 50 Volkshochschulen treffen sich seit Wochen politisch Interessierte und überlegen, wie Deutschland in Zukunft aussehen soll. Per Los erhalten 140 von ihnen eine Einladung nach Berlin und dürfen Merkel von Angesicht zu Angesicht sagen, wo der Schuh drückt.

Oder wie es Detlef Bonni ausdrücken würde: "Die Kanzlerin soll merken, wo die Wunde schmerzt." Detlef Bonni kommt aus dem Oberspreewald und ist einer der Auserwählten. Wie jeder, der hier ist, hat er eine spezielle Mission, ein Kernanliegen. Für Bonni ist es die Frage, wie Deutschlands Innovationskraft gewahrt bleiben kann, wie das, was junge Ingenieure an ihren Hochschulen entwickeln, auch in deutschen Unternehmen zur Anwendung kommen kann.

Parieren, aber nichts versprechen

Detlef Bonni wird ohne Antwort nach Hause gehen müssen. Was zum einen am Modus der Veranstaltung liegt, zum anderen aber auch an der Kanzlerin selbst. Zum Modus: Nur ein Bruchteil der in den Augen der Bürger dringlichsten Zukunftsfragen kommen hier zur Sprache, denn Merkel hat nur eine Stunde Zeit für den Dialog freimachen können. Außerdem stellen dann auf dem Podium, mit zitternden Händen und brüchigen Stimmen, vor laufenden Kameras und unter den Augen von gut 40 Journalisten, nur sechs Bürger die Fragen.

Gerhard Schröder qualmte ganz gern mal eine.

Gerhard Schröder qualmte ganz gern mal eine.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Zur Kanzlerin: Angela Merkel hat im Laufe der Jahre dazu gelernt. Oft hat man ihr früher vorgeworfen, sie fremdle mit den Menschen. Sie sei, ganz Naturwissenschaftlerin und das Klischee erfüllend, eher an Lösungen in der Sache interessiert als daran, Wähler zu begeistern. Kein Schulterklopf-Gerd-Schröder, keine Umarmerin, volksfern, aber redlich. Viele mochten gerade diesen Gegenentwurf zu den Stumpen rauchenden rot-grünen Dandys. Nun mag Merkel noch immer redlich sein. Volksfern ist sie aber nicht mehr. Zumindest kann sie Nähe überzeugend darstellen.

Und so sprüht Angela Merkel auf der Bühne für ihre Verhältnisse förmlich vor Witz. Sie geht auf die schüchternen Fragesteller zu, ist nett, macht Späße. Aber auch etwas anderes kann sie und zeigt es an diesem Mittag: unverbindlich bleiben. Die Fragen der Bürger kann Merkel stets parieren. Sie verspricht nichts.

Echtes Interesse oder PR-Aktion?

So erklärt sie, warum sie es nicht ändern kann, dass in der Bildung nicht alles bestens ist. Sie erklärt, dass das daran liegt, dass in den Bundesländern unterschiedliche Ansätze verfolgt werden. Föderalismus eben, steht so im Grundgesetz. Sie kann da nichts machen, sich aber darum bemühen, dass es gemeinsame Standards gibt. Politikerstanzen sind das. Wenn es konkret wird, sagt Merkel Sätze wie: "Ich werde das gerne mit in die Gespräche nehmen."

Merkel gelingt es nicht, sich aus dem Sprechblasen-Kokon der Politik zu befreien. Als versuche sie es, aber scheitere an der Macht der Gewohnheit. Oder ist alles am Ende doch nur eine PR-Aktion der Strategen des Bundeskanzleramts? Warum macht die Kanzlerin das, die Bürger befragen? Auch der Moderator stellt Merkel diese Frage.

Sie zuckt mit den Schultern, lächelt das charmante Mädchenlächeln, das sie beherrscht und sagt: "Einfach mal Neuland." Wie es denn jetzt weitergehe, will man von ihr wissen. Sie erklärt, dass sie das jetzt auswerten will, ein Buch soll entstehen, in die Ressorts will sie die Anregungen weitergeben. Und dann? "Und dann überlegen wa mal", sagt die Kanzlerin. Es scheint sicher: Da wird sie Wort halten.

Quelle: ntv.de

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