Zehn Jahre Afghanistan-Krieg Karsai: Es gibt keine Sicherheit
07.10.2011, 21:20 Uhr
Obama gedenkt der Opfer von zehn Jahren Krieg.
(Foto: dpa)
Die Bilanz aus zehn Jahren Krieg in Afghanistan fallen unterschiedlich aus. Während US-Präsident Obama einige Errungenschaften sieht, beklagt der afghanische Präsident Karsai, dass es keine Sicherheit für die Bevölkerung gebe. Dafür macht er auch die internationalen Truppen verantwortlich. Die Taliban feiern bereits die "Demütigung" der USA.
Zehn Jahre nach Beginn des hat US-Präsident Barack Obama der am Hindukusch getöteten Soldaten gedacht. Obama sprach von einem "Jahrzehnt der Opfer", das hinter den Vereinigten Staaten liege. Afghanistans Präsident Hamid Karsai bezeichnete die Bemühungen seiner Regierung und der internationalen Gemeinschaft um die Sicherheit in seinem Land unterdessen als "gescheitert".
Obama erinnerte an die "fast 1800 amerikanischen Patrioten" sowie jene Soldaten der NATO-Truppe ISAF und der afghanischen Armee, "die für unsere gemeinsame Sicherheit und Freiheit in Afghanistan das ultimative Opfer gebracht haben". Insgesamt ließen bislang mehr als 2700 ausländische Soldaten am Hindukusch ihr Leben, darunter auch 52 Angehörige der Bundeswehr. Einer Untersuchung der US-Universität Brown zufolge wurden in dem zehnjährigen Konflikt schon mehr als 33.000 Soldaten, Aufständische und Zivilisten getötet.
Der US-Präsident zog zudem eine vorsichtig positive Bilanz. Die USA und ihre Bürger seien dank des Militäreinsatzes sicherer, teilte er in Washington mit. Nach der Tötung von Terroristenchef Osama bin Laden und vieler anderer Extremisten sei man dem Ziel "näher denn je, Al-Kaida und ihr mörderisches Netzwerk zu schlagen". Obama räumte aber gleichzeitig ein, es gebe weiter "enorme Herausforderungen" am Hindukusch.
"Politische Zentrale der Taliban in Pakistan"
Karsai beklagte unterdessen in einem Interview mit der BBC, seine eigene Regierung und die Truppen der NATO hätten es nicht geschafft, dem afghanischen Volk Sicherheit zu bringen. Der afghanische Präsident bekräftigte erneut seine Bereitschaft zu Verhandlungen mit den radikalislamischen Taliban. Allerdings wisse er nicht, "mit wem er sprechen" und "an welche Tür" er klopfen könne, da die politische Zentrale der Taliban offensichtlich in Pakistan sei.
Die Hoffnung auf eine politische Lösung hatte Ende September einen schweren Rückschlag erlitten, als der mit den Friedensgesprächen beauftragte afghanische Ex-Präsident Burhanuddin Rabbani bei einen Selbstmordanschlag getötet wurde. Karsai kündigte weiter an, dass er 2014 nicht wieder bei der Präsidentenwahl antreten und einen Nachfolger suchen werde. Zugleich beschuldigte Karsai ausländische Regierungen und Unternehmen, sie seien zu einem großen Teil für die Korruption im Land verantwortlich.
Merkel sieht Lage "realistischer"
Die Bundesregierung zog eine nüchterne Bilanz. Man sehe die Entwicklungen und die Möglichkeiten einer Demokratisierung nach westlichem Muster heute "realistischer", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Treffen mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte in Berlin. Wichtig sei jedoch auch, dass die Terrororganisation Al Kaida nicht mehr den Einfluss habe wie vor Beginn der Kampfhandlungen. Und wichtig sei auch, dass die afghanische Bevölkerung den Eindruck bekomme, man lasse sie auch nach einem Abzug nicht allein.
Im Gegensatz zu Karsai zählte Obama auch Errungenschaften auf. So seien die Taliban aus ihren wichtigsten Hochburgen vertrieben worden, die afghanischen Sicherheitskräfte würden stärker und "das afghanische Volk hat eine neue Chance, seine eigene Zukunft zu gestalten". Die USA hätten demonstriert, dass man niemals gegen den Islam in den Krieg ziehen werde. Die Vereinigten Staaten seien vielmehr Partner derer, die "Gerechtigkeit, Würde und Chancen" suchten.
Als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 hatte der damalige US-Präsident George W. Bush einen Militäreinsatz gegen die Taliban befohlen, die dem Terrornetzwerk Al Kaida Unterschlupf gewährt hatten. Das US-Militär flog am 7. Oktober 2001 erste Luftangriffe auf Ziele in Afghanistan, binnen weniger Wochen waren die Taliban gestürzt. Die NATO entsandte Ende 2001 die ISAF-Mission, um den Wiederaufbau Afghanistans zu unterstützen und die Sicherheit zu garantieren.
Einsatz "verantwortlich" zu Ende bringen
Während die USA sich ab 2003 vor allem auf den Krieg im Irak konzentrierten, kehrten die Taliban aus ihren Rückzugsgebieten im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet zurück und begannen einen blutigen Aufstand. Nach einer deutlichen Aufstockung ihrer Kräfte will die NATO nun die Sicherheitsverantwortung bis Ende 2014 vollständig an die Afghanen übergeben und alle Kampftruppen aus dem Land abziehen. Derzeit sind noch rund 140.000 ausländische Soldaten am Hindukusch stationiert, darunter auch 4900 Bundeswehr-Soldaten. Washington werde den Einsatz in Afghanistan "verantwortlich" zu Ende bringen, versprach Obama.
Die radikalislamischen Taliban sagten derweil den USA und ihren Verbündeten ein Scheitern in Afghanistan voraus. Den Taliban stehe ein "gottgewollter Sieg" bevor, hieß es in einer Mitteilung der Aufständischen. Eine Fortsetzung der Kampfhandlungen werde nur mit einer völligen Demütigung der US-geführten Truppen enden. Mit ihrem Angriff in Afghanistan hätten die "arroganten amerikanischen Kolonialisten" alle Menschenrechtsnormen und die Eigenständigkeit eines unabhängigen Staates verletzt, hieß es weiter. Den angekündigten Abzug feierten sie als Sieg ihrer "verstärkten Dschihad-Operationen".
Quelle: ntv.de, AFP/dpa