Präsident in Lauerstellung Klitschkos gefährliches Roulette
28.01.2014, 16:49 Uhr
Klitschko mit Fraktionsmitgliedern aus seiner Udar-Partei
(Foto: picture alliance / dpa)
Es tut sich was in der Ukraine. Präsident Janukowitsch macht seinen Gegnern vermeintliche Friedensangebote. Doch die Opposition um Vitali Klitschko lehnt ab. Das mag riskant sein, richtig ist es aber trotzdem.
Am Wochenende überraschte Viktor Janukowitsch mit einem unmoralischen Angebot. Ukraines Präsident bot den Oppositionsführern Vitali Klitschko und Arseni Jazenjuk hochkarätige Regierungsämter an. Dazu versprach er Straffreiheit für festgenommene Demonstranten. Doch Klitschko und Jazenjuk lehnten ab. Zu Wochenbeginn ging Janukowitsch noch weiter. Er kündigte an, die Gesetze zur Einschränkung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit zurückzunehmen. Kaum 24 Stunden später trat die gesamte ukrainische Regierung - und das vermutlich unter erheblichem Druck - zurück.
Es tut sich was in der Ukraine, und das ist bemerkenswert. Zwei Monate lang hatte Janukowitsch die Straßenkämpfe mit der eisernen Pranke des Despoten beantwortet. Es schien, als spiele er auf Zeit und wolle die Demonstranten im eisigen Winter von Kiew an ihre physischen Grenzen bringen. Doch plötzlich scheint es, als sei es der 63-Jährige, der an seine Grenzen stoße. Innerhalb weniger Tage gab er den Forderungen der Opposition Stück für Stück nach. Klitschko könnte jetzt zugreifen, aber er tut gut daran zu zögern. Ihn deshalb als Zauderer zu bezeichnen, ist falsch. Tatsächlich spielt er Vabanque. Janukowitsch reicht ihm den kleinen Finger, aber Klitschko ist das zu wenig. Er will die ganze Hand - und das aus gutem Grund.
Marionette von Janukowitsch' Gnaden
Klitschko weiß um die Gefahren. Schlägt er ein und nimmt Janukowitschs Angebot an, stünde er als käuflich da. Das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten im Tausch gegen den zähen Kampf auf den Straßen - die Offerte ist wohl kalkuliert. Der Präsident bot nur zwei der drei Oppositionsführer ein Amt an. Oleg Tjagnibok, dessen nationalistische Swoboda die Brutalität der Proteste zuletzt erheblich anfeuerte, wäre leer ausgegangen. So versuchte Janukowitsch die Opposition zu spalten. Und nicht nur das.
Ex-Boxweltmeister Klitschko ist alles andere als ein Politikprofi. Im Regieren hat er null Erfahrung. Aber so viel weiß er: Ließe er sich auf das vergiftete Angebot ein, würden seine Mitdemonstranten ihn in kürzester Zeit zum neuen Feindbild hochstilisieren. Sowohl seine Glaubwürdigkeit als auch der Einfluss auf die Protestbewegung wären futsch. Ein demokratischer Neuanfang, den er anstrebt, wäre gemeinsam mit dem umstrittenen Präsidenten nicht zu machen. Als stellvertretender Regierungschef wäre Klitschko nur Marionette von Janukowitschs Gnaden.
Keine halben Sachen
Für Klitschko zählt jedoch nur eins: Er will sich von einer Mehrheit der Ukrainer bei einer vorgezogenen Wahl zum Präsidenten wählen lassen und die Ukraine daraufhin zu einem demokratischen Land nach westeuropäischen Vorbild formen. Dafür muss Janukowitsch weg - und das möglichst durch ein entsprechendes Ergebnis an den Wahlurnen. Umso konsequenter ist es, dass die Opposition nicht locker lässt. Die Minimal- ist gleichzeitig die Maximalforderung: vorgezogene Neuwahlen.
So schlecht sind die Aussichten nicht: Das komplette Zentrum Kiews befindet sich inzwischen in den Händen der Demonstranten, auch andere Provinzen wurden von dem Widerstand gegen die Obrigkeit erfasst. Jeden Tag gehen Hunderte Bilder von den Straßenkämpfen um die Welt, dazu gesellt sich nun das eines Präsidenten, der Schwäche zeigt. Die Oppositionsführer haben den Spieß längst umgedreht. Nach den Erfolgen der letzten Tage setzen sie auf Ermüdungserscheinungen des Janukowitsch-Clans. Das Ziel haben Klitschko & Co. klar vor Augen: Ein Land ohne skrupellose Despoten und unmoralische Angebote. Wenn das nicht nach einem ukrainischen Frühling klingt.
Quelle: ntv.de