Politik

Die Ukraine entscheidet über ihren Kurs Klitschkos härtester Kampf

Der Boxer im Bad der Menge.

Der Boxer im Bad der Menge.

(Foto: dapd)

Prügeleien im Parlament, hochdotierte Posten für die Familie, Gefängnis für die Gegner - gemeinhin genießt die ukrainische Politikerkaste kein großes Ansehen. Doch nun mischt bei der Parlamentswahl einer mit, der wie ein Stern am trüben Himmel aufleuchtet: Box-Legende Vitali Klitschko. Für ihn wird die Abstimmung ein schwerer Kampf.

Immer wieder strecken sich ihm Hände entgegen. Hunderte, Tausende. Für Autogrammkarten, für einen Händedruck, für eine Unterschrift auf einem Boxhandschuh. Wo auch immer derzeit Box-Weltmeister Vitali Klitschko in der Ukraine auftritt, berauscht er seine Zuhörer. Besonders, wenn er dann zu seinem feierlichen Gelöbnis ansetzt: "Ich, Vitali Klitschko verspreche euch, dass ich mich nie verkaufen werde". Dabei geht es nicht ums Boxen, sondern um einen mindestens ebenso harten Kampf: Heute wählen die Ukrainer ein neues Parlament und "Dr. Eisenfaust", der 41 seiner 45 Siege durch k.o. errang, mischt mit seiner Partei Udar ("Der Schlag") kräftig mit.

Klitschko jubelt nach einem Boxkampf im September 2011.

Klitschko jubelt nach einem Boxkampf im September 2011.

(Foto: dapd)

Den jüngsten Umfragen zufolge hat der Champion gute Karten. 20 Prozent der Stimmen könnte seine Partei bekommen, womit sie auf Anhieb nach der "Partei der Regionen" von Präsident Viktor Janukowitsch zur zweitstärksten Kraft im Land werden dürfte. Die Partei der "vereinigten Opposition" der einstigen Gasprinzessin Julia Timoschenko, die wegen einer siebenjährigen Haftstrafe zur Wahl nicht antreten darf, hat Klitschko damit überholt.

"Durch Klitschko wird der Wahlkampf spannend", meint die Osteuropa-Expertin Iris Kempe, die lange im Lenkungsausschuss für östliche Partnerschaft der EU saß, im Gespräch mit n-tv.de. "Sportler spielen in der ukrainischen Politik immer eine große Rolle, und mit seiner Karriere ist Klitschko für viele ein Symbol des Erfolgs." Michailo Pogrebniski vom Kiewer Zentrum für Politische Forschung fasst es so zusammen: "Er ist groß, attraktiv, männlich." Damit erfülle er alle Anforderungen an einen "ukrainischen Helden".

Wie kein anderer Kandidat verkörpert Klitschko Glamour, Aufstiegswillen, Weltläufigkeit – und vor allem Distanz zur durch und durch diskreditierten Politikerklasse, die immer mal wieder durch Prügel im Parlament von sich Reden macht. In einem Land, in dem Korruption allgegenwärtig ist, prangert der Box-Star diese heftig an und verspricht, nie mit Janukowitsch und dessen Partei zusammenzuarbeiten. Und auch zu Timoschenko, die jetzt mit verwackelten Aufnahmen aus dem Krankenhaus Wahlkampf macht, hält er Distanz. Zwar gibt es Absprachen, dass sich die Direktkandidaten beider Parteien wechselseitig unterstützen, doch das ist es auch.

Politiker fallen bei "Anstandstest" durch

Wird es künftig mehr solcher Szenen geben? Janukowitsch mit Russlands Präsident Putin vor wenigen Tagen bei Moskau.

Wird es künftig mehr solcher Szenen geben? Janukowitsch mit Russlands Präsident Putin vor wenigen Tagen bei Moskau.

(Foto: AP)

Wie korrupt Politik in der Ukraine ist, zeigt die Initiative Tschesno, bestehend aus zwölf Nichregierungsorganisationen. Sie überprüfte mit einem sogenannten "Anstandsmesser" unter anderem, welche Abgeordneten in Korruption verstrickt sind, ein falsches Einkommen angeben, Parlamentssitzungen schwänzen oder die Fraktion wechseln. Das Ergebnis war verheerend: Gerade einmal drei von 449 Abgeordneten bestanden den Test. Am desaströsten fiel das Ergebnis für Janukowitschs "Partei der Regionen" aus. Laut "Anstandsmesser" sind rund 70 Prozent ihrer Kandidaten in Korruption verwickelt.

Kein Wunder, macht doch auch der Parteivorsitzende Janukowitsch seinen Leuten vor, wie man geschickt Politik und Geschäfte vermengen kann. Der ehemalige Gasinstallateur, der vor allem im russisch geprägteren Osten des Landes seine Anhänger findet und in jungen Jahren noch wegen Diebstahls und Körperverletzung zu Haftstrafen verurteilt wurde, hat sich hochgearbeitet und seine Familie reich gemacht. Sein Sohn Alexander besitzt ein Vermögen von angeblich 99 Millionen Dollar und taucht inzwischen auf der Forbes-Liste der ukrainischen Reichsten auf. Besonders seit dem Amtsantritt des Vaters läuft das Geschäft wie geschmiert. "Familiarisierung", so nennt das US-Institut "Freedom House" die derzeitige Entwicklung in der Ukraine.

Das Bild der Ikone ist angekratzt: Timoschenko-Wahlplakat in Kiew.

Das Bild der Ikone ist angekratzt: Timoschenko-Wahlplakat in Kiew.

(Foto: REUTERS)

Auch die Opposition um Timoschenko hat bei vielen Ukrainern ihren Kredit verspielt. Bei der Orangenen Revolution 2004 galten Timoschenko und Viktor Juschtschenko zumeist noch als Lichtgestalten, als westlich orientierte Reformer, die mit Massenprotesten Janukowitsch zu Fall brachten. Doch danach zerfleischte sich die Opposition untereinander, in der Politik änderte sich nicht viel. Sitze im Parlament sind immer noch käuflich, und wenn das Geld stimmt, zeigen sich Politiker flexibel und wechseln die Partei.

"Die Opposition war fünf Jahre an der Macht, und in dieser Zeit wurde die Korruption schlimmer als zuvor", meinte der Schriftsteller Andrej Kurkow im Sommer im Gespräch mit n-tv.de. "Timoschenko ist kein Engel. Wenn sie jetzt Präsidentin wäre, wäre die Lage auch nicht besser. Jemand anderes säße dann im Gefängnis."

Der Champion als Hoffnungsträger

Kein Wunder, dass in dieser politischen Landschaft der Champion Klitschko vielen als eine Art Heilsbringer erscheint und seine Leibwächter nur mit Mühe die begeisterte Menge von ihm abhalten können. Besonders wenn er auf den Marktplätzen und in Dorfhallen von Träumen und Hoffnung spricht und dann - womit er sich nicht viel von den anderen Kandidaten unterscheidet - den wirtschaftlich arg gebeutelten Ukrainern eine rosige Zukunft verspricht. Höhere Renten soll es geben, höhere Löhne, und eine kürzere Lebensarbeitszeit. Woher dafür das Geld  kommen soll, verschweigt er allerdings, wie er überhaupt in vieler Hinsicht ein unbeschriebenes Blatt ist. "Welchen politischen Kurs Klitschko genau einschlägt, ist noch unklar", meint Kempe. "Derzeit steht er für den Kurs einer Annäherung der Ukraine an die EU."

Und um diese wird es letztlich gehen in diesen Oktobertagen. "Die Abstimmung ist ein Test, ob sich die Ukraine nach Europa oder Russland orientiert", so Kempe. Am Tag nach der Wahl werden die Beobachter aus EU, Europarat und OSZE erklären, ob die Abstimmung weitgehend fair gelaufen ist. Kommen sie – trotz der international heftig kritisierten Inhaftierung Timoschenkos – zu einem positiven Ergebnis, dann kann die EU kaum anders, als die Ukraine mit einem bereits fertigen Assoziierungsabkommen zu belohnen. In diesem geht es nicht nur um Handel, sondern es verpflichtet Kiew auch, Rechtssicherheit für Unternehmen zu schaffen und sich den europäischen Normen anzupassen.

Platzt das Assoziierungsabkommen, so erwarten es etliche Beobachter, wird die Ukraine früher oder später wohl gezwungen sein, sich Russlands Zollunion anzuschließen und dessen immer zweifelhafteren Rechtsnormen. Der Abschied von Europa wäre eingeläutet.

Quelle: ntv.de, dpa

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