Selbstbewußte Grüne Kritik am Koalitionspartner
04.05.2002, 00:02 UhrAuf ihrem Parteitag in Wiesbaden haben sich die Grünen als eigentlicher Reformmotor der Bundesregierung dargestellt und dabei auch den Koalitionspartner kritisiert: Die SPD sei bei der Reform des Arbeitsmarktes zu zaghaft, erklärte Grünen-Parteichef Fritz Kuhn. Soziale Gerechtigkeit könne man nur bewahren, wenn man auch reformbereit sei.
Scharf ins Gericht gingen die Grünen jedoch vor allem mit der Union, der FDP und der PDS. CDU/CSU warfen Kuhn und seine Amtskollegin Claudia Roth "rückwärtsgewandte" Positionen in der Familien-, Frauen-, Energie- und Europapolitik vor. Der FDP warf Roth mit Blick auf deren ambitioniertes 18-Prozent-Ziel vor, sie habe ihre "Integrität für 18 Silberlinge verkauft". Dem Vorsitzenden der Liberalen in Nordrhein-Westfalen, Jürgen Möllemann, hielt sie vor, er habe mit seiner Kritik an Israel "antisemitischen Bodensatz" bedient.
Roth rief ihre Partei zum Auftakt des Parteitags in Wiesbaden zu einem selbstbewussten Kampf für den gestärkten Wiedereinzug in den nächsten Bundestag aufgerufen. Sie sei stolz auf die Bilanz ihrer Partei nach bald vier Jahren Regierungsarbeit, sagte Roth. Nach Jahren des Stillstands hätten die Grünen die Bundesrepublik ökologisch und gesellschaftspolitisch umgesteuert. Die Erfolge etwa beim Atomausstieg dürften bei der Wahl nicht rückgängig gemacht werden.
Nahost-Debatte mit Fischer
Gemeinsam mit Bundesaußenminister Joschka Fischer debattierte der Parteitag eine Stunde lang die Lage im Nahen Osten. Scharf kritisiert wurde die israelische Militäroperation in den palästinensischen Autonomiegebieten. In einem vom Bundesvorstand vorgelegten Antrag begrüßten die Delegierten die "Zurückhaltung der Bundesregierung" bei Lieferungen von Waffentechnik an Israel. Eine Abstimmung über einen Antrag, der einen Lieferstopp an Israel vorsah, wurde so verhindert.
Fischer rief die Konfliktparteien im Nahen Osten zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Zugleich warnte er angesichts der wachsenden Kritik an Israel in Deutschland vor antisemitischen Tendenzen. Unterstützung der Delegierten erhielt er für sein Ideenpapier zur Beilegung des Nahost-Konflikts.
Weiterentwickelte Ökosteuer
In ihrem Wahlprogramm plädieren die Grünen unter anderem für eine Weiterentwicklung der Ökosteuer. "Bei der Entscheidung über weitere Erhöhungsschritte ab 2004 werden wir die soziale Verträglichkeit insbesondere für Menschen ohne Erwerbseinkommen und die dann geltende Höhe der Energiepreise berücksichtigen", heißt es in dem entsprechenden Abschnitt des Programms, der vom Parteitag beschlossen wurde. Die letzte Erhöhungsstufe des bisherigen Öko-Steuer-Modells tritt Anfang 2003 in Kraft.
Bundesumweltminister Jürgen Trittin forderte eine ökologisch-soziale Steuerreform nach der Bundestagswahl. "Alle Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen", erklärte Trittin. Er warnte davor, dass im Falle eines Wahlsiegs der Union der Ausstieg aus der Atomkraft rückgängig gemacht werde
Weiterhin setzen sich die Grünen in ihrem Wahlprogramm für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ein. Kinder aus einkommensschwachen Familien sollen einen Zuschlag zum Kindergeld bis zu 100 Euro erhalten. Betreuungsangebote sollen deutlich verbessert werden.
An der Bundesdelegiertenkonferenz in Wiesbaden nehmen rund 750 Delegierte teil. Zur Debatte steht ein 43-seitiger Entwurf des Vorstands für das Wahlprogramm. 550 Änderungsanträge stehen zur Diskussion.
Quelle: ntv.de