Neue "Apartheid" mitten in Europa Kritik an EU beim "Roma-Gipfel"
16.09.2008, 13:35 UhrDie Europäische Union will sich stärker im Kampf gegen Ausgrenzung und Benachteiligung der Roma-Minderheit in vielen Ländern der EU engagieren. "Wir dürfen die Probleme der sozialen Ausgrenzung nicht länger unter den Teppich kehren", sagte EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla zum Abschluss der bisher größten Roma-Konferenz der EU. Brüssel wolle auch finanziell helfen. "Was wir brauchen ist eine echte Chancengleichheit." Europas Staats- und Regierungschef sollen die Lage der Roma beim EU-Gipfel im Dezember diskutieren. Kritik am Handeln der EU kam von Roma-Verbänden.
In der EU nur "Integrations-Blabla"
Einige Teilnehmer warfen der EU Versagen im Kampf gegen die Diskriminierung der Roma vor. "Die Zustände heute sind schlimmer als während der Apartheid in Südafrika", sagte der Präsident des European Roma and Travellers Forum, Rudko Kawczynski. In der EU gebe es nur "Integrations-Blabla", aber keine konkreten Maßnahmen gegen Ghetto-Bildung und rassistische Übergriffe auf Roma. Spidla wies den Südafrika-Vergleich scharf zurück: "Das ist völlig ungerechtfertigt." In der EU werde keine Apartheid-Politik betrieben.
Bisher keine langfristige Strategie
Man unternehme alles, um eine ungleiche Behandlung von Menschen zu verhindern, betonte der EU-Kommissar. Aber auch die Mitgliedstaaten seien in der Pflicht. Die Verbesserung der Wohnsituation sowie von Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten für Roma müssten vor allem auf staatlicher Ebene geregelt werden. Die EU werde im Zusammenhang mit den Roma weiter auf Maßnahmen gegen Ausgrenzung dringen und sich für Reise- und Niederlassungsfreiheit sowie den Datenschutz einsetzen. Kritiker warfen der EU vor, Brüssel habe bisher keine langfristige Roma-Strategie. Spidla sagte: "Dies soll der Anfang für einen echten Prozess des Wandels sein."
EU-Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso rief zu konkretem Handeln für die Roma auf: "Viele von ihnen leben unter Bedingungen, die inakzeptabel sind im Europa des 21. Jahrhundert." Auch die Roma selbst seien gefordert. "Sie müssen mehr Bürgerverantwortung übernehmen." Es bringe nicht weiter, die größte Minderheit in der EU nur als Opfer darzustellen. "Wir müssen die Roma auch ermutigen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen." Die Integration sei eine gemeinsame Aufgabe von EU, Mitgliedstaaten und den Roma.
Abnahme von Fingerabdrücken in Italien
Kritiker monierten, dass die EU der italienischen Regierung die Abnahme von Fingerabdrücken bei Roma - unter Auflagen - gestattet habe. Diese "Rassenprofile" seien illegal, sagte der Vorsitzende des Open-Society-Instituts, der US-Milliardär George Soros. Der gebürtige Ungar setzt sich für Roma in Osteuropa ein. Soros sagte, dass sich die Situation für die Roma in Osteuropa nach dem Übergang zum Kapitalismus verschlechtert habe. Während der kommunistischen Ära seien den Menschen noch Wohnungen und Arbeit zugewiesen worden.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma in Deutschland, Romani Rose, meinte, es müsse insgesamt mehr Druck von der EU ausgeübt werden: "Die Europäische Union sanktioniert Mitgliedstaaten wie Bulgarien, wenn sie nicht ordnungsgemäß mit EU-Geldern umgehen, sie sollte aber auch Strafmaßnahmen durchsetzen, wenn es zu permanenten Diskriminierungen von Roma kommt."
Arbeitslosenquoten von bis zu 90 Prozent
Es gebe unter Roma Arbeitslosenquoten von bis zu 90 Prozent in Tschechien, Rumänien, Bulgarien oder der Slowakei. Die Situation sei ein gefährlicher Problem-Mix. Rose räumte ein, dass es unter den Roma Probleme mit Kleinkriminalität gebe, "aber das ist ein Ergebnis der Frustration und Perspektivlosigkeit". Der europäische Gewerkschaftsverband forderte, dass Roma europaweit der Zugang zu Arbeit erleichtert werden müsse.
Die Volksgruppe der Sinti und Roma ist mit rund zehn Millionen Menschen die größte Minderheit in Europa. Die EU-Erweiterung seit 2004 hat mehrere Millionen Roma zu EU-Bürgern gemacht - allein in Rumänien sind es mehr als zwei Millionen.
Quelle: ntv.de