Regierung hält sich bedeckt Laufzeitverlängerung oder nicht?
21.01.2010, 17:36 Uhr
Das Atomkraftwerk Biblis in Hessen.
(Foto: dpa)
Die Bundesregierung will bis Mitte des Jahres Klarheit über eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke schaffen. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle sagte im Bundestag: "Wir wollen bis zur Sommerpause Klarheit haben." Verbraucherministerin Ilse Aigner verlangte allerdings, die Entscheidung über längere Laufzeiten an die Zusage der Energieversorger zu knüpfen, "die Bürger spürbar zu entlasten". Umweltminister Norbert Röttgen bekräftigte seine Ankündigung, in diesem Jahr ein energiepolitisches Gesamtkonzept vorzulegen. Dazu gehöre das Problem der Atommüllentsorgung, sagte der CDU-Politiker und versicherte, die Frage der Endlagerung in seiner Amtszeit entscheidend voranbringen zu wollen.

Im Inneren von Krümmel: Das AKW machte in letzter Zeit nur noch durch Pannen auf sich aufmerksam.
(Foto: dpa)
Im Kanzleramt berieten Vertreter der Kraftwerksbetreiber mit Amtschef Ronald Pofalla (CDU) und den Staatssekretären der Ministerien für Umwelt und Wirtschaft, Jürgen Becker und Jochen Homann. Auf ihrer Tagesordnung stand die Überprüfung der Sicherheitsanforderungen an die 17 deutschen Atommeiler. Fragen der Sicherheit waren zuletzt nach den mehrfachen Pannen der Vattenfall-Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein aufgekommen. Zudem geht es um die von den Kraftwerksbetreibern geforderte Verlängerung der Laufzeiten älterer Meiler.
Stillschweigen vereinbart
Dazu hatten sie eine Umschichtung der nach dem Atomgesetz noch zulässigen Stromproduktionsmengen von neuen auf ältere Anlagen verlangt. Dies hatte der frühere Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) mit Hilfe von Gerichtsurteilen nur zum Teil abwehren können. Die eigentlichen Verhandlungen über die von Schwarz-Gelb geplante allgemeine Verlängerung von Laufzeiten soll den Chefs vorbehalten sein. Über das Gespräch der Gruppe wurde Stillschweigen vereinbart. Röttgen hat inzwischen allerdings erste Verhandlungskontakte zur Laufzeitverlängerung mit den Konzernvorständen aufgenommen. Nach dem bisherigen Atomgesetz sollten die letzten Anlagen etwa 2022 vom Netz gehen.
Der CSU-Umweltexperte Josef Göppel lehnte eine pauschale Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke ab. Die Entscheidung müsse in jedem der 17 Einzelfälle nach dem technischen Zustand der Anlagen getroffen werden, sagte Göppel der "Frankfurter Rundschau". "Jeder Reaktor muss vorher auf Herz und Nieren geprüft werden." Es könne durchaus sein, dass einige Atommeiler den Test nicht bestehen und abgeschaltet werden müssten, etwa weil sie gegen Abstürze größerer Flugzeuge nicht nachrüstbar seien. Im Falle einer Verlängerung sollten weniger als zehn Jahre hinzukommen, sagte Göppel. Nach dem Energiekonsens der rot-grünen Bundesregierung mit den Stromversorgern sollten die letzten Atommeiler ungefähr im Jahr 2022 vom Netz gehen.
Zusatzgewinne abschöpfen
Die Stromkonzerne machen Druck bei der Entscheidung über längere Laufzeiten, weil den Kraftwerken Biblis A und Neckarwestheim laut Atom-Ausstieg bald die Abschaltung droht. Zusatzgewinne der Konzerne aus längeren Laufzeiten will der Staat zum großen Teil für den Ausbau der Öko-Energie abschöpfen. Vor allem soll die Technik zum Stromspeichern erforscht werden. "Der Wind weht nicht immer dann, wenn wir das Licht einschalten", sagte FDP-Politiker Brüderle. Er strebt an, mindestens die Hälfte der Zusatzgewinne durch längere Laufzeiten zugunsten der Öko-Energien und der Verbraucher abzuschöpfen.
CSU-Ministerin Aigner sagte: "Die Konzerne haben durch eine Laufzeitverlängerung erhebliche wirtschaftliche Vorteile. Diese müssen auch den Verbrauchern zugute kommen." Außerdem müssten strengste Sicherheitsstandards gelten. "In letzter Zeit haben große Energiekonzerne nur durch permanente Preiserhöhungen und dürftigen Service von sich reden gemacht", kritisierte Aigner. Sie erwarte jetzt eine "klare Ansage", wie stabile Preise und eine sichere Versorgung gewährleistet werden könnten und was die Konzerne in den Ausbau erneuerbarer Energien investieren wollten.
"Ein unanständiges Angebot"
Die Opposition kritisierte die Pläne der Regierung zur Laufzeitverlängerung erneut. SPD-Chef Gabriel sagte am Rande einer Demonstration gegen längere Laufzeiten vor dem Berliner Kanzleramt, der Deal dürfe nicht lauten: "Wir produzieren mehr Atommüll und dafür gibt's Geld zur Sanierung des alten (Mülls). Das ist ein unanständiges Angebot." Er warnte ähnlich wie Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin besonders davor, ältere Kraftwerke wie Biblis A in Hessen, die gesetzlich vor der Abschaltung stehen, weiterlaufen zu lassen.
Trittin kritisierte: "Während die Bürger und der Bundestag bis nach der NRW-Wahl im Unklaren gelassen werden, macht man im Kanzleramt Nägel mit Köpfen." Kanzlerin Angela Merkel und die CDU scheuten die öffentliche Auseinandersetzung über Laufzeitverlängerung oder Endlagerung. Den Energiekonzernen RWE, Eon und Co. würden "längere Laufzeiten und damit Milliardengewinne versprochen".
Röttgen will Entsorgungsfrage lösen
Bundesumweltminister Röttgen will die Frage der Endlagerung von Atommüll derweil noch in seiner Amtszeit lösen. Seine beiden Vorgänger im Amt - Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) - hätten sich um die Verantwortung gedrückt, sagte Röttgen im Bundestag bei der ersten Lesung seines Ressortetats. Er sei jedoch "nicht bereit, die Entsorgungsfrage als ungelöste Frage nachfolgenden Generationen zu hinterlassen".
Der SPD-Umweltpolitiker Matthias Miersch (SPD) forderte Röttgen auf, endlich die "Katze aus dem Sack zu lassen" und den Ausstieg aus dem Atomausstieg zu verkünden. Angesichts der Milliarden-Gewinne frage man sich, welcher "Ablasshandel" betrieben werde. Miersch kritisierte, zur Behebung der Fehler in der Asse seien allein 1,5 Milliarden Euro nötig. Wer auf diese Technologie setze, bürde also die Probleme nachfolgenden Generationen auf, warnte er
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts