Ukraine bekommt "Leopard" nicht Keine Kampfpanzer? "Das ist westliches Versagen"
12.09.2022, 12:41 Uhr (aktualisiert)
Ein Kampfpanzer vom Typ "Leopard 2A7" auf dem Bundeswehrübungsplatz in Munster.
(Foto: picture alliance / Philipp Schulze/dpa)
Seit Monaten fordert die Ukraine Kampfpanzer-Lieferungen, um den Krieg gegen Russland gewinnen zu können. Doch der Westen zögert, auch die Bundesregierung. Dabei wären Kampfpanzer gerade jetzt wichtig für die Ukraine, damit eine großangelegte Gegenoffensive Erfolg hat, sagen Militärexperten.
Erst waren es Helme und Schutzausrüstung, mittlerweile liefert Deutschland der Ukraine Flugabwehrpanzer, Mehrfachraketenwerfer und Panzerhaubitzen. Der nächste Schritt sollten Kampfpanzer sein, fordert die Regierung in Kiew.
Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal war Ende voriger Woche extra nach Deutschland gereist, um von Bundeskanzler Olaf Scholz eine Kampfpanzer-Zusage zu bekommen. Doch gebracht hat es nichts. Kiew bekommt vorerst keinen "Marder" und auch keinen "Leopard" für den Kampf gegen Russland. "Das ist die Krux der ganzen Waffenlieferungen bisher. Außer den alten Sowjetpanzern ist ja nichts geliefert worden. Ich kenne keine westliche Kampfpanzerlieferung an die Ukraine. Da ist bisher ein westliches Versagen zu sehen", kritisiert Sicherheitsexperte Joachim Weber von der Uni Bonn im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Gerade in der jetzigen Kriegsphase wären westliche Kampfpanzer-Lieferungen hilfreich. Kiews Truppen sind dabei, Gebiete vor allem im Süden des Landes zurückzuerobern. Mit modernem Gerät wären die Gegenoffensiven erfolgversprechender. Und die westlichen Panzer halten auch mehr aus: Werden die Panzergrenadiere in einem sowjetischen Modell getroffen, brennt der Panzer aus und die Soldaten sind in der Regel tot.
Deutsche Panzer robuster als sowjetische
Wer in den modernen Panzern sitzt, ist besser geschützt und überlebt eher einen Volltreffer der russischen Artillerie, erklärt Gustav Gressel, Militärexperte vom European Council on Foreign Relations, im ntv-Interview. "Wenn man einen sowjetischen Kampf- oder Schützenpanzer trifft, brennen diese meist mit der ganzen Besatzung aus. Beim 'Leopard 2' hat die Besatzung selbst bei einem Volltreffer, der das Fahrzeug außer Gefecht setzt, gute Überlebenschancen."
Die robusten deutschen Panzer könnten einen großen Unterschied machen, sagt Gressel, denn der "Fähigkeitserhalt", wenn die Besatzung selbst Volltreffer überlebt, sei für das weitere Kriegsgeschehen enorm wichtig. Letztlich sei die Ausbildung einer Panzerbesatzung "eigentlich viel schwieriger, als sich einen neuen Kampfpanzer zu besorgen", betont Gressel.
Zu Beginn des Krieges hatte Deutschland der Ukraine überhaupt keine schweren Waffen geliefert. Die Ukrainer könnten mit dem westlichen Kriegsgerät angeblich gar nicht umgehen, lautete zu Kriegsbeginn ein beliebtes Argument.
Sie müssen nur entsprechend geschult werden und das dauert gar nicht so lange, macht dagegen Gustav Gressel bei ntv deutlich. "Man muss die Besatzungen, die das Gerät selber fahren, und die Mechaniker sowie das logistische Personal ausbilden, damit sie das Gerät instand halten und Verschleißteile auswechseln können."
Die Ausbildung nehme zwar eine gewisse Zeit in Anspruch, aber "nicht so horrend viel, wie das oft in der Öffentlichkeit dargestellt wird", meint Gressel. "Die Leute fangen ja nicht bei Null an. Die müssen ja nicht den Panzerkrieg von der Pike auf neu lernen, sondern für den 'Leopard 2' spezifisch geschult werden."
Dritter Weltkrieg? "Wird nicht kommen"
Andere Argumente gegen Kampfpanzer-Lieferungen sind zum einen, dass Russland schwere Waffenlieferungen als Vorwand nehmen könnte, um den Krieg weiter zu eskalieren. Zum anderen, dass die NATO so möglicherweise direkt in den Krieg hineingezogen wird. Doch völkerrechtlich sind die Bedenken unberechtigt, sagt Gustav Gressel. Es ist egal, ob man Pistolen, Handgranaten oder Kampfpanzer liefert. Solange sich die NATO nicht aktiv an den Kämpfen beteiligt, gelten Waffenlieferungen nicht als Kriegseintritt.
"Deutschland hat ja auch schon schwere Waffen geliefert und wir haben keinen dritten Weltkrieg, entgegen aller Rufe. Und der wird auch nicht kommen", sagt Gressel und macht auf das Einlenken der Bundesregierung beim Blick auf schwere Waffen deutlich. Im April war Berlin in der Frage umgeschwenkt. Auch, weil zu dem Zeitpunkt andere westliche Länder längst Material geliefert hatten, vor allem die USA. Mittlerweile hat Deutschland der Ukraine 15 Gepard-Flugabwehrpanzer, 10 Panzerhaubitzen 2000, 3 Mehrfachraketenwerfer und 3 Bergepanzer geschickt. "
Den Wunsch nach Kampfpanzern will Deutschland der Ukraine aber nicht erfüllen, dabei ist "die Panzerhaubitze 2000 zum Beispiel ein deutlich moderneres System als zum Beispiel der 'Leopard 2' in der A4-Variante", erklärt Gressel im ntv-Interview. "Auch die Mehrfachraketenwerfer sind eine sehr moderne und weitreichende Waffe. Die können bis zu 80 Kilometer weit schießen, ein Kampfpanzer schießt nur auf Sicht, also nur wenige Kilometer weit."
Bislang hat kein NATO-Land Kampfpanzer geliefert, auch, weil man die eigene Verteidigungsfähigkeit nicht aufs Spiel setzen will. Mit Blick auf die Bundeswehr stimmt das auch, sagt jedenfalls Brigadegeneral Christian Freuding, Leiter des Ukraine-Lagezentrums im Bundesverteidigungsministeriums, gegenüber ntv. "Wir haben nicht die sogenannte Vollausstattung. Wir können die Verbände, die wir jetzt in unserer Struktur aufgestellt haben, nicht mit den erforderlichen Waffensystemen ausstatten. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir unsere NATO-Verpflichtungen erfüllen, ausbilden und üben können."
"Angst vor der Macht der Bilder"
Gustav Gressel hält diese Argumente für vorgeschoben. In Deutschland gebe es noch einige Panzer vom älteren Typ "Leopard 2A4", die man der Ukraine geben könnte. Auch andere Länder Europas hätten noch "eine kritische Masse an 'Leopard 2'" übrig, sagt der Militärexperte. "Das ist ja das Schöne am 'Leopard', er ist in ganz Europa verbreitet. Wenn alle oder zumindest die meisten europäischen Länder jeweils einen kleinen Bestand an Kampfpanzern bereitstellen, kann das einen Unterschied machen", ist Militärexperte Gressel überzeugt.
Spanien hat der Ukraine zuletzt den "Leopard 2A4" aus deutscher Produktion angeboten. Deutschland müsste einer Lieferung zustimmen, tut das aber bislang nicht.
Das Bundeskanzleramt blockiert auch einen möglichen direkten Deal zwischen der Ukraine und der deutschen Rüstungsindustrie. Der Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann (KMW) würde Kiew "Leopard"-Panzer verkaufen: 100 Panzer vom Typ "Leopard 2A7", dem neueren Modell, für etwas über 1,5 Milliarden Euro. Das würde den ukrainischen Truppen in der aktuellen Lage nicht helfen, weil die ersten Modelle erst in drei Jahren geliefert werden könnten. Eine Erlaubnis bekommt Krauss-Maffei Wegmann von der Bundesregierung trotzdem nicht.
"Man hat Angst vor der Macht der Bilder, man will keine Bilder von deutschen Panzern, die wieder im Osten unterwegs sind und da irgendeinen offensiven Vorstoß unternehmen", glaubt Sicherheitsexperte Weber im Podcast. "Wir sollten weniger Angst vor solchen Bildern haben als vielmehr vor den Folgen für die Geschichte, wenn der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine erfolgreich sein sollte."
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.
Alle Folgen finden Sie in der ntv App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.
Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts@ntv.de
(Dieser Artikel wurde am Samstag, 10. September 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de