Politik

Das wichtigste Thema des Piraten-Parteitags Letzte Chance für das Politik-Update

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(Foto: picture alliance / dpa)

Die Piratenpartei ist angetreten, die Politik zu verändern, doch bislang hat sich eher die Partei angepasst. An diesem Wochenende will sie nun endlich etwas Neues wagen, nämlich das große Experiment der Bürger-Beteiligung im Internet – wenn sie sich nicht darüber zerstreitet.

Es gibt nichts, was die Piraten so schlecht können, wie streiten. Das Wort "Shitstorm" hätte man spätestens für die Debatten in dieser Partei erfinden müssen, aber es reicht den Mitgliedern nicht mehr, einen zweifelhaft zitierten Vorstand mit Hass-Mails zu überschütten. Die Piraten aus Hessen gehen einen Schritt weiter und stellen sich zum Gruppenfoto mit ausgestreckten Mittelfingern auf. Die Erklärung von Bernd Schlömer erst einmal abwarten? Wozu denn? Eine sachliche Kritik üben? Ach was! Die Piraten streiten gerne, aber eine Kultur des politischen Streits haben sie nicht. Sie benehmen sich wie sehr schlecht erzogene Kinder.

Die Stimmung in der Partei ist vorbelastet, dabei steht am Wochenende ein Parteitag an, der ganz anders werden soll, als das Chaos vergangener Versammlungen. Immerhin geht es darum, das Versprechen einer zeitgemäßen Politik einzulösen.

Im Internetzeitalter reicht es den Bürgern nicht, alle vier Jahre eine Partei wählen zu können, analysieren Politikwissenschaftler immer wieder. Sie wollen häufiger gefragt werden, auch zu einzelnen Themen. Die Piraten haben dafür ein Konzept. Weil es erst einmal parteiintern Anwendung finden soll, nennen sie es "Ständige Mitgliederversammlung" (SMV). Einige Mitglieder machen ihre Zukunft in der Partei von dieser SMV abhängig. Die prominente Piratin Marina Weisband kündigte bei n-tv.de an, dass sie sich auch nach anderen Möglichkeiten umschauen würde, wenn ihre Partei die SMV ablehnt.

Die Technik wurde bereits getestet

Die Idee des Systems: Regelmäßig werden über das Internet Fragen zur Abstimmung gestellt, die jedes Mitglied beantworten kann. Wer sich überfordert fühlt oder sich für gewisse Themen nicht interessiert, kann seine Stimme an jemand anders delegieren. Auch das Weitergeben fremder Stimmen ist erlaubt. Zurückholen und selbst wahrnehmen kann man seine Stimme dabei jederzeit. So entsteht ein Netz aus Delegierten, die auch zu plötzlich auftretenden Fragen schnell eine Parteiposition entwickeln können – ganz ohne reale Treffen. Schon jetzt nutzt die Partei ein Forum namens "Liquid Feedback", das nach diesem Prinzip funktioniert. Der Unterschied: Die Beschlüsse der "Liquid Feedback"-Plattform sind nicht bindend. Auch deswegen nutzen nur wenige Piraten diese Möglichkeit.

Die Technik für eine "Ständige Mitgliederversammlung" ist damit aber bereits ausgiebig getestet. In einigen Landesverbänden steht sie schon in der Satzung. Außerhalb der Piratenpartei findet die Software etwa im niedersächsischen Landkreis Friesland Anwendung. Die Kreistagsabgeordneten sichern dort zu, dass sie die Entscheidungen der Bürger aus dem Forum "Liquid Friesland" akzeptieren werden.

Sollte die Bundespartei der Piraten die SMV einführen, wäre das ein großer Schritt in die digitale Demokratie – ein zeitgemäßes Update des Systems, das im Großen und Ganzen seit 60 Jahren gleich funktioniert.

Für die Piratenpartei ist die SMV auch noch aus einem anderen Grund wichtig: Sie würde im Wahlkampf ein zusätzliches Thema bieten. Mit ihren Thesen zu Transparenz und Bürgerrechten dringt die Partei derzeit nicht zum Wähler durch. Die Internetthemen sind zwar immer noch ein Alleinstellungsmerkmal, aber die Positionen sind erwartbar. Ohne überraschende Ideen werden sich aber wohl kaum neue Wähler gewinnen lassen. Das Politik-Update wäre ein Schlagwort, mit dem sich vielleicht sogar die 5 Prozent erreichen ließen, die für einen Einzug in den Bundestag nötig sind.

Sicher ist der Schritt noch nicht

Damit die Anträge rund um die SMV überhaupt eine Chance haben, will der Bundesvorstand Ordnung ins Parteitags-Chaos bringen. Ständige Änderungen an der Tagesordnung soll es nicht mehr geben. Die SMV hat einen besonderen Platz bekommen.

Zudem hat der Vorstand seine Ansprüche an einen SMV-Beschluss weit heruntergeschraubt. Detailfragen sollen wenn möglich ausgeklammert werden. "Es geht nicht um das Wie, sondern um das Ob", sagt der zuständige Vorstand Klaus Peukert. Und dafür habe sich eine überwiegende Mehrheit der Piraten bereits ausgesprochen.

Und doch kann man sich nicht sicher sein, dass die Partei den wichtigen Schritt macht. Denn auch eine Konferenz zu dem Thema ging im März ohne eindeutiges Ergebnis zu Ende. Man stritt sich um eine Grundsatzfrage: Soll in der SMV namentlich oder geheim abgestimmt werden? Die eine Seite besteht auf einer geheimen Wahl, weil alles andere undemokratisch sei. Die andere Seite meint, dass man nur bei einer namentlichen Abstimmung sicher sein könne, dass die Wahl nicht manipuliert wird.

An diesem Wie könnte das Politik-Update scheitern und mit ihm der Parteitag der Piraten. Mit Shitstorm, ausgestreckten Mittelfingern und allem, was dazu gehört.

Quelle: ntv.de

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