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Die Schweiz des Nahen Ostens? Libanesische Exil-Christen hoffen auf Hisbollah-Ende

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Rauch steigt auf nach israelischen Luftschlägen auf die libanesische Stadt Tyre.

Rauch steigt auf nach israelischen Luftschlägen auf die libanesische Stadt Tyre.

(Foto: IMAGO/Xinhua)

Eine angeschlagene Hisbollah im Krieg gegen Israel weckt die Hoffnung bei Exil-Libanesen auf deren Zerschlagung und ihre Rückkehr in die Heimat. Doch leicht wird das nicht.

Der Raketenangriff der Hisbollah auf Israel am 8. Oktober 2023 gilt als inoffizielle Kriegserklärung des Libanon. Die Schiitenmiliz wollte der palästinensischen Terrororganisation Hamas beispringen, die am Tag zuvor 1200 Menschen - hauptsächlich Zivilisten - abgeschlachtet, fast 5000 verletzt und über 250 Geiseln genommen hatte. Dieses grausame Massaker löste den Gaza-Krieg und eine Invasion der Israelischen Streitkräfte (IDF) in den Küstenstreifen aus. Auch an der Nordgrenze lieferten sie sich einen Abnutzungskrieg, bis sie am 1. Oktober mit Bodentruppen in den Zedern-Staat einmarschierten.

In seiner jüngeren Geschichte wandelte der Libanon sich vom westlich-orientierten Paradies zum nahöstlichen Inferno. Um dieses Land zu verstehen, muss man die Kultur und Mentalität des Nahen Ostens kennen. Für viele ihrer Bürger im Exil lassen die immer neuen Bilder der nicht enden wollenden Gewalt alte Traumata wieder aufbrechen.

"Der Libanon ist ein Mosaik verschiedener Gruppen", erklärt Raimond Elkhoury. Der 61-jährige Maronit - die größte christliche Gemeinschaft des Zedern-Staates - diente früher als Hauptmann in der mit der IDF verbündeten Südlibanesische Armee (SLA). Er stammt aus Beirut und lebt heute in Naharija im Norden Israels. "Diese Vielfalt ist gleichzeitig seine Stärke und Schwäche. Viele dieser Faktoren lähmten das Land nach dem Bürgerkrieg 1990, doch die Hisbollah hat meine Heimat zerstört."

Tausende flohen nach Israel

Die von Christen dominierte Miliz bekämpfte zu Beginn des libanesischen Bürgerkriegs ab 1975 vorwiegend Terroristen der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und die schiitische Guerilla. Ab der israelischen Invasion 1982 arbeitete sie eng mit der IDF zusammen, wo sie jahrelang in einen brutalen Konflikt gegen die vom Iran unterstützte schiitische Terrororganisation Hisbollah verwickelt waren. Nach dem israelischen Rückzug im Jahre 2000 und dem schnellen Vormarsch der Schiitenmiliz, brach die gesamte SLA zusammen und 7000 Menschen flüchteten aus Angst vor Repressalien in den jüdischen Staat, wo heute noch die Hälfte lebt.

"Die Hisbollah war immer Teil der imperialistischen Vision Irans, den Nahen Osten zu erobern", sagt Elkhoury. "Doch mit der Ermordung seines Generalsekretärs Hassan Nasrallah und der militärischen Führung entstand eine Hoffnung. Der Krieg bietet dem Libanon nun die Gelegenheit, eine Koalition mit Israel zu bilden, um die Souveränität im Lande wiederherzustellen, der zu einem dauerhaften Frieden führen könnte."

Während weltweit Exil-Libanesen auf einen Wandel und gleichzeitig Rückkehr in ihre Heimat hoffen, macht sich auch innerhalb des Landes Unmut gegen die Hisbollah breit. Viele sehen sie nicht mehr als libanesische Widerstandsbewegung, sondern als Terror-Organisation deren Kämpfer sich für die iranisch-schiitische Expansion in Syrien, Irak und Jemen opfern. Das Fass zum Überlaufen brachte 2020 die gewaltige Explosion von Ammoniumnitrat, den die Hisbollah im Hafen von Beirut lagerte. Mehr als 200 Menschen starben, Tausende wurden verletzt und 300.000 Menschen obdachlos.

Hisbollah vertritt Interessen Irans

"Die IDF führt Krieg gegen die Hisbollah und nicht gegen den Libanon", sagt die Aktivistin Maryam Younnes aus einem Dorf in Nord Israel. Die 29-Jährige ist Mitglied von Sharaka, einer nach dem Abraham-Abkommen 2020 gegründeten NGO. Ihren englischsprachigen Videos, mit den Schwerpunkten Kultur in Israel, sowie die Verbrechen der Hisbollah, haben weltweit Hunderttausende Aufrufe erhalten, die meisten aus der muslimischen Welt.

"Das dabei ihre Führungsspitze zerschlagen wurde, hätte ich nicht gedacht. Das libanesische Volk hat mittlerweile verstanden, dass sie eine ausländische Organisation ist, die die Interessen Irans vertritt." Die Kommunikationsstudentin der Bar-Ilan-Universität in der Nähe von Tel Aviv kam mit fünf Jahren nach Israel. Ihr Vater, ein ehemaliger SLA-Offizier, war mit seiner Familie aus dem Libanon geflohen.

Alle ehemaligen SLA-Mitglieder in Israel haben Verwandte im Libanon. Die meisten schweigen aus Angst vor Repressalien gegen ihre Familien. "Die Maroniten gehören zu den Ureinwohnern des Libanon", erzählt Younnes. "Wir sind Nachkommen der antiken Phönizier. Diese lebten schon 1000 Jahre vor dem arabischen Imperialismus dort." Mittlerweile besteht ihr Geburtsland aus jeweils 30 Prozent Christen, Sunniten und Schiiten. Der Rest sind Drusen und Angehörige weiterer Konfessionen.

Liaoson besteht nicht mehr

Während des libanesischen Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 kämpfte fast jeder gegen jeden. "Ab 1984 stand die Hisbollah, palästinensische Organisationen feindlich gegenüber", erklärt sie. "Welch Ironie, dass eine Schiitenmiliz jetzt im Konflikt mit Israel radikal-sunnitischen Terroristen beisteht. Der aktuelle Waffengang könnte aber die Chance sein, die Hisbollah zu entwaffnen, um den Libanon aus den Fängen Irans zu befreien und einen Frieden mit Israel anzustreben."

Tatsächlich haben viele Libanesen kein Problem mit Israel. Doch während die Christen eine Zerschlagung der Hisbollah durch die IDF erhoffen und eine erneute Annäherung an den jüdischen Staat, gibt es auch kritische Stimmen. "Die Liaison zwischen Israel und den Maroniten gibt es so nicht mehr," sagt Yair Ravid, Ex-Verbindungsoffizier des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad in Beirut. "Nach dem Rückzug im Jahr 2000 hatte man seine Verbündete im Stich gelassen und die Flüchtlinge lebten in Armut bis sie die israelische Staatsangehörigkeit erhielten. Natürlich hoffen sie auf eine Zerschlagung der Hisbollah und eine Rückkehr in ihre Heimat, aber es ist noch ein weiter Weg."

Veränderungen werde es nur geben, wenn dort eine neue Kraft entsteht, die gegen die Hisbollah kämpft, so der Libanon-Experte. Diese könnte aber nur aus der schiitischen Gemeinschaft kommen. Denn weder Christen noch Sunniten oder Drusen sind in der Lage, ein Gegengewicht aufzustellen. "Um eine solche Opposition entstehen zu lassen, muss Israel die gesamte libanesische Infrastruktur schwer beschädigen", sagt Yariv. "Vor allem Regionen der Schiiten. Viele von ihnen sind gegen die Hisbollah, da sie wissen, dass die Miliz den Libanon schadet."

Chance, sich von Irans Hegemonie zu befreien

Wie Yariv, so glauben auch die meisten Exil-Libanesen nicht an die westliche Beschwichtigungspolitik. Sie wissen, dass ein Waffenstillstand plus eine erneute UN-Resolution der Schiitenmiliz helfen wird, sich wie in der Vergangenheit neu aufzustellen. Sie fordern eine Fortsetzung des Krieges und ihre Zerschlagung. "Diese Terrororganisation erlebt ihre schwierigste Phase", sagt Ex-SLA Offizier Raimond Elkhoury. "Der Libanon steht am Scheideweg und hat die historische Chance sich von der iranischen Hegemonie zu befreien. Es ist an der Zeit, dass Jerusalem und Beirut in Verhandlungen treten, denn viele im Zedern Staat haben genug von der Hisbollah."

Doch der Maronit kennt die Mentalität seiner Heimat. "Im Nahen Osten geht es hauptsächlich um Machtinteressen", erzählt Elkhoury. "Auch der Zedern-Staat sollte nach dem Verschwinden der Hisbollah nicht in alte Muster verfallen. Doch ein pro-westlicher Demokratisierungsprozess und Frieden mit Israel könnte den Libanon wieder zur Schweiz des Nahen Ostens machen."

Quelle: ntv.de

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