Vorsitzende können Europa-Kritiker nicht bändigen Linkspartei lässt sich überflügeln
10.01.2014, 16:52 Uhr
Kommen bisher nicht gegen den radikalen Flügel ihrer Partei an: Gregor Gysi, Katja Kipping und Bernd Riexinger.
(Foto: dpa)
Die Flügel der Linkspartei streiten vor der Europawahl um den Kurs: Braucht es mehr Europa oder ist die EU neoliberal, militaristisch und undemokratisch? Die Parteispitzen Gysi, Kipping und Riexinger wollen den Kampf beenden – aber sie sind zu schwach.
Es sei ja kein Geheimnis, sagte Katja Kipping, dass die Vorsitzenden diesen Satz nicht wollten. So beiläufig sie das formuliert, so groß ist ihr Eingeständnis der Schwäche. Katja Kipping und Bernd Riexinger, die Vorsitzenden der Linkspartei, wurden im 44-köpfigen Vorstand überstimmt, obwohl sie auch vom Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi unterstützt wurden.
Es geht um einen Satz, der das Potential hat, den alten Grabenkampf wieder aufflammen zu lassen, mit dem die Linkspartei seit Jahren beschäftigt ist. Die Themen wechseln, aber die Frontlinie verläuft immer gleich: In dem einen Graben liegen die radikalen Linken, die meisten von ihnen kommen aus dem Westen und waren vor der Parteigründung in der WASG. Auf der anderen Seite haben sich die Pragmatiker aus dem Osten verschanzt. Viele von ihnen waren schon an Landtagskoalitionen beteiligt und wollen irgendwann auch im Bund mitregieren.
Eine der größten Krisen der letzten 100 Jahre?
Dieses Mal ist das Konfliktthema die Sicht auf die Europäische Union: Sollte man diese Institution stärken und demokratischer machen, damit sie soziale Standards in ganz Europa schaffen kann? Oder haben die Politiker in Brüssel und Straßburg die EU so sehr verändert, dass man das Gebilde schwächen muss? Bisher hat sich der radikal-linke Flügel besser durchgesetzt. Im Entwurf für das Europawahlprogramm schlägt sich das in folgendem Satz nieder: "Spätestens seit dem Vertrag von Maastricht wurde die EU zu einer neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht, die nach 2008 eine der größten Krisen der letzten 100 Jahre mit verursachte." Die EU steht als Verursacherin der Krise da, die den Menschen mehr schadet als nutzt.
Die pragmatischen "Reformer" in der Partei sind aufgebracht. Ihr Sprecher Stefan Liebich sagte in der vergangenen Woche zu n-tv.de, die Passage müsse "dringend geändert werden". So rufe man geradezu zum Wahlboykott auf. Die Formulierungen brächten die Linke auf einen Kurs, bei dem eine Regierungsbeteiligung im Bund auch 2017 ausgeschlossen wäre. Der Antrag bedeutet das Gegenteil der SPD-Forderung, die Linke müsse eine "verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen" machen.
Auch Kipping und Riexinger passt die Formulierung nicht. Doch im Vorstand waren sie offensichtlich in der Minderheit. Der Satz sei gegen ihren Willen "reingestimmt" worden, so Kipping.
Gysi hat große Pläne
Die Schwäche des Vorstands kann Gregor Gysi gerade gar nicht gebrauchen. Er ist dabei, die Bundestagsfraktion so aufzustellen, dass sie ihrer Rolle als größte Oppositionspartei gerecht werden kann. Es gehe jetzt nicht mehr, dass man zu einem Thema gar nichts zu sagen habe, sagte er schon im Herbst im Interview mit n-tv.de. Nun will Gysi Sprecher für einzelne Themen berufen, immer innerhalb von 30 Minuten reaktionsfähig sein. Und: Die Forderungen der Linksfraktion sollen umsetzbare Politik sein, nicht nur Verweise auf den ideologischen Überbau der Partei. Gysi will beweisen, dass die Linke auch zu einer Regierungsbeteiligung taugen würde. In dreieinhalb Jahren, wenn der nächste Bundestagswahlkampf beginnt, wird abgerechnet. Gysis Ziel: "Selbst die, die uns niemals wählen würden, sollen dann sagen: Sie waren eine wirksame Opposition."
Um auf diesem Weg nicht nach links abgedrängt zu werden, wollen die Pragmatiker die europaskeptischen Sätze in ihrem Parteiprogramm unbedingt verhindern. Gysi will nur darum keinen Änderungsantrag stellen, weil schon so viele andere dabei wären. Auch die Parteivorsitzenden hoffen auf Änderungen an dem Text, den sie selbst einbringen werden. In der Hand haben sie es allerdings nicht.
Quelle: ntv.de