Camerons gewagtes Spiel London kann sich Austritt gar nicht leisten
03.06.2014, 15:34 Uhr
David Cameron hält die EU für "zu groß und zu herrschsüchtig". Er will das Verhältnis Großbritanniens zur Staatengemeinschaft neu aushandeln.
(Foto: Reuters)
David Cameron setzt alles daran, eine weitere Vertiefung der EU zu verhindern. Dazu gehört für ihn auch die Ablehnung Junckers als Kommissionspräsident. Der britische Premierminister schreitet immer weiter voran auf einem gefährlichen Pfad.
Der Premierminister des Vereinigten Königreichs droht mit dem EU-Austritt, wenn der Spitzenkandidat der europäischen Konservativen, Jean-Claude Juncker, Kommissionspräsident wird. Dabei muss auch David Cameron bewusst sein, dass ein Ausstieg Großbritanniens ruinös für seinen Inselstaat sein könnte.

Jean-Claude Juncker ist angesichts des Europawahlergebnisses der naheliegende neue Kommissionspräsident der EU. Kanzlerin Angela Merkel unterstützt ihn nur trotzdem halbherzig.
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Erst im Mai veröffentlichte das Londoner Center for Economic Performance eine Studie, die verheerende Entwicklungen prophezeite, sollte sich Großbritannien von Brüssel lossagen. Die Hälfte der Exporte des Vereinigten Königreichs geht in EU-Staaten. Ohne die Vorteile des gemeinsamen Binnenmarktes müsste das Land im optimistischsten aller Szenarien mit einem Verlust von 18 Milliarden Euro rechnen, rund einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Für realistischer erachten die Wissenschaftler deutlich härtere Einschnitte, schlimmstenfalls gar eine Wirtschaft, die um 9,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes schrumpft. Ein Verlust, der den Folgen der weltweiten Finanzkrise für Großbritannien gleichkommt. In den Jahren 2008 und 2009 schrumpfte die hiesige Wirtschaft um rund 7 Prozent. Und das Königreich hat sich bis heute nicht von dieser Krise erholt.
Experten des Center for European Reform glauben, dass ein Austritt vor allem den so bedeutenden britischen Finanzsektor treffen würde. Von einer Befreiung vor Brüsseler Regulierungswut könne keine Rede sein. Denn wenn London weiterhin Finanzgeschäfte mit EU-Staaten machen will, worauf es angewiesen ist, müsste es sich an die Regeln der Staatengemeinschaft halten - Mitgliedschaft hin oder her. Zwar gibt es auch Studien, die die Vorteile eines EU-Austritts hervorheben, die Mehrzahl der Ökonomen beschreibt einen britischen Alleingang aber als gewagtes Experiment.
Abgesehen von den wirtschaftlichen Nachteilen führt ein Austritt auch zu einem politischen Machtverlust. Zum einen könnte Großbritannien nicht mehr beeinflussen, wie sich die EU entwickelt. Zum anderen müsste es seine Interessen vermehrt im Alleingang vertreten. Eine gewaltige Herausforderung für einen verhältnismäßig kleinen Inselstaat, wenn es um den Wettstreit mit rohstoffreichen oder militärisch mächtigen Staaten wie China, Russland oder den USA gehen sollte.
Viele Gründe für Drohgebärden
Blufft Cameron also nur? Tatsächlich hat der Premierminister viele Gründe für seinen Kurs. Sie sind allerdings ausgesprochen kurzfristiger und ausschließlich innenpolitischer Natur.
Große Teile der britischen Bevölkerung wünschen sich eher einen Austritt als eine weitere Vertiefung der EU: In einer Umfrage des BBC sprachen sich im April mehr als 30 Prozent dafür aus. Ungefähr genauso viele sind zumindest so europaskeptisch, dass sie sich nicht klar zur Mitgliedschaft bekennen. Aus diesem Wählerreservoir schöpft auch die antieuropäische Partei Ukip von Nigel Farage.
Die strikte Ablehnung Junckers ist für Cameron eine weitere Gelegenheit, in der Heimat mit europakritischen Tönen für sich zu werben. Juncker steht für ein stärkeres Zusammenwachsen der EU-Staaten. Seine Kommissionspräsidentschaft käme einer Degradierung des Einflusses der europäischen Staats- und Regierungschefs gleich. Bisher waren es maßgeblich sie, die den Kommissionspräsidenten bestimmten. Juncker dagegen wäre der erste Kandidat des Europäischen Parlaments.
Camerons Hoffnung: Gelingt es ihm, Juncker zu verhindern, könnte ihm das bei den Parlamentswahlen 2015 nützen. Camerons Dilemma: Sollte er die Wahlen tatsächlich gewinnen, muss er sein Versprechen einlösen, die Briten 2017 über ihre Mitgliedschaft in der EU entscheiden zu lassen. Cameron blufft nicht, er steckt nur in einer verfahrenen Situation: Will er politisch reüssieren, muss er die Europaskeptiker bedienen. Das glaubt er zumindest. Hat er mit diesem Kurs Erfolg, könnte er seinem Land schweren Schaden zufügen und müsste als Premierminister dafür die Verantwortung tragen. Cameron scheint dieses Risiko allerdings in Kauf nehmen zu wollen.
Quelle: ntv.de