Wikileaks-Informant will als Frau leben Mannings langer Weg zu seiner Weiblichkeit
23.08.2013, 16:29 Uhr
Mit einem Bild mit Perücke und Schminke machte Manning einen Vorgesetzten auf seinen Wunsch, eine Frau zu sein, erstmals aufmerksam.
(Foto: AP)
Jahrelang hadert Bradley Manning mit seiner Transsexualität. Er hofft gar, das ultramaskuline Umfeld beim Militär könnte sie ihm austreiben. Ein schmerzhafter Irrglaube.
Nach dem Urteilsspruch hätte es ruhig werden können um Bradley Manning. Doch mit vier Worten katapultierte sich der Wikileaks-Informant zurück ins Zentrum des medialen Interesses. Vor allem, weil niemand ausgerechnet jetzt mit diesen Worten gerechnet hätte. "Ich bin eine Frau", sagte der 25-Jährige dem US-Sender NBC.
Manning, der von einem Militärgericht zu 35 Jahren Haft verurteilt wurde, unehrenhaft aus der Truppe ausgeschlossen wird und seine Pensionsansprüche verliert, will sich einer Hormonbehandlung unterziehen lassen. Künftig soll die Welt ihn nicht mehr Bradley, sondern Chelsea Manning nennen.
Eine überraschende Entwicklung. Allerdings nur, weil angesichts des gewaltigen Ausmaßes seiner Enthüllungen rund um Cable-Gate und die Kriegstagebücher die Person Manning in der öffentlichen Wahrnehmung meist nur eine Nebenrolle spielte. Bei einem genauen Blick auf das Leben Mannings ist der Wunsch der Hormontherapie überhaupt nicht überraschend. Vielleicht ist er der erste sinnhafte Schritt, um Ordnung in ein Leben zu bringen, das vor allem durch eines geprägt war: die verzweifelte Suche nach einem Platz in dieser Welt.
Vermeintliche Kur beim Militär
Manning kam 1987 in dem 1000-Seelen-Ort Crescent in Oklahoma zur Welt – in schwierigen Verhältnissen. Sein Vater war als IT-Manager nur selten zuhause. Seine Mutter, eine Alkoholikerin, fand kaum die Ruhe, sich um ihren Sohn zu kümmern. Dabei hätte ausgerechnet Manning die Fürsorge gebraucht. Schon in seiner Kindheit haderte er mit seiner sexuellen Identität. Kaum 13 Jahre alt, erkannte der verunsicherte Junge dann noch seine Homosexualität. Keine Selbstverständlichkeit in seiner provinziellen Heimat. Und so sah Manning beides als etwas an, das es zu überwinden gilt.
Ein Irrglauben, der letzten Endes dazu führte, dass Manning sich ausgerechnet für das Militär verpflichtete. So absurd es klingen mag, er hoffte, dass er seine Neigungen und seine Verwirrung über sein Geschlecht in dem ultramaskulinem Umfeld der Soldaten "loswerden" könnte. So berichtete er es zumindest Jahre später in einer vertraulichen Email an einen Vorgesetzten.
Später Sinneswandel
Was seine Hoffnung durch einen Militärdienst, ein gewöhnliches heterosexuelles Leben als Mann führen zu können, damals vermutlich beförderte: Als Manning 2007 in die Truppe eintrat, war es noch verboten, offen homosexuell zu leben. Manning wollte ein "normales" Leben offenbar erzwingen. Ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt war.
Doch es dauerte lange, bis auch Manning das erkannte. Erst 2010 vertraute er sich einem Vorgesetzten an, sprach erstmals offen über sein "Problem". Wenig später, noch im selben Jahr, muss er erkannt haben, dass er seine Transsexualität nicht einfach "loswerden" kann. In einem Chat mit dem Hacker Adrian Lamo, der ihn als Wikileaks-Informanten letztlich preisgab, offenbarte sich erstmals, dass er sich eine Zukunft als Frau wünscht: "Es würde mir nichts ausmachen, wenn ich für den Rest meines Lebens ins Gefängnis muss oder hingerichtet werde – wenn nur nicht die Gefahr bestünde, dass dann Bilder von mir als Junge die Titelseiten der Zeitungen auf der Welt pflastern würden."
Prozesstaktik?
Im Laufe des Prozesses gegen Manning verwies die Verteidigung immer wieder auf das lange Hadern Mannings mit seinem biologischen Geschlecht. Dahinter verbarg sich selbstredend der Versuch, die Strafe für den Angeklagten zu mildern. Schließlich hätten die Vorgesetzten Mannings erkennen müssen, dass er sich in einem psychisch derart instabilen Zustand befand, dass er sich nicht in einem Kriegsgebiet aufhalten und Zugang zu vertraulichen Akten haben dürfe.
Von purer Taktik kann aber keine Rede sein. Manning selbst wollte eigenen Worten zufolge seine Taten nie mit seinen Lebensumständen rechtfertigen. Er ließ durch seinen Anwalt David Coombs im Laufe des Prozesses immer wieder hervorheben, dass ihn sein "starker moralischer Kompass" zu den Enthüllungen getrieben hat. Dass er erst jetzt, nach dem Urteilsspruch, seinen Wunsch einer Hormontherapie anspricht und darum bittet, als Frau angesprochen zu werden, kommt so auch auf dieser Ebene einer gewissen Befreiung gleich.
Militärgefängnis verweigert Behandlung
Fraglich ist noch, ob sich Mannings Plan auch umsetzen lässt. Vom Militärgefängnis Fort Leavenworth, in dem er einsitzt, heißt es: "Es gibt kein Vorgehen im US-Militär, ihr (Manning) eine Hormonbehandlung oder eine Umwandlungsoperation bereitzustellen." Menschenrechtsorganisationen deuteten allerdings an, dass es gegen die amerikanische Verfassung verstoßen könnte, sollten die Verantwortlichen in Fort Leavenworth Manning die Behandlung verwehren.
Mehrere Psychologen haben Manning im Laufe des Prozesses eine Geschlechtsidentitätsstörung attestiert – eine philosophisch umstrittene, aber medizinische Diagnose. Chase Strangio von der Amerikanischen Bürgerrechtsunion (ACLU) sagt vor diesem Hintergrund: "Die offizielle Handhabe des Bundesamtes für Gefängnisse ist es, medizinische Behandlung für Geschlechtsidentitätsstörungen zu ermöglichen." Schließlich hätten Gerichte immer wieder geurteilt, dass es gegen die Verfassung verstoße, Insassen diese Behandlung zu verwehren. Sie beriefen sich auf den achten Zusatzartikel, der sich vornehmlich gegen "grausame" Bestrafungen in der Justiz wendet.
Quelle: ntv.de