Politik

Arbeitsagentur voll ausgelastet Mehr Arbeitslose treffen auf weniger Hilfen

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Im Frühsommer waren persönliche Beratungstermine bei der Bundesarbeitsagentur fast unmöglich geworden.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Arbeitsagentur hat im Corona-Jahr 14 Mal so viele Anträge auf Kurzarbeitergeld zu bearbeiten wie im Krisenjahr 2009. Vermittlung, Beratung und Weiterbildungen finden nur noch bedingt statt - zum Nachteil Hunderttausender neuer Arbeitsloser.

Während die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland infolge der Corona-Pandemie deutlich gestiegen ist, hat die Bundesagentur für Arbeit ihre Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche durch Weiterbildung und Zuschüsse zuletzt deutlich eingeschränkt. Dem am Mittwoch veröffentlichten Monatsbericht zufolge lag die Zahl der Arbeitslosen im September mit 2.847.000 Menschen rund 27 Prozent höher als im September 2019. Derweil sank die Anzahl der Teilnehmer an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme im Vergleich zum Vorjahresmonat um 18 Prozent auf 360.000. Auf Nachfrage von ntv.de räumte die Bundesagentur für Arbeit (BA) ein, dass Förderungen von Weiterbildungen, Gründungszuschüssen oder anderen arbeitsmarktpolitischen Leistungen "erheblich" gesunken seien.

Abzüglich der Hilfen zur Berufswahl und -ausbildung lag die Teilnehmerzahl in den Maßnahmen dem Monatsbericht September zufolge um zehn Prozent niedriger als im Vorjahr. Auch die Arbeitsvermittlung fand nach Angaben der Agentur seit Pandemiebeginn "nur mit Einschränkungen" statt. Zudem brach die Zahl der gewährten Gründungszuschüsse im Zwölfmonatsvergleich um 17 Prozent auf 20.000 Fälle ein. Beratungsgespräche fanden in den ersten Monaten der Pandemie fast ausschließlich telefonisch statt und sind inzwischen eingeschränkt auch wieder persönlich möglich. Wer in den vergangenen Monaten arbeitslos war, musste kaum mit Post vom Arbeitsvermittler und Terminen im Jobcenter rechnen.

"Signifikante personelle Umschichtung"

Für die deutlichen Einschnitte bei Arbeitsvermittlung und Weiterbildung macht die BA die durch den Gesundheitsschutz eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten bei der Agentur und den Anbietern von Fördermaßnahmen verantwortlich. Hinzukomme eine "beispiellose Flut an Anträgen auf Kurzarbeit". Die Bundesregierung hatte den Zugang zu Kurzarbeitergeld zu Beginn der Pandemie erleichtert und im weiteren Verlauf die Auszahlungssumme und den Bezugszeitraum erhöht, um eine Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden.

Die Menge zu bearbeitender Anträge stellte die Bundesarbeitsagentur vor enorme Herausforderungen: "So stieg beispielsweise die Anzahl an Anträgen auf Kurzarbeitergeld im Vergleich zum Vorjahr auf das 53-Fache, im Vergleich zum Krisenjahr 2009 auf das 14-Fache", erklärte die Bundesagentur auf Nachfrage. Die Arbeit sei nur durch eine "signifikante personelle Umschichtung" zu bewältigen gewesen, weshalb etwa Arbeitsvermittler an anderer Stelle fehlten. "In der Konsequenz konnten pandemiebedingt in den letzten Monaten viele Kundinnen und Kunden nicht in der Intensität und Zeitschiene beraten werden, wie es unser eigener Anspruch ist", erklärte die BA.

Ein Sprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erklärte, die rechtzeitige Auszahlung von Kurzarbeiter-, Arbeitslosen- und Insolvenzgeld sei nur durch "enorme Kraftanstrengungen" in der Arbeitsagentur möglich gewesen. "Die Beratung, Vermittlung und Förderung von Ausbildung- und Arbeitsuchenden ist inzwischen wieder stärker in den Fokus gerückt", erklärte der Ministeriumssprecher. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit "steigen die Eintritte in die Maßnahmen wieder deutlich an".

Opposition fordert mehr Unterstützung

Die arbeitsmarktpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen von FDP, Grüne und Linke zeigten auf Nachfrage von ntv.de Verständnis für die außergewöhnliche Belastung der Arbeitsagentur, mahnten aber mehr Engagement der Bundesregierung an, damit Arbeitslose schnell eine neue Beschäftigung finden. "Es ist in der Wirtschaftskrise äußerst kontraproduktiv, dass die aktive Arbeitsförderung zurückgefahren wird. Sie ist entscheidend, um denjenigen, die jetzt ihre Arbeit verlieren, den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern", erklärte die Linken-Abgeordnete Sabine Zimmermann.

Johannes Vogel von der FDP erklärte mit Blick auf die Mehrbelastung der Arbeitsagentur: "Die pauschale Verlängerung bis Ende 2021 ist deshalb falsch." Das Leistungs- und Beratungsangebot der Bundesagentur für Arbeit werde einseitig zulasten der Arbeitssuchenden ausgedünnt. "Gerade hier versagen Union und SPD", erklärte Vogel. Er forderte stattdessen Anreize für Unternehmen, Arbeitnehmer anzustellen und zu investieren - unter anderem durch eine befristete Übernahme der Sozialbeiträge.

Beate Müller-Gemmecke von den Grünen erklärte: "Unterstützung und Angebote sind bei der derzeit schwierigen Arbeitsmarktsituation wichtiger denn je." Gesundheitsschutz und die Belastung durch Kurzarbeitergeld-Anträge könnten "kein Grund mehr dafür sein, die Unterstützung für Arbeitslose weiterhin auf niedrigem Niveau zu belassen".

1000 neue Stellen für BA

Zimmermann zufolge wurden durch die Krise "bereits bestehende Probleme lediglich deutlich verschärft". Es fehlt der Bundestagsabgeordneten zufolge an Stammpersonal für die Arbeitsvermittlung. "Schwankende Arbeitslast liegt in der Natur der Arbeitslosenversicherung, weshalb diese eine hinreichende Personalreserve benötigt." Bis 2019 aber sei noch Personal abgebaut worden. "Auch die Betreuungsrelation hat sich verschlechtert", erklärte die Linken-Politikerin. Dem Bundesarbeitsministerium zufolge wurde kürzlich die zusätzliche Einstellung von 1000 Arbeitskräften für die BA beschlossen. Im vergangenen Jahr beschäftigte die Arbeitsagentur 95.000 Mitarbeiter.

Müller-Gemmeke forderte verstärkt digitale Angebote für Menschen, denen der Austausch allein via E-Mail und Telefon schwerfällt. Die BA teilte ntv.de mit, dass derzeit in 19 Regionen die Beratung über Videotelefonie erprobt werde. Diese Möglichkeit solle noch im laufenden Jahr "für ausgewählte Jobcenter ausgedehnt werden".

Ein weiterer kritischer Punkt ist das Überleben der Anbieter von Weiterbildungen und Fördermaßnahmen, die ihre Angebote aus Gesundheitsschutzgründen nicht länger in geschlossenen Räumen abhalten konnten. Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums habe bereits das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz "dazu beigetragen, den Bestand dieser Dienstleister zu sichern". Über das Gesetz könnten Bildungsträger Zuschüsse beantragen. Müller-Gemmecke forderte weitere Anstrengungen, um die Träger für den Zeitraum der Pandemie finanziell abzusichern. Sie argumentierte: "Sind Strukturen erst einmal weggebrochen, dann wird es mühselig, sie wieder aufzubauen."

Quelle: ntv.de

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