Politik

Regierungserklärung zu Atompolitik Nicht getrickst / Alles Kumpanei

Merkel während ihrer Regierungserklärung.

Merkel während ihrer Regierungserklärung.

(Foto: dpa)

Bundeskanzlerin Merkel verteidigt in ihrer Regierungserklärung das Atom-Moratorium. Deutschland brauche einen "Ausstieg mit Augenmaß". Das beurteilt die Opposition völlig anders. Und diverse Experten sehen in dem Moratorium einen glasklaren Rechtsbruch.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will trotz der Atomkatastrophe in Japan grundsätzlich an der Atomkraft als Brücke zum Zeitalter der Öko-Energien festhalten. "Wir wissen, wie sicher unsere Kernkraftwerke sind. Sie gehören zu den weltweit sichersten", sagte Merkel. Sie lehne es jedoch ab, die Kernkraftwerke in Deutschland abzuschalten, aber dann Strom aus Meilern anderer Länder zu beziehen. "Das ist mit mir nicht zu machen." Deutschland und seine Industrie könnten nicht sofort auf Atomkraft verzichten. Energie müsse zudem für die Verbraucher bezahlbar sein. Arbeitsplätze dürften nicht abwandern in Länder mit weniger Atom-Sicherheit. "Was wir brauchen, ist ein Ausstieg mit Augenmaß", so die Kanzlerin. Die vorübergehende Stilllegung von alten Atomanlagen verteidigte sie als rechtskonform. "Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die Sicherheit." Die Abschaltung sei durch das Atomgesetz gedeckt. Ein neues Gesetz sei dafür nicht notwendig.

SPD-Chef Gabriel hielt Merkel weiter Unglaubwürdigkeit vor.

SPD-Chef Gabriel hielt Merkel weiter Unglaubwürdigkeit vor.

(Foto: REUTERS)

Juristische Tricks könnten ihr daher nicht unterstellt werden. Nach dem dreimonatigen Atom-Moratorium werde entschieden. "Alles kommt auf den Prüfstand." Möglicherweise würden Anlagen schneller vom Netz genommen. Merkel wies die Kritik aus der SPD zurück, dass es einen Deal mit den Energiekonzernen gegeben habe. "Dies ist eine aufsichtsrechtliche Maßnahme. Dies ist kein Deal, dies ist keine Absprache, dies ist gar nichts", sagte sie. "Dies ist die Anwendung des Atomgesetzes in einer neuen Lage." Das vorläufige Abschalten der ältesten Kernkraftwerke sei Ausdruck äußerster Vorsorge, zu der sich Bund und Länder mit Atomanlagen verpflichtet sehe.

Merkel bekräftigte, nach dem dreimonatigen Moratorium werde die Lage eine andere sein als vor dem Moratorium. Eine bloße Rückkehr zum rot-grünen Atomausstieg lehne sie daher ab. Wichtig sei es aber, jetzt den Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzutreiben. Wer Erneuerbare wolle, dürfe sich den neuen großen Stromtrassen, die dafür gebaut werden müssen, nicht verweigern, so Merkel mit Blick auf verschiedene Bürgerproteste. "Die Erneuerbaren können wir nur ausbauen, wenn die notwendigen Stromnetze ausgebaut werden."

Gabriel schlägt zu

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel warf Merkel hingegen Kumpanei mit der Atomwirtschaft vor. Die von ihrer schwarz-gelben Regierung beschlossene Laufzeitverlängerung sei "mit den Herren der Atomwirtschaft im Hinterzimmer dingfest gemacht" worden, sagte Gabriel. Ohne Merkels "Kumpanei mit der Atomwirtschaft" wären alte Meiler wie Biblis A oder Neckarwestheim I schon längst abgeschaltet worden. So aber habe die Atomwirtschaft Milliarden gespart. "Sie persönlich haben Sicherheit gegen Geld getauscht", warf Gabriel der CDU-Vorsitzenden vor.

Er habe die Kanzlerin bereits in der Vergangenheit aufgefordert, die ältesten Atomkraftwerke schneller vom Netz zu nehmen. "Sie haben das verweigert", sagte Gabriel am Donnerstag im Bundestag. Gabriel, der in der großen Koalition unter Merkel Bundesumweltminister war, warf Merkel vor, sie selbst habe seinerzeit verlangt, die Laufzeiten der Atommeiler Biblis A und Neckarwestheim I zu verlängern. "Sie haben mich schriftlich dazu aufgefordert, die Laufzeiten dieser beiden Atomkraftwerke zu verlängern."

Gabriel weiter: "Die äußerste Gefahrenvorsorge, die müssen Sie nicht jetzt machen, die müssen Sie immer machen. Nun sei völlig unsicher, wie Merkel nach Ende des dreimonatigen Atom-Moratoriums entscheide. Die Kanzlerin sei unzuverlässig und schade der Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt. Die SPD fordert ein Ausstiegsgesetz mit der dauerhaften Abschaltung der sieben ältesten AKWs und einem Verfall der Reststrommengen.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hielt Merkel vor, die deutschen Atomkraftwerke als die sichersten der Welt bezeichnet zu haben. "Sie überschätzen sich und ihre eigenen Anlagen, wenn sie so über Risiken hinweg reden." Für eine ernsthafte Sicherheitsprüfung sei mehr Zeit erforderlich als die für das Moratorium. Benötigt würden ein bis eineinhalb Jahre.

Davor hat fast jeder Angst: Messung auf Kontamination.

Davor hat fast jeder Angst: Messung auf Kontamination.

(Foto: REUTERS)

Die Linken forderten eine generelle Abkehr von der Atomkraft. Der 11. März, der Tag des Erdbebens in Japan, müsse "das Ende des nuklearen Zeitalters" sein, sagte Fraktionschef Gregor Gysi in der Debatte. Er warf SPD und Grünen vor, beim Atomkonsens einen Vertrag mit der Industrie ausgehandelt zu haben, anstatt das Ende der Atomkraftnutzung einfach per Gesetz zu beschließen.

Experten sehen Rechtswidrigkeit

Eine zwangsweise Abschaltung alter Atomkraftwerke ist nach Auffassung führender Juristen nur mit einer Gesetzesänderung möglich. Die bislang genannte Rechtsgrundlage aus dem Atomgesetz genüge nicht, sagte der Würzburger Rechtsprofessors Kyrill-Alexander Schwarz. "Paragraf 19, Absatz 3, Ziffer 3 reicht definitiv nicht aus." Dazu müssten dringende Gefahren direkt von den Kraftwerken ausgehen. "Für eine Stilllegung wäre eine Gesetzesänderung nötig", sagte Schwarz. "Das gilt auch für eine befristete Stilllegung für drei Monate."

Nach dem Beschluss der Bundesregierung prüfen die Energiekonzerne bereits rechtliche Schritte. Eon erwäge eine Klage gegen die entsprechende Verfügung des Umweltministeriums, berichtet die "Süddeutschen Zeitung", auch andere Konzerne zögen rechtliche Schritte in Betracht.

Das AKW Biblis soll zumindest vorübergehend abgeschaltet werden. Rechtsexperten fordern dafür die Zustimmung des Bundestages.

Das AKW Biblis soll zumindest vorübergehend abgeschaltet werden. Rechtsexperten fordern dafür die Zustimmung des Bundestages.

(Foto: dpa)

Auch der renommierte Berliner Umweltrechtler Michael Kloepfer hält ein Moratorium ohne gesetzliche Grundlage für "evident verfassungswidrig". Ein Rückgriff auf die Bestimmung des Atomgesetzes erlaube keine "befristete Freistellung von geltenden Gesetzen", so Kloepfer in einer schriftlichen Stellungnahme. "Der Vorrang des Gesetzes kann nicht durch Willensäußerungen der Exekutive über ein "Moratorium" unterlaufen werden. Rechtsstaatliche Grundsätze und der Respekt vor dem Parlament verlangen daher einen entsprechenden Beschluss des Bundestages in Gesetzesform", so Kloepfer.

Der Düsseldorfer Staatsrechtler Martin Morlok warf der Bundesregierung rechtswidriges Handeln vor. "Das Moratorium ist ein flotter Spruch der Regierung ohne rechtliche Grundlage", sagte Morlok. Ähnlich sieht das der Rechtswissenschaftler Joachim Wieland. Die Laufzeitverlängerung sei vom parlamentarischen Gesetzgeber - dem Bundestag - beschlossen, argumentierte Wieland. "Nur er könnte dieses Gesetz unterbrechen oder ein neues Gesetz erlassen." Die Regierung sei an jedes bestehende Gesetz gebunden und könne nicht einfach selber ein Moratorium verkünden.

Vorübergehend vom Netz gehen sollen die AKWs Neckarwestheim 1, Philippsburg 1 (Baden-Württemberg), Biblis A und B (Hessen), Isar 1 (Bayern), Unterweser (Niedersachsen) und das ohnehin stillstehende AKW Brunsbüttel (Schleswig-Holstein). Auch das nach Pannen stillstehende AKW Krümmel in Schleswig-Holstein soll abgeschaltet bleiben. Überprüft werden sollen alle 17 deutschen Meiler bis 15. Juni. Mecklenburg-Vorpommern will auch das Atommüll-Zwischenlager bei Lubmin einbeziehen lassen.

Quelle: ntv.de, jmü/dpa/rts/AFP

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