Politik

"Für die Bürger bin ich verantwortlich" Merkel ändert Kurs in NSA-Affäre

Angela Merkel in Brüssel

Angela Merkel in Brüssel

(Foto: REUTERS)

Die Kanzlerin äußert sich deutlicher als je zuvor zu den Vorwürfen, die NSA horche sie und andere deutsche Bürger ab: "Das Ausspähen von Freunden geht gar nicht", sagt sie. Erstmals spricht sie von einer persönlichen Verantwortung für den Schutz der Bürger vor Ausspähung. Das Vertrauen zu den USA sei beschädigt. Das bekommt auch der US-Botschafter in Berlin zu spüren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich erstmals persönlich zu der Information geäußert, ihr Handy werde vom US-Geheimdienst abgehört. "Das Ausspähen von Freunden geht gar nicht", sagte Merkel in Brüssel, wo sie zum EU-Gipfel mit anderen Staats- und Regierungschefs zusammentrifft. "Wir brauchen Vertrauen unter Verbündeten und Partnern. Und solches Vertrauen muss jetzt wieder neu wiederhergestellt werden."

Bislang hatte Merkel die Bearbeitung des NSA-Skandals eher auf der Arbeitsebene der Ministerien und des Kanzleramtes angesiedelt. Nun sprach sie von ihrer persönlichen Zuständigkeit: Das Ausspähen sei nicht legitim. "Das gilt für jeden Bürger und jede Bürgerin in Deutschland. Dafür bin ich als Bundeskanzlerin auch verantwortlich, das durchzusetzen."

In Berlin tagte unterdessen das Parlamentarische Kontrollgremium. Es wird aus Abgeordneten des Bundestags zusammengesetzt und soll die deutschen Geheimdienste überwachen. Die Sitzung war angesetzt worden, nachdem die Bundesregierung von Recherchen des "Spiegel" erfahren hatte, wonach das Mobiltelefon der Kanzlerin von der NSA abgehört wurde. Nach eigener Aussage erfuhr sie erst jetzt von dem Verdacht. "Ich gehe davon aus, dass auch die US-Sicherheitsbehörden unsere Entscheidungsträger nicht ausforschen", hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich Anfang Juli gesagt.

Kanzleramtschef Ronald Pofalla betonte nach der Sitzung des Kontrollgremiums, dass das Weiße Haus zwar dementiert habe, dass die Kommunikation derzeit und in Zukunft abgehört werde, dass dieses Dementi "aber nicht für die Vergangenheit abgegeben" wurde.

Ronald Pofalla vor der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums.

Ronald Pofalla vor der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums.

(Foto: dpa)

Das überwachte Handy soll Merkel bis Juli genutzt haben. Es handelt sich wohl nicht um das Handy, das ihr als Kanzlerin zur Verfügung gestellt wird, sondern um das Gerät für die parteiinterne Kommunikation. Nach Medienberichten war es nicht für den Gebrauch am Arbeitsplatz zugelassen und vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik nicht als abhörsicher eingestuft.

Der "Spiegel" hatte in den vergangenen Monaten immer wieder zu Dokumenten des US-Geheimdienstes, die dessen ehemaliger Mitarbeiter Edward Snowden von den Servern der Behörde kopiert hatte, Details gebracht. Snowden befindet auf der Flucht vor den US-Ermittlungsbehörden und ist in Russland untergetaucht.

Politiker aus Deutschland und EU empört

Der Skandal überschattet das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Kommissionspräsident José Manuel Barroso warnte mit Blick auf den Spähskandal vor "Totalitarismus". Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande wollen am Rande des Gipfels über die neuen Spionagevorwürfe beraten. Die französische Zeitung "Le Monde" hatte berichtet, der US-Geheimdienst NSA spähe massiv die Telefonate französischer Bürger aus.

Auch die italienische Regierung ist nach einem Bericht des Magazins "L'Espresso" vom US-Geheimdienst NSA ausgespäht worden. "Die NSA führt eine Menge Spähaktionen aus, auch bei europäischen Regierungen, darunter die italienische", zitiert das Wochenmagazin den Journalisten Glenn Greenwald, der mit Edward Snowden zusammenarbeitet. Das Magazin kündigte an, am Freitag neue Snowden-Dokumente zu veröffentlichen. Sie sollen zeigen, dass britische Stellen italienische Politiker ausgespäht und ihre Informationen mit der NSA geteilt hätten.

Die EU-Kommission forderte ein geschlossenes Auftreten der EU-Staaten. "Jetzt ist es an der Zeit für Taten und nicht nur für Erklärungen", sagte die Sprecherin von Justizkommissarin Viviane Reding. "Datenschutz muss gelten, egal ob es die E-Mails der Bürger betrifft oder das Mobiltelefon von Angela Merkel." Offiziell steht das Thema Internet und Telefonieren oben auf der Tagesordnung. Dabei geht es aber weniger um Datenschutz, als um die wirtschaftliche Entwicklung des digitalen Sektors.

In Deutschland kritisierten Spitzenpolitiker aller Parteien die NSA. Der noch amtierende Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bestellte in Berlin den US-Botschafter ein – ein in der Nachkriegsgeschichte wohl beispielloser Vorgang. Im Auswärtigen Amt kann man sich an keinen anderen Fall erinnern. Der Außenminister bestellt Botschafter in der Regel zu einem Gespräch ein, um größere Verstimmung zu signalisieren. Westerwelle nannte die Einberufung ein "schwerwiegendes diplomatisches Mittel". "Wer einander vertraut, der hört sich nicht ab. Wer es dennoch tut, der belastet die Freundschaft." Er machte seine Missbilligung der Abhöraktion auf einer Pressekonferenz nach dem Termin auch auf Englisch deutlich. Laut Pofalla wurde dem Botschafter "noch einmal unmissverständlich deutlich" gemacht, "dass wir die Beantwortung aller noch offenen Fragen erwarten".

SPD-Chef Sigmar Gabriel betonte, es gehe ums Prinzip: "Ich möchte nicht, dass der Skandal nur deshalb groß ist, weil er einen Regierungschef betrifft." Der Datenschutz dürfte nun in den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD mehr Gewicht bekommen. Die Grünen warfen dem Kanzleramt vor, im Sommer den NSA-Skandal vorschnell zu den Akten gelegt zu haben.

Weißes Haus schweigt zu konkretem Vorwurf

Merkel hatte am Mittwochabend US-Präsident Barack Obama angerufen, sich beschwert und Aufklärung verlangt. Das Weiße Haus erklärte, Merkel werde nicht ausspioniert. US-Regierungssprecher Jay Carney sagte in Washington: "Die Vereinigten Staaten überwachen die Kommunikation der Kanzlerin nicht und werden sie nicht überwachen." Dies habe Obama Merkel versichert. Carney ging aber nicht darauf ein, ob Merkels Handy in der Vergangenheit längere Zeit abgehört wurde. Entsprechende Anfragen von Journalisten beantwortete das Weiße Haus nicht.

Die Bundesanwaltschaft prüft die Hinweise. Sie legte einen sogenannten "Beobachtungsvorgang" an. "In diesem Rahmen wird sie die mit der in Rede stehenden Frage befassten Bundesbehörden bitten, ihre Erkenntnisse zu übermitteln, um eine zuverlässige Tatsachengrundlage zu erlangen", sagte Oberstaatsanwalt Marcus Köhler.

Im Sommer war durch Enthüllungen des Ex-NSA-Mitarbeiters Snowden bekannt geworden, dass der US-Geheimdienst seit Jahren weltweit im großen Stil den Datenverkehr abhört. Bislang geht es dabei aus deutscher Sicht vor allem um Kommunikation, die über amerikanische Server läuft. Dadurch hätte die NSA Zugang zu praktisch allen Daten hat, die über das Internet gesendet werden und könnte damit deutsche Privatleute, Firmen und Regierungsbehörden überwachen. Laut Snowden filtern die NSA-Computer die verfügbare Kommunikation und durchsuchen sie automatisch nach verdächtigen Inhalten.

Quelle: ntv.de, mit AFP/dpa

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