Politik

Gewerkschaften rufen zu Streiks auf Merkel kommt, Athen macht mobil

Merkel gilt in Griechenland als Hauptschuldige der Krise. Eine Zeitschrift bildete die Kanzlerin im Juli in Häftlingskleidung ab.

Merkel gilt in Griechenland als Hauptschuldige der Krise. Eine Zeitschrift bildete die Kanzlerin im Juli in Häftlingskleidung ab.

(Foto: picture alliance / dpa)

Kanzlerin Merkel reist ins Zentrum der Euro-Krise, nach Athen. Kaum ist die Nachricht von der Visite raus, rufen die Gewerkschaften in Griechenland zu Protesten auf. Die griechische Regierung erhofft sich offenbar Zugeständnisse. Denn ihr Geld reicht nur noch bis Ende November. Allerdings ist fraglich, ob Merkel Griechenland mehr Zeit gewähren kann.

Zum ersten Mal seit Ausbruch der Euro-Krise vor drei Jahren reist Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Griechenland. In der Hauptstadt Athen werde sie am kommenden Dienstag den griechischen Regierungschef Antonis Samaras treffen, kündigte Regierungssprecher Steffen Seibert an.

Samaras und Merkel am 24. August vor dem Bundeskanzleramt.

Samaras und Merkel am 24. August vor dem Bundeskanzleramt.

(Foto: dpa)

Seibert stellte die Reise als Routinebesuch dar. "Es ist ein normaler Besuch, weil Griechenland und Deutschland enge Freunde und Partner sind", sagte er. Die Kanzlerin folge einer Einladung des griechischen Ministerpräsidenten Antonis Samaras.

Samaras hatte Merkel im August in Berlin besucht. Die Reise stehe aber selbstverständlich unter dem Eindruck der sehr schwierigen Situation des Landes, sagte Seibert. "Wir wollen Griechenland helfen", beschrieb Seibert die Botschaft, die Merkel mit ihrem Besuch verbindet. Das genaue Programm des Besuchs stehe noch nicht fest.

Gewerkschaften rufen zu Streiks auf

Tatsächlich ist der Besuch jedoch alles andere als Routine. Ein Sprecher der griechischen Regierung verwies darauf, dass es die erste Reise der Kanzlerin nach Athen seit fünf Jahren sei. Seit Beginn der Krise, die sich 2009 anbahnte, war sie nicht in Griechenland gewesen. "Dieser Besuch wird sehr positiv sein, ... und er wird sicher ein weiterer Schritt für wichtige zukünftige europäische Entscheidungen sein", erklärte Regierungssprecher Simos Kedikoglou.

In weiten Teilen der griechischen Öffentlichkeit wird Merkel als Hauptschuldige für die drastischen Sparforderungen an das Land gesehen. Entsprechend schlug die Nachricht von der anstehenden Visite der Kanzlerin ein. Die Gewerkschaften haben bereits zu Proteststreiks gegen Merkel aufgerufen. Außerdem solle am Parlamentsgebäude demonstriert werden, erklärten die beiden größten Gewerkschaften Griechenlands. "So werden wir Frau Merkel empfangen", sagte ein Funktionär.

Am Donnerstag war es erstmals aufgebrachten Werftarbeitern gelungen, in den Hof des Verteidigungsministeriums einzudringen. Es kam zu Schlägereien mit der Polizei.

Samaras sieht Parallelen zu Weimarer Republik

Am Donnerstag im Hof des Verteidigungsministeriums.

Am Donnerstag im Hof des Verteidigungsministeriums.

(Foto: REUTERS)

Ministerpräsident Samaras bat die Kanzlerin im "Handelsblatt", sich selbst ein Bild von der angespannten Lage in Griechenland zu machen. Ihr Besuch wäre für das Verhältnis beider Völker bedeutsam. "Angela Merkel ist für mich eine verlässliche Stütze", sagte er. Zugleich warnte er in eindringlichen Worten vor einem Absturz des Landes, sollte seine Regierung scheitern. Dann sei die Demokratie gefährdet und es "wartet auf uns das Chaos".

Der Regierungschef verglich die Situation mit der am Ende der Weimarer Republik in Deutschland. Die griechische Gesellschaft sei bedroht "durch etwas, das es in unserem Land noch nie zuvor gegeben hat: den Aufstieg einer rechtsextremistischen, man könnte auch sagen faschistischen, Neonazi-Partei".

Athens Geld reicht noch bis Ende November

Das Geld für die laufenden Ausgaben des Staates reiche noch bis Ende November, betonte Samaras. "Dann ist die Kasse leer." Ein Austritt aus der Eurozone sei dabei "keine Option für Griechenland - es wäre eine Katastrophe". Die Zusagen gegenüber der EU und Deutschland werde sein Land einhalten. "Die Menschen wissen, dass dies die letzte Chance Griechenlands bedeutet", unterstrich Samaras.

Merkels Reise findet vor dem Hintergrund der Troika-Verhandlungen mit Griechenland statt. Die griechische Regierung verhandelt seit Wochen mit dem Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der EU-Kommission über zusätzliche konkrete Einsparungen. Eine Einigung ist die entscheidende Voraussetzung, dass gut 30 Milliarden Euro an Hilfsgeldern freigegeben werden. Noch ist nicht absehbar, wann der erforderliche Troika-Bericht vorliegt und ob darin eine Freigabe der Mittel empfohlen wird. Zuletzt gab es jedoch Signale aus den Partnerländern, dass Athen mit einer Zustimmung rechnen kann.

Die Euro-Zone erwartet Kreisen zufolge keine Entscheidung über die nächste Tranche für Griechenland vor der zweiten Oktoberhälfte. Ein hochrangiger Vertreter des Währungsraums sagte, er gehe nicht davon aus, dass sie auf dem EU-Gipfel am 18. und 19. Oktober getroffen werde.

Samaras fordert mehr Zeit

Angesichts der dramatischen Lage forderte Samaras mehr Zeit für die Haushaltskonsolidierung. Das bedeute nicht unbedingt mehr Hilfskredite. Samaras hob hervor, dass die Reformanstrengungen im Lande erste Früchte trügen. Es gebe eine Reihe von Hoffnungszeichen.

Die Griechen hätten durch die Sparmaßnahmen und die desolate wirtschaftliche Lage innerhalb von fünf Jahren mehr als ein Drittel ihres Lebensstandards verloren, sagte Samara. Daher habe Merkel den richtigen Ton getroffen, als sie bemerkte, ihr blute angesichts dieser Schicksale das Herz.

Merkel braucht den Bundestag

Offen ist, ob Merkel Griechenland mehr Zeit gewähren kann. Denn Merkel ist dabei auf die Zustimmung des Bundestags angewiesen: Der Haushaltsausschuss beschloss am Freitag, dass einer etwaigen Änderung des Griechenland-Hilfspaketes auf alle Fälle der gesamte Bundestag seine Zustimmung geben muss und nicht nur der Ausschuss.

Angesichts zunehmender Skepsis bei den Koalitionsparteien wäre eine Mehrheit im Bundestag nicht sicher. Dann könnte die Bundesregierung der Freigabe weiterer Zahlungen an Griechenland nicht zustimmen. Die Fortsetzung des Hilfeprogramms wäre damit blockiert.

Der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider schrieb es den Bemühungen von SPD und Grünen zu, dass im Fall von Griechenland das Parlament im Plenum mit den absehbaren Änderungen befasst werden soll. "Die Bundeskanzlerin wird dabei eine eigene Mehrheit für die Fortsetzung der Finanzhilfen für Griechenland darstellen müssen."

Quelle: ntv.de, hvo/dpa/rts

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