Wachstumspakt und Börsensteuer Merkel löst Versprechen ein
22.06.2012, 17:55 Uhr
Leicht fiel es ihr sicher nicht. Für ihren Fiskalpakt musste Merkel etliche Zugeständnisse an die Opposition machen.
(Foto: REUTERS)
Mit einem konkreten Ergebnis des Spitzentreffens von Angela Merkel und den Regierungschefs von Frankreich, Italien und Spanien rechnete eigentlich niemand. Doch jetzt überrascht die Kanzlerin mit einem symbolträchtigen Schritt. Sie boxt beim EU-Vierer-Treffen ausgerechnet die Forderungen der Opposition in Deutschland durch.
Bundeskanzlerin Angela Merkel löst ihre Versprechen an die Opposition prompt ein. Einen Tag nach dem Fiskalpakt-Deal wirbt sie bei ihren europäischen Partnern erfolgreich für die Forderungen von SPD und Grünen. Die CDU-Politikerin einigte sich mit den führenden Volkswirtschaften der EU auf ein Wachstumspaket von rund 130 Milliarden Euro und eine Finanztransaktionssteuer.
Es gibt etliche Varianten von Finanztransaktionssteuern (FTT). In Europa wird derzeit vor allem eine Version diskutiert, die die EU-Kommission im Herbst 2011 vorgeschlagen hat.
Was verbirgt sich hinter dem Konzept der EU-Kommission?
Die EU-Kommission schlägt eine Steuer vor, die auf Finanzgeschäfte mit Wertpapieren, Anleihen, Anteilen und Derivaten erhoben wird.
Wozu dient die Steuer?
Die Finanztransaktionssteuer soll in erster Linie spekulative Handelsgeschäfte eindämmen. Banken und andere Finanzdienstleister führen heutzutage Hunderte Transaktionen in kürzester Zeit durch - oft automatisiert. Diese Form des Handels heißt "Hochfrequenz-Handel" und kann in kürzester Zeit zu schweren Verzerrungen des Marktes führen. Die FTT erhöht die Kosten dieser Geschäfte, weil durch sie jede einzelne Transaktion besteuert wird. Die Hoffnung ist, dass Finanzdienstleister ihren Hochfrequenz-Handel darum einschränken. Zudem soll sie dafür sorgen, dass sich Banken auf diesem Weg an den Kosten der Krise beteiligen.
Welche Länder sollen die Steuer einführen?
Die Kommission strebt an, die Steuer in allen 27 EU-Staaten einzuführen, angesichts des globalisierten Finanzmarktes idealerweise gar auf der ganzen Welt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Investoren der Steuer ausweichen, indem sie Handelsplätze ohne FTT nutzen.
Wie lässt sich verhindern, dass Investoren die Steuer umgehen?
Durch das sogenannte Ansässigkeitsprinzip. Die Steuer würde danach immer dann fällig, wenn eine Person oder ein Finanzinstitut aus einem EU-Land an einem Geschäft beteiligt ist.
Wie hoch ist die Steuer?
Die EU-Kommission schlägt einen Satz von 0,1 Prozent für den Handel mit Anleihen und Anteilen und von 0,01 Prozent für den Handel mit Derivatprodukten vor.
Wer bekommt die Steuereinnahmen?
Die Erträge aus der FTT sollen in die Haushalte der EU und seiner Mitgliedsländer einfließen.
Wie viel Geld kommt dabei zusammen?
Die EU-Kommission schätzt die Erträge in Europa auf rund 57 Milliarden Euro im Jahr.
Was passiert mit dem Geld?
Grundsätzlich sind Steuereinnahmen nicht zweckgebunden. Die EU-Kommission wünscht sich aber, dass zumindest ein Teil des Geldes für Wachstum- und Beschäftigungsprogramme und den Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt wird.
Mit Investitionen im Umfang von einem Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts solle in der Finanzkrise "ein Zeichen" gesetzt werden, sagte Merkel nach einem Treffen mit dem französischen Präsidenten François Hollande und den Regierungschefs Italiens und Spaniens, Mario Monti und Mariano Rajoy. Alle Teilnehmer des Treffens unterstützten zudem laut Merkel die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Die Märkte seien an den Kosten der Krise "noch nicht ausreichend beteiligt", so die Kanzlerin. Als sicher gilt allerdings jetzt schon, dass sich nicht alle 27 EU-Staaten an der Steuer beteiligen werden.
in der italienischen Hauptstadt Rom diente eigentlich der Vorbereitung des EU-Gipfels am 28. und 29. Juni in Brüssel. "Wir müssen politisch enger zusammenrücken, insbesondere im Euroraum", sagte Merkel. Dazu solle "an einer stärkeren politischen Union" gearbeitet werden. "Die Lehre aus der Krise ist nicht weniger Europa, sondern mehr Europa", sagte die Kanzlerin. Doch dank des überraschenden Ergebnisses des Treffens muss es nun auch als Signal an die Opposition eingeschätzt werden.
Nach wochenlangen Verhandlungen und erst nach vielen Zugeständnissen von Schwarz-Gelb hatte sich die Regierungskoalition , der vom 1. Januar 2013 an für mehr Haushaltsdisziplin in der EU sorgen soll. Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich darin, zu Schuldenbremsen und automatisierten Strafmechanismen bei Verstößen. Fast alle EU-Staaten wollen sich daran beteiligen.
Bei dem Vorhaben drängt die Zeit. Bundestag und Bundesrat sollten dem Vertrag noch im Juni zusammen mit dem Euro-Rettungsschirm ESM zustimmen, der schon am ersten Juli in Kraft treten soll. Merkel pochte auf eine Gemeinsame Abstimmung von Fiskalpakt und ESM noch in diesem Monat, um ein Signal der Handlungsfähigkeit und Stärke an die Finanzmärkte zu senden und sicherzustellen, dass kriselnde Euro-Staaten nicht weitere Rettungsmillionen bekommen, ohne sich zu mehr Haushaltsdisziplin zu bekennen.
Mit ihrer symbolträchtigen Einigung in Rom wollte Merkel womöglich nicht nur sicherstellen, dass auch SPD und Grüne bei den Abstimmungen Wort halten. Sie wollte vielleicht auch kaschieren, dass ihr Zeitplan schon kurz nach der Einigung von Regierung und Opposition ins Wanken geriet. Bundespräsident Joachim Gauck will den Vorhaben vorerst seine Unterschrift verweigern, weil er dem Bundesverfassungsgericht Zeit geben will, die Gesetze zu prüfen. Unter anderem die Linke hatte dagegen geklagt. Sie forderte eine Volksabstimmung für die Einführung des Fiskalpakts. Die Öffentlichkeit solle darüber aufgeklärt werden, "worum es bei dem Fiskalpakt geht und wie er sämtliche Staaten zu Kürzungsprogrammen verpflichtet", sagte Parteichefin Katja Kipping in der ARD.
Welche Folgen die Klage hat, ist noch völlig unklar. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier geht davon aus, dass der ESM in Karlsruhe bestehen wird. "Ich rechne, wenn Sie mich so fragen, nicht damit, dass der Mechanismus insgesamt gekippt wird", sagte er dem Deutschlandfunk.
Die Bundesregierung erwartet auch trotz der Verzögerung nicht, dass der Rettungsschirm dadurch geschwächt wird. Wenn Bundestag und Bundesrat die entsprechenden Gesetze am nächsten Freitag beschließen, "ist das ein ganz klares Signal", sagte Vizeregierungssprecher Georg Streiter. Ob nach dem Bundestag aber auch der Bundesrat zustimmt, ist noch ungewiss. Die Koalition will am Sonntag mit den Ländern verhandeln. Vielleicht soll das Überraschende Ergebnis des Vierer-Gipfels auch die Grundlage für diese Gespräche sichern.
Quelle: ntv.de, ieh/AFP