"Chaotisches Regieren" Merkel muss kräftig einstecken
12.05.2010, 10:51 Uhr
Merkel wird von ihrer eigenen Partei zu klarer Politik herausgefordert.
(Foto: dpa)
Kanzlerin Merkel steht unter Beschuss. Zahlreiche Unionspolitiker trauen sich nach dem Wahl-Debakel in NRW aus der Deckung und üben heftige Kritik an ihrer Chefin. Vor allem die CSU und der CDU-Mittelstand sind sauer. Manche sehen sogar die schwarz-gelbe Koalition vor die Wand fahren.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht sich wegen des Euro-Rettungspakets heftiger Kritik aus der eigenen Partei und der CSU ausgesetzt. Die bayerische Schwesterpartei warf der Regierungschefin schlechtes Krisenmanagement vor und drohte damit, dem Gesetz nicht zuzustimmen. "Bei Projekten dieser Tragweite muss ein Höchstmaß an Transparenz herrschen. Die bisherige Informationspolitik der Bundesregierung nach innen wie nach außen ist deutlich verbesserungsfähig", sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt dem "Handelsblatt". "Die CSU erwartet künftig umfassend und ohne Aufforderung informiert zu werden."
Vor allem erzürnt die CSU, dass beim Krisentreffen von Teilen des Kabinetts bei der Kanzlerin am Sonntagabend kein einziger CSU-Minister hinzugezogen wurde. "Es kann nicht sein, dass die CSU bei einer so wichtigen Besprechung wie der zum Euro-Rettungspaket nicht mit am Kabinettstisch sitzt", sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Georg Nüßlein. "Als Konsequenz daraus muss sich die Kanzlerin dann auch nicht wundern, wenn die CSU nicht in ihrem Sinne abstimmt."
Schweres Geschütz fuhr beim Treffen der Landesgruppe auch Ex-Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) auf. Merkels Krisenmanagement sei schlecht, sagte er, "von Griechenland bis NRW". Nach Informationen des "Handelsblatts" haben mehrere Vertreter der CSU-Spitze der Kanzlerin ihre Vorbehalte in verschiedenen internen Runden wie dem Kabinettsfrühstück deutlich gemacht.
"Vor die Wand"
Der CDU-Mittelstand warnt unterdessen vor einem vorzeitigen Ende für die schwarz-gelbe Koalition im Bund und übt ebenfalls Kritik am Kurs von Merkel. "Die Absage an Steuersenkungen ist das Ende des wachstumspolitischen Konzepts der CDU", sagte der Bundesvorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, der "Rheinischen Post". Er fügte hinzu: "Die Gefahr besteht, dass das schwarz-gelbe Projekt im Bund nach nur sieben Monaten schon wieder vor dem Ende steht." Das CDU-Vorstandsmitglied mahnte: "Ich glaube, dass die schwarz-gelbe Koalition so vor die Wand fährt."
Schlarmann zufolge ist eine wachstums- und reformorientierte Politik "so gut wie tot". Das habe "auch Kanzlerin Angela Merkel mitzuverantworten". Das "teilweise chaotische Regieren" sei mitverantwortlich für die "katastrophale" Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen. "Das Problem ist, dass die Bundeskanzlerin kein langfristiges Ziel vor Augen hat", sagte Schlarmann. Auch der "Arbeiterführer" Jürgen Rüttgers und sein sozialdemokratischer Kurs seien abgewählt worden. "Wir brauchen wieder mehr Wirtschaftspolitik in diesem Land." NRW-Ministerpräsident Rüttgers hatte bei der Landtagswahl am Sonntag schwere Verluste von mehr als zehn Prozent für seine CDU hinnehmen müssen.
"Viel zu spät"
Der CDU-Fraktionsvorsitzende von Thüringen, Mike Mohring, äußerte sich besorgt darüber, dass es dem bürgerlichen Lager nicht mehr gelinge, die Wähler in einem ausreichenden Maß zu binden. Mohring, sagte er der "Leipziger Volkszeitung": "Das, was die Union durch unklare Positionierung verliert, wird nicht mehr durch die FDP aufgefangen, sondern veranlasst die Bürger, gar nicht mehr zur Wahl zu gehen." Die Teilnehmer des Kreises wollen sich demnach aber nicht als Merkel-Kritiker einstufen lassen. Sie verbinde die Sorge um den Erhalt des CDU-Charakters als Volkspartei, sagte Mohring. Den von der Kanzlerin verkündeten Verzicht auf Steuersenkungen verteidigte er, auch wenn dies "viel zu spät erfolgt" sei.

Zum Krisentreffen der Kanzlerin zum Euro-Rettungspaket waren nur Teile des Kabinetts geladen.
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Die Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) wies hingegen die jüngsten Angriffe aus den eigenen Reihen auf die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende zurück. Bei der Debatte um das fehlende Profil der Partei gehe es "viel zu sehr um persönliche Profilierung" und "wohl auch um persönliche Macht", sagte die CDU-Landesvorsitzende der "Thüringer Allgemeine". "Das Konservative kommt nicht zu kurz", ergänzte sie. Sie äußerte erneut harsche Kritik an Fehlern der Berliner Koalition in den ersten Monaten. Zugleich ging sie davon aus, dass sich neben den Steuersenkungen nun auch das Thema einer Gesundheitsreform nach FDP-Vorstellungen erledigt habe. "Ich weiß nicht, wer noch daran glaubt, dass wir eine Kopfpauschale einführen", sagte sie und fügte hinzu: "Ich jedenfalls nicht - und ich habe auch das Gefühl, dass dieser Glauben beim Bundesgesundheitsminister schwindet."
"Endlich umsetzen"
Innerparteiliche Konflikte entwickeln sich zudem noch auf einem anderen Gebiet. In der schwarz-gelben Koalition sprechen sich immer mehr für eine Finanztransaktionssteuer aus. Seehofer sagte, die Banken und die Finanzbranche müssten "durch eine verschärfte Bankenabgabe und die Einführung einer Transaktionssteuer" zur Finanzierung der Folgen herangezogen werden. "Wir brauchen einen geregelten Finanzmarkt, die Vorschläge von der europäischen Ratingagentur bis hin zur Bankenaufsicht müssen endlich umgesetzt werden." Viele Vorhaben könnten noch vor der Sommerpause auf den Weg gebracht oder umgesetzt werden.
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte der "Süddeutschen Zeitung", "wir brauchen schnell eine Abschöpfung internationaler Spekulationsgewinne, die die Realwirtschaften nicht belasten". Gegen eine "undifferenzierte Finanztransaktionssteuer", wie sie die SPD diskutiere, gebe es aber "zu Recht Bedenken", sagte die Ministerin.
Merkel hat sich dagegen für eine Finanzaktivitätssteuer ausgesprochen, wie sie der Internationale Währungsfonds im April vorgeschlagen hatte. Sie soll auf die Gewinne von Finanzunternehmen, aber auch auf Gehaltszahlungen wie etwa Manager-Boni erhoben werden. Dadurch sollen Banken und Anlagefonds dauerhaft an den Kosten von Krisen beteiligt werden, die durch sie mitverursacht wurden.
Quelle: ntv.de, jmü/rts/AFP/dpa