CSU-Chef Seehofer ganz präsidial Merkel sieht Gefahr im Osten
22.02.2012, 19:05 Uhr
Angela Merkel, offensiv.
(Foto: Reuters)
Der Tag des politischen Angriffs wird zum Aschermittwoch der Zurückhaltung. Bundeskanzlerin Merkel sieht die Gefahr für den Wohlstand im Osten heraufziehen. CSU-Chef Seehofer hält sich präsidial zurück. Politikpensionär Stoiber wird umjubelt und gefällt sich in der Rolle des elder Statesman. Nur SPD-Chef Gabriel poltert nach Lust und Laune.
Es ist wieder die Zeit der Bierzeltstimmung, und die Spitzen aller Parteien blasen zum Angriff. Allerdings hielten sich die meisten zurück – offenbar zu groß war der Gesichtsverlust, den vor allem die Unionsparteien in der Affäre um Ex-Bundespräsident Christian Wulff sowie die Posse um die Nachfolge erlitten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel gab sich im mecklenburg-vorpommerschen Demmin zwar kämpferisch, ballte die Faust - formulierte aber ein Plädoyer für Europa zugewandte Politik, und feuerte keine Kritiksalven ab. Dass das Bundesland im Nordosten keine Schulden mehr mache, sei ein Vorbild für Deutschland – und für Europa. In Nordrhein-Westfalen dagegen mache die SPD lieber Schulden. Und: Arbeitsplätze in der Wirtschaft brächten Steuereinnahmen, Arbeitsplätze beim Staat würden nur Steuergelder kosten.
Zwar hieß das Motto der Veranstaltung "Zeit für deutliche Worte". Größere Attacken auf die politischen Gegner oder gar den Koalitionspartner ließ Merkel aber aus.
Vielmehr betonte die Kanzlerin die Erfolge der schwarz-gelben Koalition, verbuchte sie als Ergebnisse der Unionspolitik – und gab die Vollbeschäftigung als Ziel aus. Deutschland habe in Europa eine Vorreiterrolle, aber alleine sei die Zukunft nicht zu gestalten. Nur gemeinsam könne man die Interessen im globalen Wettbewerb durchsetzen. Als wirtschaftliche Hauptkonkurrenten, "die wir vor 20 Jahren noch nicht ernst nehmen mussten", nannte sie China, Indien und Vietnam. "Aber wir sind stark", so Merkel.
Den Bogen zurück zu Mecklenburg-Vorpommern schlug die CDU-Vorsitzende über die Familien, deren Partei die Christdemokraten seien ("Familie ist das, was eine Gesellschaft zusammenhält"), sowie Breitband-Internetzugang für die Bevölkerung ländlicher Gegenden. Der gehöre ebenso wie Strom und Wasser zur Grundversorgung.
CSU feiert Heimatabend
Zuvor waren traditionell laut die Schlachtrufe bei der CSU ertönt, wo Ministerpräsident den 60. Aschermittwoch der Partei vor tausenden Anhängern einläutete und gleich zu Beginn seiner Rede feststellte: "Wir sind das Original und alle anderen sind Plagiate."
Genüsslich machte der CSU-Chef auch klar, dass die lange Reihe seiner Ämter nun noch zwischenzeitlich um ein weiteres ergänzt sei: das des kommissarischen Bundespräsidenten. Im Schloss Bellevue werde jetzt bayerisch gesprochen, was ja Deutschland nie schaden könne. Allerdings bringt die neue Aufgabe Seehofer an diesem klassischen Tag der Redeschlachten auch in die Bredouille: Er muss mit seinem derzeitigen Amt "mit Format umgehen" und sich präsidial zügeln.
So hielt sich der CSU-Parteichef denn auch zur Enttäuschung seiner Anhänger mit verbalen Angriffen auf die politischen Gegner zurück. Stattdessen sang er das Hohelied auf "das gelobte Land Bayern". Immer wieder zückte er die blau-weiße Karte und machte klar: "Deutschland geht es gut, und Bayern geht es noch besser. Das ist der Befund, in dem wir derzeit leben." Nicht nur Deutschland brauche Bayern, "auch Europa braucht Bayern".
Refrainartig wiederholte Seehofer dann dieses Loblied auf die bayerische Heimat. Ob in der Wirtschaft, in der Schuldenbekämpfung, in der Bildung oder der Kriminalitätsbekämpfung: Überall stehe Bayern vorne. Doch auch für die Kanzlerin Angela Merkel hatte Seehofer diesmal warme Worte. Er bescheinigte ihr "höchste politische Staatskunst" und dankte ihr für ihre Leistung.
Stoiber als elder Statesman
Während Seehofer mehr einen Rechenschaftsbericht ablegte und von der enttäuschten Parteibasis nur mäßig gefeiert wurde, konnte sich sein Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten, , umjubeln lassen. Die Sehnsucht scheint groß nach ihm, den man doch erst vor wenigen Jahren in die Wüste geschickt hatte. Nun wurde er mit tosendem Beifall empfangen, als er in Passau die Halle betrat. Stoiber, den Seehofer gerne "Mister Aschermittwoch" nennt, hatte hier früher oft heftig zum Angriff auf die Opposition und Berlin geblasen.
Diesmal allerdings zeigte auch Stoiber sich zahm und gerierte sich mehr als elder Statesman. "Ich beschäftige mich nicht mit den anderen. Ich will mich mit der Zukunft beschäftigen", verkündete er großspurig - und blickte dann doch weit zurück. Er lobte vor allem die große Vergangenheit der CSU und den Übervater aller Bayern, Franz Josef Strauss. Zugleich zeigte er sich europafreundlich und hatte auch ein gutes Wort zur Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten. "Dieser Bundespräsident in spe ist eine sehr gute Wahl, die ich auch persönlich unterstütze", so Stoiber. "Man kann auch mit dem zweiten Aufschlag ein Ass verwandeln."
Gabriel zieht vom Leder
SPD-Chef Sigmar Gabriel hingegen blies mit mit sichtlicher Wonne zur Attacke. Auf der Aschermittwochs-Kundgebung der SPD in Vilshofen machte er sich über Stoiber als "Vertreter der Bayern von gestern" lustig. Mit ihm habe man ausgerechnet den "Oberbürokraten in Deutschland" zum Bürokratieabbau nach Brüssel geschickt. "Einen größeren Bock kann man nicht zum Gärtner machen", so Gabriel, der sich noch äußerst beglückt über den Coup mit Gauck zeigte.
Zugleich attackierte er den zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff und die Kanzlerin scharf. Merkel habe solche Leute in Amt und Würden gebracht wie Wulff, "der sich wie ein Amigo benimmt, der das Land sich selbst und der CDU zur Beute macht", sagte Gabriel. Über den schwarz-gelben Streit bei der Suche nach einem Nachfolger für Wulff sagte Gabriel: "Das hatte Karnevalistenqualität."
Gabriel beschwor zudem einen Regierungswechsel im Bund und in Bayern nach den Wahlen 2013. "Es muss sich was ändern in unserem Land", rief Gabriel unter dem Jubel von 3500 Anhängern. Er sprach sich vehement gegen Zockerei auf den Finanzmärkten, für eine Finanztransaktionssteuer und für mehr soziale Gerechtigkeit aus. Merkel habe unrecht, wenn sie sage, man müsse das Vertrauen der Märkte gewinnen. "Wir müssen das Vertrauen der Menschen gewinnen." Und im Freistaat müsse endlich Schluss sein mit der Machtversessenheit der CSU. "Bayern muss wieder den Bayern gehören und nicht der CSU", rief Gabriel unter dem Applaus der Zuhörer.
FDP badet in neuem Selbstbewusstsein
Auch FDP-Chef Philipp Rösler konnte sich das erste Mal seit Langem wieder am Beifall laben. Trotz unverändert wurde er mit stürmischem Klatschen in Dingolfing begrüßt. Die Landesvorsitzende und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte vor 400 Parteianhängern, Rösler habe die Stürme bei der Suche nach einem neuen Bundespräsidenten "standfest überstanden". Aber sie versuchte auch, die Wogen nach dem Koalitionskrach mit der CDU/CSU zu dämpfen: "Weder Drohgebärden noch Triumphgeheul ist jetzt das Gebot der Stunde."
Rösler badete fröhlich im neuen Selbstwertgefühl und erklärte: "Wir werden uns nicht länger erpressen lassen", rief er in die Menge und es war nicht ganz klar, ob sich das nur auf Griechenland bezog. "Keine Leistung ohne Gegenleistung - auch das geht im Rahmen der europäischen Solidarität!" Griechenland habe seine Partner in der Eurokrise immer wieder nur vertröstet. Manches Entwicklungsland tue mehr. "So wird man die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht steigern können", sagte Rösler. Die Kanzlerin erwähnte er mit keinem Wort. Doch zugleich erklärte er seine Philosophie: Man dürfe sich nicht als Weißwürstchen geben, sonst laufe man Gefahr gegessen zu werden.
Bayerns Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause spottete beim politischen Aschermittwoch über den plötzlichen Zuspruch der CSU für Gauck als nächstem Bundespräsidenten. "Eingeknickt sind sie, von Einsicht keine Spur", sagte sie bei der Parteiveranstaltung in Landshut. Es sei ein Einknicken vor der "Zwei-Prozent-Partei FDP" gewesen. Aber Ministerpräsident Seehofer sei ja geübt im schnellen Richtungswechsel und rasanten Meinungswandel.
Grünen-Chefin Claudia Roth griff die Bundesregierung wegen deren Umgangs mit der Affäre um Christian Wulff scharf an. "Es war wirklich ein würdeloses Klammerspiel, das wir in den letzten Wochen erlebt haben", sagte sie in Landshut. Schwarz-Gelb nannte sie eine "Chaos-Truppe". Merkel habe zu lange ihre schützende Hand über Bundespräsident Wulff gehalten.
Auch Linken-Chef Klaus Ernst schoss sich in Tiefenbach auf Merkel ein. Sie habe seine Partei bei der Kandidatenauswahl ausgegrenzt. "Sie macht denselben Fehler der Ausgrenzung wieder. Das finden wir schäbig und unangemessen", rief Ernst unter dem Jubel von rund 350 Anhängern.
Quelle: ntv.de, rpe/ghö/dpa