Von der Leyen kommt nicht weiter Merkel übernimmt Hartz-IV-Problem
07.02.2011, 11:05 Uhr
Bislang stand Arbeitsministerin von der Leyen im Vordergrund, jetzt will die Kanzlerin mitmischen.
(Foto: dpa)
Die verfahrene Situation in den Hartz-IV-Verhandlungen lässt eine Einigung in weite Ferne rücken. Jetzt sendet das Kanzleramt ein deutliches Signal: Angela Merkel will die Koalition vor der nächsten Gesprächsrunde auf Kurs bringen. Der Gordische Knoten muss schnell durchtrennt werden - die SPD spricht schon von einem möglichen Scheitern.
Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt sich der Hartz-IV-Gespräche an. Sie will sich vor der offiziellen Verhandlungsrunde am Dienstagabend mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Koalition treffen. Zuvor waren die Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition ergebnislos vertagt worden.
Regierungssprecher Steffen Seibert wollte den Termin weder bestätigen noch dementieren. Er betonte lediglich, Merkel sei "als Bundeskanzlerin über jede Phase dieser Gespräche informiert und nimmt aktiv an der Erarbeitung einer Linie dieser Bundesregierung teil".
Die SPD hatte vor einem Scheitern der Kompromisssuche gewarnt. Die sozialdemokratische Verhandlungsführerin Manuela Schwesig sagte im Deutschlandfunk, um noch rechtzeitig eine Einigung zu erreichen, müssten Union und FDP sich noch deutlich bewegen.
Bundesarbeitsministerin von der Leyen macht SPD und Grüne für die verfahrene Situation verantwortlich. Sie habe das Gefühl, dass die Opposition "überdreht", monierte sie im Gespräch mit n-tv. Die Verhandlungen seien mit Themen überfrachtet, die nichts mehr der Einigung über Hartz IV zu tun hätten.
"Die Regierung muss liefern"
"Die Bundesregierung tritt weiter auf die Bremse", kritisierte dagegen Schwesig. Beim Hauptstreitpunkt, der künftigen Höhe der Regelsätze für Empfänger von Hartz IV, sei weitere Bewegung der Koalition nötig, um nicht erneut eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht zu riskieren. Schwesig schloss ein Scheitern der Verhandlungen nicht aus, betonte aber ihren Einigungswillen. "Wir müssen zu Potte kommen. Dazu muss die Regierung liefern", forderte die SPD-Politikerin.
Hauptstreitpunkt bei den Gesprächen ist die Höhe des künftigen Hartz-IV-Regelsatzes. Trotz Annäherungen beim Bildungspaket ist nach wie vor offen, wie das Geld dafür an die Kommunen transferiert werden soll. Keine Annäherung gibt es bisher bei der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit in der Leiharbeit, wo die Regierungskoalition auf einer Neun-Monatsfrist beharrt.
Damit ist fraglich, dass die Reform am Freitag von Bundesrat und Bundestag verabschiedet werden kann. "Die Wahrscheinlichkeit ist eher gering", zeigte sich von der Leyen skeptisch. Allerdings könne sich die Länderkammer jederzeit zu einer Sondersitzung zusammenfinden.
Nach der Marathonsitzung hatten Schwesig und Grünen-Chef Fritz Kuhn erneut unterstrichen, dass es ohne Zugeständnisse der Koalition in allen drei Verhandlungsfeldern - Regelsatz, Mindestlohn und Bildungspaket - keine Einigung geben könne.
Kanzlerin erneuert Angebot
SPD und Grüne verlangen, dass bei der Berechnung des Existenzminimums für Langzeitarbeitslose jene nicht berücksichtigt werden, die weniger als 100 Euro im Monat hinzuverdienen. Dadurch würde der Hartz-IV-Regelsatz nicht wie von der Koalition vorgesehen um fünf Euro, sondern um 11 Euro auf 370 Euro im Monat steigen. Kuhn sagte, es gehe darum, die Berechnung "verfassungsfest" zu machen.
Zu Beginn der Verhandlungen hatte die Koalition angeboten, die Kosten der Kommunen für die Grundsicherung armer Rentner komplett zu übernehmen. Im Gegenzug sollen die Kommunen die Kosten für das Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder übernehmen, das Zuschüsse zum Schulessen, für Nachhilfe und Vereine vorsieht. Bundeskanzlerin Merkel hatte den Vorstoß, der Bewegung in die festgefahrenen Gespräche bringen sollte, höchstselbst eingefädelt.
Neu war der Vorschlag jedoch nicht. Denn Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte schon Anfang November vergangenen Jahres den Kommunen angeboten, die Kosten für die Grundsicherung armer Rentner komplett zu übernehmen - dafür aber Entgegenkommen bei der Reform der Gemeindesteuern verlangt. "Zweimal das gleiche Geschenk, einmal zu Weihnachten, einmal zu Ostern", spottete ein SPD-Unterhändler.
SPD und Grüne vorsichtig
Von der Leyen sagte: "Wir haben ein milliardenschweres Angebot gemacht". Schwesig entgegnete, SPD wie Grüne begrüßten es, dass der Bund hier die Kommunen entlasten will. Damit sei aber immer noch nicht geklärt, wie die Bildungsausgaben garantiert werden.
Die schrittweise Übernahme der Grundsicherung für arme Rentner durch den Bund würde die Kommunen im Zeitraum von 2012 bis 2015 insgesamt um 12 Milliarden Euro entlasten, hieß es aus Regierungskreisen. Diese Entlastung zielt darauf, der Opposition die Zustimmung zum Hartz-IV-Paket schmackhaft zu machen.
Derzeit tragen die Kommunen die Hauptlast der Grundsicherung im Alter. 2009 schlug diese Sozialhilfeleistung mit knapp 3,9 Milliarden Euro zu Buche. Bis 2020 ist nahezu eine Verdoppelung auf 7,2 Milliarden Euro prognostiziert. Die Grundsicherung im Alter kam zuletzt knapp 800 000 armen Rentnern zugute.
Keine Fortschritte bei "Equal Pay"
Auch strengere Regeln für die Zeitarbeit blieben umstritten. Dort sperrte sich die FDP dagegen, die gleiche Bezahlung von Leiharbeitern und Stammbeschäftigten bereits nach einer kürzeren Frist als neun Monaten vorzuschreiben. SPD und Grüne waren mit der Forderung nach einer Frist von vier Wochen in die Verhandlungen gegangen.
"Da hat die FDP eine Betonhaltung", beschwerte sich ein Verhandlungsteilnehmer der Opposition. Zuversichtlich zeigten sich Oppositionsvertreter, dass es für die Zeitarbeit zumindest eine Lohnuntergrenze geben werde. Auch für das Wach- und Sicherheitsgewerbe sowie für die Weiterbildung sei die Einführung eines Mindestlohns im Gespräch.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar vergangenen Jahres eine Neuberechnung des Regelsatzes für 4,7 Millionen erwachsene Hartz-IV-Bezieher und mehr Bildungsförderung und Teilhabe für bedürftige Kinder verlangt. Beides ist seit dem 1. Januar überfällig.
Quelle: ntv.de, cba/dpa/rts