Politik

"Nur Einzelfälle" Merkel verteidigt die Truppe

"Richtig gehandelt": Die Kanzlerin nimmt ihren Verteidigungsminister in Schutz.

"Richtig gehandelt": Die Kanzlerin nimmt ihren Verteidigungsminister in Schutz.

(Foto: REUTERS)

Nach den jüngsten Vorfällen bei der Bundeswehr warnt Bundeskanzlerin Merkel vor Pauschalkritik an der Truppe. Sie verteidigt auch die Entscheidung von Minister Guttenberg, den Kapitän des Segelschulschiffs "Gorch Fock" zu suspendieren. Die Abberufung diene auch dem Schutz des Betroffenen, solange die Vorgänge an Bord geprüft würden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt nach den jüngsten Vorfällen in der Bundeswehr die Soldaten und Offiziere in Schutz. "Es ist unverzichtbar, all das umfassend aufzuklären", sagte die CDU-Chefin dem "Hamburger Abendblatt". "Dennoch sollten wir durch solche furchtbaren Unfälle und Vorfälle nicht die Bundeswehr als Ganzes infrage stellen." Es handele sich um "Einzelfälle", die öffentlich diskutiert und aus denen die nötigen Schlüsse gezogen würden.

Bei der Bundeswehr gehe es jetzt darum, aufzuklären, was wirklich geschehen sei, bekräftigte Merkel. "Dazu müssen wir die staatsanwaltlichen Ermittlungen abwarten und uns vor Pauschalurteilen hüten. Die überwältigende Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten erfüllt ihre Aufgabe hervorragend."

Konteradmiral Kolletschke leitet die Untersuchung an Bord der "Gorch Fock".

Konteradmiral Kolletschke leitet die Untersuchung an Bord der "Gorch Fock".

(Foto: REUTERS)

In Verruf geraten ist zuletzt insbesondere das Segelschulschiff "Gorch Fock". Dort hatten sich Kadetten über Schikanen, Alkoholexzesse und sexuelle Nötigungen beklagt. Eskaliert war die Lage nach dem tödlichen Sturz einer Kadettin aus der Takelage Anfang November. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte zunächst vor Vorverurteilungen gewarnt, dann jedoch nur wenige Stunden später den Kapitän der "Gorch Fock" vom Dienst suspendiert, wofür er von der Opposition heftige Kritik erntete. Vor dem Wehrausschuss verteidigte der Minister sein Vorgehen.

"Kein Urteil gesprochen"

Merkel verteidigte Guttenbergs Schritt. Mit der Suspendierung sei "kein Urteil gesprochen". "Karl-Theodor zu Guttenberg handelt vollkommen richtig", sagte sie. "Sinnlose oder sogar demütigende Rituale haben in der Bundeswehr keinen Platz. Das widerspricht unserem Leitbild vom Staatsbürger in Uniform. Und wenn es jetzt Hinweise auf Vorgänge gibt, dann ist es Aufgabe des Ministers, sie untersuchen zu lassen, und genau das tut er."

Die Abberufung diene auch dem Schutz des Betroffenen, solange die Vorgänge an Bord geprüft würden. Damit ist derzeit eine Untersuchungskommission betraut.

Das Spiel "von Wind und Segel"

Kolletschke und Mitglieder seines Teams im Hafen von Ushuaia.

Kolletschke und Mitglieder seines Teams im Hafen von Ushuaia.

(Foto: dpa)

Zu einer möglichen Stilllegung des Segelschulschiffs wollte sich die Kanzlerin nicht äußern. "Ich kann und will den Untersuchungen nicht vorgreifen. Es ist richtig, nach Rückkehr des Schiffes und nach Abschluss der Untersuchungen die angemessenen Schlussfolgerungen zu ziehen", sagte sie. Allerdings wies sie auf den besonderen Wert der Ausbildung auf der "Gorch Fock" hin: "Ich finde es immer hilfreich, wenn man etwas von der Pike auf lernt, zum Beispiel zu verstehen, wie Wind und Segel zusammenspielen."

Untersuchungskommission an Bord

Seit Freitag untersucht eine Kommission unter der Leitung von Marineamtschef Horst-Dieter Kolletschke Vorwürfe, auf der "Gorch Fock" seien Offiziersanwärter schikaniert und sexuell belästigt worden. Er berichtete nach einem ersten Eindruck von Bord, die Stammbesatzung sei kooperativ. Auch wolle die Marine das Segelschulschiff weiter zur Ausbildung nutzen. "Die Marine plant, Mitte nächsten Jahres wieder Kadetten an Bord dieses Schiffes auszubilden", sagte Konteradmiral Kolletschke in der argentinischen Hafenstadt Ushuaia. Dort liegt die Dreimast-Bark derzeit vor Anker. Die Rückfahrt werde bis Anfang Mai dauern. Dann falle die Entscheidung, wie es mit der Ausbildung weitergehe, so Kolletschke.

Die Befragung der ersten Soldaten habe bereits begonnen. Die Ermittler wollten mit allen Besatzungsmitgliedern an Bord sprechen und mit den Kadetten, die inzwischen wieder in Deutschland sind. "Wir glauben dann, dass wir ein umfassendes Bild haben", sagte der Konteradmiral. Die Besatzungsmitglieder seien betroffen über die Vorwürfe, aber bereit, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Niemand verweigere die Auskunft. In etwa zwei Wochen sollten die Ermittlungen beendet sein. "Anschließend werde ich dem Inspekteur der deutschen Marine einen Bericht vorlegen", kündigte Kolletschke an.

Der Chef des Marineamtes wies darauf hin, dass seine Kommission nicht den tödlichen Sturz einer Kadettin aus der Takelage der "Gorch Fock" im November untersuche. Damit befasse sich die Staatsanwaltschaft. Es gehe vielmehr um die anderen Vorwürfe, die erhoben worden seien.

Kadetten des Schiffes hatten sich über Schikanen, Alkoholexzesse an Bord und sexuelle Nötigung beklagt. Sie seien trotz Höhenangst unter Drohungen mit beruflichen Konsequenzen zum Aufentern in die höchsten Segel in bis zu 45 Metern Höhe genötigt worden, berichteten Offiziersanwärter den Mitarbeitern des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus, der die Vorgänge bekannt gemacht hatte. Eskaliert war die Lage nach dem tödlichen Sturz einer Kadettin aus der Takelage Anfang November. Bereits wenige Tage danach hätten viele Vorgesetzte wieder mit Alkohol laut gefeiert und am 11. November - vier Tage nach dem Unfall - eine Party veranstaltet.

Stammcrew fühlt sich "sehr alleine gelassen"

In der Affäre hat sich auch erstmals die Stammbesatzung der "Gorch Fock" zu Wort gemeldet. Sie beklagte in einem offenen Brief an Guttenberg, der vom Blog "Spiegelfechter" veröffentlicht wurde, fehlenden Rückhalt in der Bundeswehr. Die vorläufige Absetzung von Kapitän Norbert Schatz wird als "Abservierung" kritisiert.

"Wir, die Stammbesatzung der 'Gorch Fock', fühlen uns sehr alleine gelassen", heißt es in dem Brief. "Auch fehlte uns der Rückhalt unserer übergeordneten Dienststellen, welche sich zu keiner Zeit vor uns stellten oder sich nach unserem Befinden erkundigt haben."

Das Bundesverteidigungsministerium bestätigte zunächst nur die Existenz des Briefs. "Solange wir nicht wissen, wer den Brief geschrieben hat, können wir aber nichts über dessen Echtheit sagen", sagte ein Ministeriumssprecher. Der Blogger des "Spiegelfechter", Jens Berger, erklärt, der Brief sei ihm "auf einem vertrauenswürdigen Weg" zugespielt worden.

Ob die "Gorch Fock" jemals wieder als Segelschulschiff in See stechen wird, ist derzeit offen. Nur wenige Tage vor Bekanntwerden der Vorwürfe hatte sie erstmals das berüchtigte Kap Hoorn umsegelt, der Höhepunkt ihrer Karriere seit der Indienststellung 1958. Auf dem Segelschulschiff wurden über 14.500 Offiziers- und Unteroffiziersanwärter ausgebildet, während es rund 750.000 Seemeilen zurücklegte, was beinahe 35 Erdumrundungen entspricht.

Ex-Kapitän erwägt Klage

Der abberufene Kapitän des Segelschulschiffs "Gorch Fock", Norbert Schatz, erwägt nach einem Bericht des "Focus" juristische Schritte. Einer Suspendierung vom Dienst müsse ein rechtliches Gehör des Betroffenen vorausgehen, sagte der Wilhelmshavener Rechtsanwalt Hans-Joachim Heine, der Schatz vertritt, dem Nachrichtenmagazin. Ein rechtliches Gehör aber habe es im Fall seines Mandanten nicht gegeben. "Nach allem, was mir bekannt ist, war die Art und Weise der Entlassung grob Fürsorge widrig", sagte Heine.

Der Vertragsanwalt des Bundeswehrverbandes prüfe, sich an das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu wenden, damit dieses die Rechtswidrigkeit der Suspendierung feststelle. Zu Guttenberg hatte Schatz von seinem Kommando entbunden, nachdem Vorwürfe laut geworden waren, Vorgesetzte hätten Kadetten an Bord drangsaliert.

Der ehemalige Kommandant der Gorch Fock, Hans von Stackelberg bezeichnete es in dem Bericht als "Schande", dass der bereits entmachtete Kapitän Schatz über Tage wie ein geprügelter Hund auf dem Schiff ausharren musste. Für einen Kommandanten gebe es nichts Schlimmeres. Entweder hätte man den Kommandanten sofort in ein Flugzeug nach Deutschland beordern oder ihm das Kommando für die sofortige Rückkehr der "Gorch Fock" erteilen müssen.

Quelle: ntv.de, hdr/hvo/rts/dpa/AFP

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