Auftritt vor Kundus-Ausschuss Merkel wehrt sich
10.02.2011, 18:35 Uhr
Merkel vor dem U-Ausschuss: Habe rechtzeitig und umfassend informiert.
(Foto: dpa)
Bundeskanzlerin Merkel weist vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss den Vorwurf zurück, nach dem folgenschweren Luftangriff 2009 in Afghanistan Informationen über zivile Opfer wegen der bevorstehenden Bundestagswahl zurückgehalten zu haben. Ex-Außenminister Steinmeier nennt den Angriff eine Zäsur für Deutschland.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich von Äußerungen des früheren Verteidigungsministers Franz-Josef Jung am 6. September 2009 zum Luftangriff nahe Kundus distanziert. Im Kundus-Untersuchungsausschuss des Bundestages sagte Merkel, auch nach ihrer Meinung hätten die damaligen Äußerungen Jungs, es habe keine zivilen Opfer gegeben, nicht den vollen Stand der verfügbaren Informationen wiedergegeben.
Den Vorwurf, Informationen über zivile Opfer wegen der bevorstehenden Bundestagswahl zurückgehalten zu haben, wies die CDU-Chefin zurück. Diese Vorwürfe entbehrten "jeder Grundlage". Merkel listete vor dem Gremium akribisch auf, wann sie nach dem von einem deutschen Oberst befohlenen Angriff vom 4. September 2009 die Möglichkeit ziviler Opfer eingeräumt hatte.
Dabei hob sie vor allem eine Pressekonferenz am 6. September und ihre Regierungserklärung zu dem Afghanistan-Einsatz am 8. September 2009 hervor. Der damalige Verteidigungsminister Jung (CDU) hatte zunächst zivile Opfer ausgeschlossen. Merkel berichtete, sie habe Jung am 5. September gebeten, in einem Zeitungsinterview für den Folgetag "alle Informationen in dem Interview einzubeziehen". Dazu hätten Hinweise des damaligen Oberkommandierenden Stanley McChrystal auf zivile Opfer gezählt. In dem Interview sei Jung dann aber nicht darauf eingegangen. Im Laufe ihrer Befragung machte Merkel dann allerdings deutlich, dass der Text schon im Druck gewesen sein, als sie mit Jung sprach.
Steinmeier: Zäsur in der Afghanistan-Politik
Vor Merkel hatte der zur Zeit des Angriffs amtierende Vizekanzler und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Bombardierung auf Befehl eines deutschen Oberst eine Zäsur für Deutschland genannt. Die Informationslage über Zivilisten unter den Toten und Verletzten sei äußerst diffus gewesen. Deshalb habe er es anders als der damalige Verteidigungsminister Jung vermieden, zivile Opfer auszuschließen.
Bei dem von dem Bundeswehroberst Georg Klein angeforderten Luftangriff ordneten Angriff auf zwei von den Taliban entführte Tanklastzüge nahe Kundus waren mehr als 140 Afghanen getötet worden.
Merkel: Jung hat nicht richtig informiert
Jung habe in dem Gespräch mit ihr dagegen auf afghanische Berichte verwiesen, die nur von getöteten Terroristen sprächen, sagte Merkel. Sie selbst habe aber an dem betreffenden Sonntag öffentlich gesagt, dass zivile Opfer nicht auszuschließen seien. Und sie habe den CDU-Politiker aufgefordert, sich entsprechend zu äußern. Der nach der Bundestagswahl im September 2009 ins Arbeitsministerium gewechselte Jung musste später wegen des Streits um den Angriff zurücktreten.
Sie erklärte, bereits vor ihrer Regierungserklärung habe für sie trotz widersprüchlicher Meldungen gegolten: "Es war hinreichend klar, dass zivile Opfer mit hoher Wahrscheinlichkeit zu beklagen waren." Auf die Frage, ob eine eigenständige Untersuchung des Angriffs durch deutsche Stellen angemessen gewesen wäre, sagte die Kanzlerin, sie habe es zum damaligen Zeitpunkt für zwingend gehalten, dass die NATO die Vorgänge weiter untersuche.
Eine eigenständige Bewertung der Frage, ob der Angriff militärisch angemessen gewesen sei, habe das Kanzleramt damals nicht vorgenommen, sagte Merkel. Es habe dafür gar nicht die notwendige Expertise, zuständig sei das Verteidigungsministerium. Der Nachfolger Jungs, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), war heftig kritisiert worden, weil er das Bombardement zunächst trotz bewiesener Verfahrensfehler als militärisch angemessen bewertet hatte, später diese Einschätzung aber ins Gegenteil korrigierte: nicht angemessen.
Steinmeier: Informationslage war unklar
Wie Merkel sprach Steinmeier von einem tiefen Einschnitt in die Geschichte der Bundeswehr durch diesen Angriff. Angesichts der damaligen Bemühungen um eine internationale Neuausrichtung des Afghanistan-Einsatzes und der deutschen Leitlinie, zivile Opfer möglichst zu vermeiden, sei die hohe Zahl der Toten bei dem Angriff "auch politisch kritisch" gewesen, sagte Steinmeier.
Steinmeier betonte immer wieder die unklare Informationslage über Folgen und Opfer des Angriffs. "Die Aufklärungslage war unklar, diffus und zum Teil widersprüchlich." Gewissheit über zivile Opfer habe es nicht schnell gegeben. Allerdings räumte er ein, dass es "Gewissheit in Verbindung mit abschließenden Begutachtungen (...) zu irgendeinem Zeitpunkt im September" gegeben habe. Danach sei "über die Frage, ob es zivile Opfer gegeben hat, nicht mehr ernsthaft gestritten" worden. Eine öffentliche Klarstellung der Regierung gab es aber vor der Wahl nicht mehr. Auch die Entschädigung der Angehörigen der Opfer wurde erst viel später zum Thema gemacht.
Kritik an einigen Außenministern
In ihrem Eingangsstatement im Untersuchungsausschuss hatte die Kanzlerin vor Vorverurteilungen der Bundeswehr gewarnt. Sie kritisierte die damalige schnelle Kritik einiger EU-Außenminister an dem von der Bundeswehr angeordneten Angriff, bevor die Umstände aufgeklärt waren. "Das konnte und kann ich nicht akzeptieren." So wie sich Deutschland in der Beurteilung anderer zurückhalten müsse, erwarte sie im Bündnis umgekehrt auch für Deutschland, dass es keine Vorverurteilungen gebe.
Quelle: ntv.de, dpa/rts