Entlastungen bis 2013 Merkel will Steuern senken
22.06.2011, 09:49 Uhr
Mit Steuersenkungen ließe Merkel Rösler aus dem Schatten treten.
(Foto: REUTERS)
Die Bundesregierung will nun doch den Mittelstand steuerlich entlasten. Ein Beschluss darüber könnte noch vor der Sommerpause fallen, die Umsetzung möglichweise noch vor der Bundestagswahl 2013. Ein Problem ist der Bundesrat: Hier ist keine Mehrheit in Sicht. Ein Ausweg könnte eine Senkung oder Abschaffung des Solidaritätszuschlags sein.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung will nach Informationen aus Koalitionskreisen noch vor der Sommerpause eine Steuerentlastung in zweistelliger Milliardenhöhe beschließen. Die Entlastung der Bürger solle auf einer Kabinettssitzung Anfang Juli offiziell verkündet werden, heißt es in Berlin. Es sei an einen Entlastungsbetrag bis zu 10 Milliarden Euro gedacht.
Die "Financial Times Deutschland" hatte zuvor berichtet, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe der FDP Steuersenkungen vor der nächsten Bundestagswahl 2013 zugesagt.
Voraussichtlich würden die Steuersenkungen in der Kabinettssitzung am 6. Juli offiziell beschlossen, meldet dpa. Es sei geplant, eine Entlastung des Mittelstandes und der Mittelschicht in den Mittelpunkt zu stellen. Dies könne über eine Abflachung des sogenannten Mittelstandsbauchs und der "kalten Progression" bei der Einkommensteuer geschehen. Dieser Effekt sorgt dafür, dass untere und mittlere Einkommen vom progressiv steigenden Steuertarif besonders stark belastet werden.
Union und FDP hatten beim Start der Koalition vereinbart, diese beiden Probleme zu mildern. Ziel ist es, dass nicht jeder zusätzlich verdiente Euro so stark steuerlich belastet wird wie bisher. Die "kalte Progression" ist eine Art heimliche Steuererhöhung. Dabei werden Lohnzuwächse durch die höhere Einkommensteuerbelastung größtenteils wieder aufgezehrt.
Die in Umfragen abgestürzten Liberalen hatten im Wahlkampf 2009 massiv mit Steuersenkungen geworben. Auch im Koalitionsvertrag werden Steuersenkungen in Aussicht gestellt. Umgesetzt wurde dies bislang jedoch nicht.
Details sind noch offen
"Es ist ein gutes Signal an alle Steuerzahler, dass wir noch in dieser Wahlperiode die kalte Progression abmildern werden", sagte der finanzpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Klaus-Peter Flosbach, in Berlin. "Desto früher wir uns dabei auf einen konkreten Fahrplan verständigen, umso besser."
Zuvor hatte bereits Unionsfraktionschef Volker Kauder deutlich gemacht, dass er angesichts der guten Wirtschaftslage Spielraum für Steuersenkungen sehe. "Ich glaube schon, dass wir das machen", sagte der CDU-Politiker in der ARD. Die Details müssten zwar noch besprochen werden. Er sehe aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung aber "eine Chance".
Mehrheit im Bundesrat unwahrscheinlich
Für die angestrebte Steuerentlastung von Arbeitnehmern mit unteren und mittleren Einkommen braucht die schwarz-gelbe Regierungskoalition die Zustimmung der Länder. Union und FDP haben im Bundesrat aber keine Mehrheit. Auch eine Zustimmung von unionsgeführten Bundesländern zu Steuersenkungen ist angesichts der knappen Kassen von Ländern und Gemeinden keineswegs sicher.
Ein Sprecher der niedersächsischen Regierung sagte mit Blick auf die neue Steuerdiskussion: "Wir werden das sehr genau prüfen". Die Länder könnten Entlastungen nur zustimmen, wenn sie sich das finanziell leisten könnten. Vorrang habe weiterhin die Rückführung der Neuverschuldung.
Soli könnte Ausweg bieten
Sollte eine Steuersenkung am Bundesrat scheitern, will sich die FDP für eine Kürzung des Solidaritätszuschlags einsetzen. Dafür bräuchte die Koalition nicht die Zustimmung der Länderkammer. Diesen Schritt hatte Kauder als Möglichkeit angedeutet. Ähnlich äußerte sich der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Florian Toncar.
Zur Gegenfinanzierung der Steuerentlastungen schlug Toncar vor, Subventionen bei Automobilunternehmen im Bereich Elektromobilität und dem Bundesamt für Zivildienst zu kürzen. Auch das Elterngeld solle weiter gekürzt werden, denn es habe "für die Geburtenrate nichts gebracht".
Mit Skepsis reagierte der CDU-Arbeitnehmerflügel auf die Steuerpläne. "Steuersenkungen sind nur dann möglich, wenn die Konsolidierung der Haushalte fortgesetzt wird und die Schuldenbremse eingehalten werden kann", erklärte der Chef der CDU-Sozialausschüsse, Karl-Josef Laumann. "Es darf keine Steuersenkung auf Kosten nachfolgender Generationen geben."
SPD nennt Debatte "gespenstisch"
Führende Sozialdemokraten zeigten sich bereits höchst reserviert und bezeichneten die Forderungen als "gespenstische Debatte". Dafür gebe es derzeit keinen Spielraum, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles.
"Die Ankündigung von Steuersenkungen noch in dieser Legislaturperiode ist töricht", sagte auch der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, Fritz Kuhn. "Merkels Geschenk an die darbende FDP bedeutet den Abschied von jeglicher Seriosität in der Haushaltspolitik", sagte Kuhn dem Handelsblatt. Er begründete seine Ablehnung mit den finanzpolitischen Herausforderungen: "Die Umsetzung der Schuldenbremse, die gewaltigen Risiken im Zuge der Euro-Krise und nicht zuletzt die Finanzierung der Energiewende lassen keinen Spielraum für Steuersenkungen."
Experten sind geteilter Meinung
Die Wirtschaftsforschungsinstitute reagieren unterschiedlich auf die Ankündigung. Während das liberale Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) dafür ist, kommt vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) scharfe Kritik. "Die Politik droht die alten Fehler zu wiederholen, wenn in wirtschaftlich guten Zeiten die Steuern gesenkt werden", sagte IMK-Direktor Gustav Horn. "Genau diese Politik ist der Grund für die hohe Staatsverschuldung, denn beim nächsten Abschwung brechen die Steuereinnahmen wieder ein." Statt das Geld zu verteilen, müsse der Haushalt saniert werden, um für schlechtere Zeiten gerüstet zu sein.
Das IfW spricht sich dafür aus, die "kalte Progression" zu entschärfen. "Diese heimliche Steuererhöhungen spülen dem Staat 2011 und 2012 insgesamt 9,5 Milliarden Euro an Mehreinnahmen in die Kassen", sagte IfW-Experte Alfred Boss, der dem Kreis der Steuerschätzer der Bundesregierung angehört. Mit diesen Mehreinnahmen könne zwar auch das Staatsdefizit gesenkt werden. "Doch je näher die Bundestagswahl 2013 rückt, desto größer ist die Versuchung für die Regierung, Wahlgeschenke zu verteilen", sagte Boss. "Dann drohen neue Subventionen - angefangen von der Gebäudesanierung bis hin zu Elektroautos. Dann sollte man das Geld doch lieber den Bürgern zurückgeben."
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP