Politik

Auftritt im Kongress Merkel wird bejubelt

Fast alle Plätze sind besetzt, als Angela Merkel ans Rednerpult tritt. Noch nie hat ein deutscher Kanzler vor dem versammelten Kongress der USA gesprochen. Merkel riskiert mit ihren Forderungen den guten Willen der Gastgeber - und gewinnt.

Vizepräsident Joe Biden, hinten links, und Nancy Pelosi applaudieren der Bundeskanzlerin.

Vizepräsident Joe Biden, hinten links, und Nancy Pelosi applaudieren der Bundeskanzlerin.

(Foto: dpa)

Fast zwanzig Jahre mussten seit der Maueröffnung zwischen Ost und West ins deutsche Land gehen, bis ein deutscher Regierungschef vor den beiden Häusern des US-Parlaments sprechen durfte. Nun wurde ausgerechnet Merkel diese Ehre zuteil. Vielleicht, weil sie ein Kind der DDR ist. Eine Politikerin, die viel Persönliches über die Wende zu berichten weiß. Als "ihre Exzellenz" wird die Bundeskanzlerin von Nancy Pelosi, der Sprecherin des Repräsentantenhauses angekündigt - das US-amerikanische Parlament reagiert mit Applaus und Jubelrufen.

Angela Merkel wirkt überaus konzentriert. Ihr Gesicht ist fast regungslos, sie fixiert einen Punkt irgendwo im Raum. Ihre eigenen Erfahrungen sind die Klammer der Rede, die nicht überschwänglich, so viel sei vorweggenommen, aber äußerst positiv von der versammelten US-Politik aufgenommen wird. Zunächst spricht Merkel vom Mauerfall, davon, dass sie sich nicht hatte vorstellen können, überhaupt einmal in die USA zu reisen, geschweige denn, jemals an dieser Stelle zu stehen: "Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten war für mich lange das Land der unerreichbaren Möglichkeiten."

"Stunde des Dankes"

Die Erwähnung des 9. Novembers 1989, des Falls der Mauer, unterbrechen die Senatoren und Abgeordneten durch stehenden Applaus. "Heute ist für mich die Stunde des Dankes",  so Merkel – für die Piloten der Luftbrücke und den in Deutschland stationierten US-amerikanischen Soldaten, "ohne die die Überwindung der deutschen Teilung nicht möglich gewesen wäre."

John F. Kennedy, Ronald Reagan, George Bush senior, Bill Clinton – mit Zitaten ehemaliger US-Präsidenten zur deutschen Teilung überwindet Merkel Mauer um Mauer. Es ist nicht leicht, emotional zu den US-Politikern vorzudringen, ohne anbiedernd mit Konzepten wie dem "American Dream" um sich zu werfen. Merkel erwähnt einige Kernpunkte des US-amerikanischen Selbstverständnisses, bleibt sich dabei jedoch überwiegend treu.

Es ist ein Balanceakt, bei dem sich zur Konzentration nun auch Nervosität gesellt. Die Bedeutung der Situation ist Merkel wohl bewusst. Die Bundeskanzlerin ist erst die zehnte Frau, die vor dem versammelten US-Kongress sprechen darf. Während ihres Geschichtsvortrags zur deutschen Wiedervereinigung verhaspelt sich Merkel von Zeit zu Zeit, fängt sich aber in jeder Situation zügig.

Klare Regeln für den Finanzsektor

Angela Merkel sprach länger als angekündigt - etwa 40 Minuten.

Angela Merkel sprach länger als angekündigt - etwa 40 Minuten.

(Foto: REUTERS)

Sicher wirkt die Bundeskanzlerin erst in der zweiten Hälfte ihrer Rede, als sie auf aktuelle Themen zu sprechen kommt: Geschickt verknüpft sie Globalisierung, Klimawandel und das politische sowie militärische Bündnis Europas und der USA.

Die Unterschrift des tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus unter den EU-Reformvertrag von Lissabon kommt Merkel gerade recht. Europa sei nun handlungsfähiger, ein noch wichtigerer Partner in der Welt, betont sie. Merkel wird konkret: "Eine globalisierte Wirtschaft braucht eine globale Ordnung", damit Freiheit auf dem Finanzsektor nicht missbraucht werde. Auch hier: Wieder eine Mauer, die überwunden werden soll, die der wirtschaftlichen Isolation.

Mehr Anstrengungen im Klimaschutz angemahnt

Was folgt, ist eine Überraschung, vielleicht die einzige bei dieser 40-minütigen Rede. Der Klimaschutz, so Merkel, sei eine "Bewährungsprobe", man habe "keine Zeit zu verlieren", die Erderwärmung zu stoppen. Es folgt stehender Applaus. Das Reizthema Klimaschutz berührt offensichtlich auch US-Politiker.

Sichtlich vom Zuspruch angespornt, prescht die frühere Umweltministerin im Kabinett Kohl weiter vor: "Wir brauchen eine Einigung auf der Klimakonferenz in Kopenhagen, auf ein Ziel", fordert sie. Die Erwärmung der Erde dürfe zwei Grad nicht überschreiten. Denn im Dezember in Kopenhagen, da schaue die Welt auf die Politiker.

Applaus trotz offener Forderungen

Klimaschützer protestierten vor dem Weißen Haus in Washington D.C.

Klimaschützer protestierten vor dem Weißen Haus in Washington D.C.

(Foto: dpa)

Die US-amerikanischen Bürger sind verantwortlich für den mit Abstand höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf weltweit. Merkel weiß das, und dementsprechend wohl gewählt sind ihre Worte. Das zentrale Argument gegenüber den so oft wirtschaftsorientierten Politikern der USA: Klimaschutz ist ein Wachstumsmotor, Klimaschutz schafft Jobs. Dafür bedürfe es jedoch der Bereitschaft aller Länder – auch Indien und Chinas - verbindliche Verpflichtungen zu übernehmen.

Trotz dieser offenen Forderung an die USA nach Verantwortung erheben sich Teile der Senatoren und Abgeordneten erneut von ihren Plätzen. Und sie klatschen, zustimmend. Vielleicht auch, weil mit Barack Obama ihr eigener Präsident einen Tag zuvor Ähnliches gesagt hatte: Alle involvierten Staaten müssten die Einmaligkeit der Gelegenheit erkennen – dann sei eine "wichtige Übereinkunft möglich".

Anlauf, Sprung, Kür

Merkel wirkt jetzt gelöster. Der Klimaschutz, thematisch zentraler Punkt ihrer Rede, ist angekommen im US-Kongress. Und ja, er wurde besser aufgenommen als befürchtet. Alle anderen Ausführungen Merkels sind Dinge, bei denen nicht viel schief laufen kann für eine Politikerin in der Tradition der CDU-Kanzler. Mehrmals erheben sich die US-Politiker während Merkels Ausführungen zur Härte der Position gegenüber Iran, zur Sicherheit Israels, die "niemals verhandelbar" sei, und zur geforderten Zwei-Staaten-Lösung in der Region.

Die Geschichte des Mauerfalls war Merkels Anlauf, die Forderungen nach Verpflichtungen zum Klimaschutz an die USA der risikoreiche, aber erfolgreiche Sprung – und die folgenden Themen die Kür. Zudem vermittelte Merkel zwischen den Zeilen dem US-Kongress eine einfache Botschaft: Wer Jobs schaffen und die Wirtschaftskrise überwinden will, der muss Verantwortung übernehmen. Auch wenn dies durch verbindliche Zusagen beim globalen Klimaschutz, also vom 7. bis 18. Dezember bei der Konferenz in Kopenhagen geschieht. Trotzdem bekommt die deutsche Regierungschefin am Ende ihrer Rede nochmals Applaus, langen Applaus. Angela Merkel lächelt.

Quelle: ntv.de

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