"Welt zum Guten verändert" Steinmeier sieht Gorbatschows Traum zerstört - Merkel würdigt historische Leistung
02.09.2022, 16:09 Uhr (aktualisiert)
Gorbatschow habe die Geschichte zum Guten verändert, sagt Merkel über ihn. Hier stehen sie 2011 vor dem Brandenburger Tor.
(Foto: IMAGO/Eventpress)
"Gorbatschow hat Weltgeschichte geschrieben" und auch ihr Leben grundlegend verändert, sagt Altkanzlerin Merkel über den verstorbenen Ex-Staatschef der Sowjetunion. Der Bundespräsident verneigt sich vor "einem großen Staatsmann" – dessen Vision sei jedoch zerstört. Unter Putin sei die Demokratie in Russland gescheitert, erklärt Scholz.
Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den russischen Friedensnobelpreisträger und ehemaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow als "einen einzigartigen Weltpolitiker" gewürdigt. "Möge die Erinnerung an seine historische Leistung gerade in diesen schrecklichen Wochen und Monaten des Krieges Russlands gegen die Ukraine ein Innehalten möglich machen", hieß es in einer Erklärung auf der Internetseite der Altkanzlerin. Sie habe die Nachricht von Gorbatschows Tod mit großer Trauer vernommen, schrieb die frühere CDU-Chefin weiter.
"Gorbatschow hat Weltgeschichte geschrieben. Er hat vorgelebt, wie ein einzelner Staatsmann die Welt zum Guten verändern kann", ergänzte sie. Ohne Gorbatschows Mut "zu Glasnost und Perestroika, also zu Offenheit und Umbau, wäre auch die friedliche Revolution in der DDR nicht möglich gewesen". Weiter schrieb Merkel: "Ich kann noch heute die Angst nachspüren, die ich zusammen mit vielen Menschen in der DDR 1989 hatte, ob wie 1953 wieder Panzer rollen würden, als wir "Wir sind das Volk" und später "Wir sind ein Volk" riefen. Doch dieses Mal - anders als 1953 - rollten keine Panzer, fielen keine Schüsse." Stattdessen habe Gorbatschow der greisen DDR-Führung den Satz "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" vorgehalten.
"Ich werde das nie vergessen"
Gorbatschow habe sich 1989/1990 dem Ruf der Menschen nach Freiheit in der DDR nicht mehr entgegengestellt. "Mehr noch, er ließ zu, dass ein wiedervereinigtes Deutschland Mitglied der NATO werden konnte." Für sie unvergessen seien die Bilder der Begegnung von ihm mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl im Kaukasus 1990, mit der die Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit zum Greifen nah wurde.
"Michail Gorbatschow hat auch mein Leben grundlegend verändert. Ich werde das nie vergessen", erklärte Merkel. Gorbatschow war am Dienstagabend im Alter von 91 Jahren in der russischen Hauptstadt gestorben. Er war der letzte Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gewesen. 1991 war er als sowjetischer Staatschef zurückgetreten.
Steinmeier: Gorbatschows Traum liegt in Trümmern
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte die Leistung Gorbatschows. "Ich verneige mich vor einem großen Staatsmann", schreibt das Staatsoberhaupt in einem Kondolenzschreiben an die Tochter des ehemaligen sowjetischen Staatschefs, Irina Wirganskaja. Deutschland bleibe ihm verbunden, "in Dankbarkeit für seinen entscheidenden Beitrag zur deutschen Einheit, in Respekt für seinen Mut zur demokratischen Öffnung und zum Brückenschlag zwischen Ost und West, und in Erinnerung an seine große Vision von einem gemeinsamen und friedlichen Haus Europa". Dieser Traum sei in immer weitere Ferne gerückt. Darunter habe Gorbatschow in den letzten Jahren sehr gelitten. "Heute liegt der Traum in Trümmern, zerstört durch den brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine. Michail Gorbatschow wollte eine andere Zukunft, wir wollen eine andere Zukunft."
Scholz sieht Demokratie in Russland als gescheitert
Bundeskanzler Olaf Scholz nannte den verstorbenen Ex-Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, einen mutigen Reformer und Staatsmann. Er habe dazu beigetragen, dass der Eiserne Vorhang verschwunden sei, "Demokratie und Freiheit in Europa möglich geworden sind und dass Deutschland vereint werden konnte", sagte Scholz. Die Demokratiebewegungen in Mittel- und Osteuropa hätten "davon profitiert, dass er zu dieser Zeit Verantwortung in Russland hatte".
In Russland habe Gorbatschow es möglich gemacht, dass der "Versuch unternommen werden konnte, eine Demokratie zu etablieren", sagte Scholz weiter. Er sei nun in einer Zeit gestorben, in der die Demokratie in Russland "gescheitert" sei. "Anders kann man die gegenwärtige Lage dort nicht beschreiben." Russlands Präsident Wladimir Putin ziehe seinerseits "neue Gräben in Europa" und führe "einen furchtbaren Krieg" gegen die Ukraine, betonte Scholz. "Gerade deshalb denken wir an Michail Gorbatschow und wissen, welche Bedeutung er für die Entwicklung Europas und auch unseres Landes in den letzten Jahren hatte."
Das Ende des Kalten Krieges und die deutsche Einheit seien Gorbatschows Vermächtnis, twitterte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. "Wir trauern um einen Staatsmann, dem wir dafür ewig dankbar sind." Er habe sich "in Schicksalsmomenten unserer Geschichte von Frieden und der Verständigung zwischen den Menschen leiten lassen".
(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 31. August 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, hul/AFP/dpa/rts