Merkel geht an die Basis Milchpreis wird Chefsache
21.05.2009, 17:13 UhrBundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) macht den Kampf gegen die fallenden Milchpreise zur Chefsache. Angesichts der schwierigen Situation der deutschen Milchwirtschaft will die Kanzlerin am Donnerstag einen Betrieb in Niedersachsen besuchen. Sie wolle mit 30 Milchbauern aus der Region sprechen und sich so ein unmittelbares Bild machen, kündigte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm in Berlin an. An dem Treffen in Ritterhude nehmen auch der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), die Vorstandsvorsitzenden des Lebensmittelhändlers Edeka und der Molkerei Nordmilch sowie Bauernpräsident Gerd Sonnleitner teil. Die Bundesländer signalisierten unterdessen eine Entlastung bei der Agrardieselsteuer.
Milchbauern-Protestverband außen vor
In der vergangenen Woche hatten mehr als 200 Milchbäuerinnen vor dem Kanzleramt campiert, um einen Milchkrisengipfel unter Leitung Merkels zu erzwingen. Sechs Frauen waren in den Hungerstreik getreten, den sie am Sonntag beendet hatten. Merkel hatte dabei ein Gespräch mit den Bäuerinnen eine Woche lang verweigert. Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM), der die Aktion organisiert hatte, ist nicht zu dem Treffen in Niedersachsen eingeladen, wie eine BDM-Sprecherin der Nachrichtenagentur AFP sagte. Es sei aber davon auszugehen, dass sich BDM-Mitglieder vor dem Hof in Niedersachsen einfinden würden. "Wichtig wäre, dass sich die Bundeskanzlerin nicht nur die Meinung des Bauernverbands, sondern auch der anderen Seite anhören würde."
Das Treffen in Niedersachsen sei ein "geeignetes Format", um sich ein Bild von der Lage der Bauern zu machen, sagte Wilhelm. Die schwierige Lage der Landwirte beschäftige die Bundeskanzlerin "seit geraumer Zeit". Es sei für Merkel "wichtig, unmittelbar mit den Beteiligten zu sprechen", versicherte der Regierungssprecher. Ziel der Bundesregierung sei, kurzfristig die finanzielle Basis der Betriebe zu sichern und mittelfristig die Strukturen vor allem bei den Molkereien zu verbessern. Rapide sinkende Milch-Erzeugerpreise haben viele Betriebe an den Rand des Ruins getrieben.
Krisenkonferenz der Agrarminister
Angesichts wachsender Proteste kamen in Berlin die Landwirtschaftsminister von Bund und Ländern zusammen, um über Wege aus der Krise der Milchbauern zu beraten. Die Länder signalisierten inzwischen eine Entlastung bei der Agrardieselsteuer. Die Vorsitzende der Agrarministerkonferenz, Sachsen-Anhalts Ressortchefin Petra Wernicke (CDU), sagte vor dem Sondertreffen, zumindest die Steuer auf Agrardiesel werde man sich vornehmen und auf das Niveau anderer EU-Länder bringen, weil das die Liquidität der Milchbauern erhöhe. Niedersachsens Minister Hans-Heinrich Ehlen (CDU) sagte, es könne möglicherweise Überbrückungskredite oder das Vorziehen von EU-Agrarbeihilfen geben.
Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) will die Talfahrt der Milchpreise stoppen. "Mein Ziel ist auf alle Fälle, dass wir das machen, was auch die Franzosen machen: die nationale Reserve einzustellen", sagte Aigner vor Beginn der Konferenz. Dabei gehe es darum, auf eine einprozentige Erhöhung der Milchquote zu verzichten. In die sogenannte nationale Reserve können ungenutzte Rechte zur Milchherstellung fließen. Die Agrarminister wollen über Hilfen der Europäischen Union, des Bundes und der Länder für Bauern beraten.
Die CSU fordert eine fünfprozentige Kürzung der Milchproduktion, um den dramatischen Verfall der Preise zu stoppen. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und der Berliner Agrarstaatssekretär Gerd Müller (beide CSU) plädierten für eine Senkung der Milchquote. Sie schlossen sich damit einer Initiative von Bayerns Agrarminister Helmut Brunner (CSU) an, der zunächst auf Skepsis in seiner eigenen Partei gestoßen war: "Ich schlage vor, die Milchmenge um 5 Prozent zu senken. Das wäre ein wichtiges und richtiges Signal", sagte Brunner im ZDF. Brunner wollte sich bei dem Sondertreffen der Agrarminister in Berlin für seine Forderung stark machen. Seehofer wird kommende Woche nach Brüssel fahren, um sich dort bei der EU- Kommission für eine Rücknahme der Quotenerhöhung bei Milch einzusetzen. Die europäischen Milchbauern drohen inzwischen mit einem länderübergreifenden Streik, sollte sich die EU-Milchpolitik nicht ändern.
Streit um die Quote
Zehntausende Milchbauern haben sich vom Deutschen Bauernverband losgesagt und sind dem konkurrierenden BDM beigetreten. Die BDM-Milchbauern werfen dem Bauernverband Nähe zu den großen Molkereien vor. Molkereien und Bauernverband unterstützen das geplante Auslaufen der EU-Milchquote bis 2015.
Der BDM fordert dagegen, nur noch so viel Milch zu produzieren wie in Europa verbraucht wird. So sollten die Preise stabilisiert werden. Der Verband warnt davor, mit dem Auslaufen der Quote wollten EU und Konzerne die Milch lediglich billiger machen, um sie auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Auch Umweltschützer bemängeln, durch einen Wegfall der Quote drohten weiter sinkende Preise, was die Industrialisierung der Milchwirtschaft weiter verschärfen würde.
Europaweiter Streik droht
Im vergangenen Jahr hatte der BDM in Deutschland einen Milchliefer-Streik organisiert. Der Streik hatte vorübergehend zu höheren Preisen in deutschen Supermärkten geführt. Inzwischen sind die Milchpreise aber beispiellos niedrig. Viele Bauern fürchten nach Verbandsangaben um ihre Existenz.
Das European Milk Board (EMB) erklärte in Paris, es müsse "sehr schnell" zu einer anderen Milchpolitik kommen. "Sollten die Forderungen nicht gehört werden, werden die Produzenten einen europaweiten Streik beschließen." Zum EMB gehören Milchbauernverbände in ganz Europa, unter anderem auch der BDM. Die Verbände kündigten Proteste am Rande des Treffens der EU-Agrarminister am Montag in Brüssel an.
Quelle: ntv.de, AFP / dpa