Politik

UN fordern Untersuchung des angeblichen Giftgaseinsatzes Millionen syrische Kinder sind auf der Flucht

Syrische Kinder in einem Flüchtlingscamp in Jordanien.

Syrische Kinder in einem Flüchtlingscamp in Jordanien.

(Foto: dpa)

Von einem "Meilenstein der Schande" sprechen Unicef und UNHCR. Sie schätzen, dass drei Millionen syrische Kinder auf der Flucht sind. Sie seien traumatisiert, deprimiert und ohne Hoffnung, heißt es. Derweil nimmt nach dem angeblichen Giftgaseinsatz der Druck auf Damaskus zu. Auch Stimmen nach einem Militäreinsatz werden laut.

Im syrischen Bürgerkrieg sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen mittlerweile mehr als drei Millionen Kinder auf der Flucht. Ein Drittel von ihnen habe das stark zerstörte Land verlassen. Diese Zahl sei "ein Meilenstein der Schande", erklärten das Kinderhilfswerk Unicef und das Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Viele Kinder seien traumatisiert, deprimiert und ohne Hoffnung.

Die meisten minderjährigen Flüchtlinge haben eine Bleibe in den Nachbarländern Libanon, Jordanien, Türkei, Irak oder auch in Ägypten gefunden, hieß es weiter. "Wir sprechen von Kindern, die von ihrem Zuhause fortgerissen wurden, vielleicht von ihrer Familie. Sie sehen sich Schrecken gegenüber, die wir gar nicht nachvollziehen können", sagte Unicef-Chef Anthony Lake. Die meisten der ins Ausland geflohenen Kinder sind jünger als elf Jahre. Auch in Europa wachse die Zahl der syrischen Flüchtlinge.

Hilfsorganisationen wie das christliche Kinderwerk  World Vision Deutschland schätzen allerdings die Zahlen noch höher ein. Der  Vorsitzende Christoph Waffenschmidt sagte Anfang August, innerhalb  Syriens seien drei Millionen Kinder als Binnenflüchtlinge betroffen.

Nach Ansicht der Hilfsorganisation Medico International ist eine angemessene medizinische Versorgung der Menschen in Syrien nicht möglich. Medico-Sprecher Martin Glasenapp sagte dem Hessischen Rundfunk: "Es werden Medikamente benötigt, vor allem in den direkt umkämpften Gebieten. Es wird aber auch mehr und mehr Nahrungsmittelhilfe nötig sein." Von 23 Millionen Syrern seien mittlerweile zwei Millionen ins Ausland oder in die benachbarten Länder geflohen, innerhalb Syriens seien insgesamt fünf Millionen Menschen unterwegs.

McCain greift Obama an

Nach Berichten über einen neuen Giftgaseinsatz in Syrien wächst unterdessen der Druck auf das Regime in Damaskus. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kündigte "ernste Konsequenzen" an, falls sich die Vorwürfe über einen Giftgaseinsatz bestätigen sollten. Der französische Außenminister Laurent Fabius drohte in diesem Fall indirekt mit einem militärischen Eingreifen.

US-Präsident Barack Obama nahm erstmals Stellung zu den Berichten. Zwar seien die USA noch dabei, Informationen zu sammeln. Aber es handele sich aber "klar um ein großes Ereignis", das Anlass zu ernster Sorge gebe, sagte Obama in einem CNN-Interview. Bei einem Chemiewaffeneinsatz seien auch die Interessen der USA und der internationalen Gemeinschaft berührt.

Allerdings warnte Obama vor schnellen Forderungen nach einer militärischen Intervention. Es gebe rechtliche Fragen sowie die Frage einer internationalen Unterstützung. Bei einem Einsatz ohne UN-Mandat müsse man auch die Frage stellen: "Haben wir eine Koalition, die es machbar machen würde?" Mit Blick auf die Entwicklung in Syrien und Ägypten betonte Obama, das die Zeit auslaufe. Obama hatte den Einsatz von Giftgas vor einem Jahr als "rote Linie" für ein mögliches militärisches Eingreifen bezeichnet.

Der republikanische Senator John McCain hatte am Donnerstag scharfe Kritik daran geübt, dass Obama nun nicht schneller reagiere. Dessen "Passivität" verstehe Assad als "grünes Licht" der USA für Kriegsgräuel, sagte er dem Sender CNN. Die USA seien in der Lage, durch Raketen die 40 bis 50 im Bürgerkrieg eingesetzten Flugzeuge der syrischen Streitkräfte zu zerstören, sagte der frühere republikanische Präsidentschaftsbewerber. Ein Militäreinsatz wäre daher mit "geringen Kosten" verbunden, US-Soldaten würden nicht gefährdet. McCain sagte weiter, er sei überzeugt, dass Berichte der syrischen Opposition zuträfen und das Assad-Regime Giftgas eingesetzt habe.

Russland fordert derweil die syrischen Rebellen auf, die UN-Inspekteure bei ihrer Arbeit zur Aufklärung eines möglichen Giftgaseinsatzes zu unterstützen. Die Assad-Gegner müssten einen sicheren Zugang zum Ort des Zwischenfalls gewährleisten, forderte das Außenministerium in Moskau nach einem Telefonat von Resso rtchef Sergej Lawrow mit seinem US-Amtskollegen John Kerry. Russland - ein enger Partner Assads - hatte die jüngsten Berichte über einen Chemiewaffeneinsatz des Regimes als "Provokation" bezeichnet und die Rebellen verantwortlich gemacht. Lawrow erklärte weiter, Russland und die USA hätten ein "gemeinsame Interesse" an einer "objektiven Untersuchung" der Berichte.

Die Bundesregierung forderte zusammen mit 30 weiteren Staaten eine Ausweitung des Mandats der UN-Inspekteure zu möglichen Giftgasangriffen. Außenminister Guido Westerwelle habe sich nachdrücklich dafür eingesetzt, dass diese Vorwürfe umgehend und umfassend aufgeklärt würden, sagte ein Sprecher in Berlin. Die Vorwürfe richteten sich dabei in erster Linie an die Adresse der syrischen Führung.

"Wir haben keine Zeit zu verlieren"

Rebellen sprechen von 1300 Toten, die der Giftgasangriff gefordert haben soll.

Rebellen sprechen von 1300 Toten, die der Giftgasangriff gefordert haben soll.

(Foto: AP)

Jeglicher Einsatz von Chemiewaffen stelle ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" dar, unabhängig davon, wer einen solchen Angriff verübe, sagte Ban am Rande eines Besuches in Südkoreas Hauptstadt Seoul. Der UN-Generalsekretär hatte bereits seine Hohe Vertreterin für Abrüstung, Angela Kane, nach Damaskus entsandt, um den Vorwürfen nachzugehen. Die UN stellten bei Staatschef Baschar al-Assad am Donnerstag auch den formellen Antrag, ihren Inspektoren Zugan g zu dem mutmaßlichen Tatort zu gewähren. "Wir haben keine Zeit zu verlieren", sagte Ban. Es gebe keine Rechtfertigung dafür, dass eine der Bürgerkriegsparteien, sei es die Regierung oder die Opposition, eine solche Untersuchung ablehne, sagte Ban. Die UN-Experten halten sich gegenwärtig in Damaskus auf, um ältere Vorfälle dieser Art zu überprüfen. Sie warten nun auf eine Genehmigung zur Untersuchung auch des neuen Vorfalls.

Syriens Opposition beschuldigt die Regierungstruppen, am Mittwoch bei einem Großangriff mit Chemiewaffen nahe der Hauptstadt Damaskus ein Massaker mit 1300 Toten verübt zu haben. Videos, deren Echtheit zunächst nicht überprüft werden konnten, zeigten Menschen mit Schaum vor dem Mund und zahlreiche Leichen, auch von Kindern. Die Regierung weist die Vorwürfe zurück. Ein Vertreter der Sicherheitskräfte sagte, ein Giftgaseinsatz während des Einsatzes von UN-Inspektoren im Land wäre "politischer Selbstmord". Regimegegner berichteten, die Regierungstruppen hätten derweil ihre Angriffe auf Rebellenhochburgen am Stadtrand von Damaskus mit unverminderter Härte fortgesetzt.

Frankreichs Außenminister Fabius drohte indirekt mit einem militärischen Eingreifen, sollte sich der Vorwurf eines Giftgasangriffs bestätigen. In diesem Fall sei eine "Reaktion der Stärke" notwendig, die über eine "internationale Verurteilung" hinausgehe, sagte er am Donnerstag den Sendern RMC und BFMTV. Auf eine Frage nach möglichen Luftangriffen antwortete er nicht. Staatschef François Hollande sagte in einem Telefonat mit UN-Generalsekretär Ban, er halte es für "wahrscheinlich", dass Chemiewaffen eingesetzt worden seien, wie der Élysée-Palast mitteilte. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu warnte, die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft könne den Iran ermutigen, sein Atomprogramm auszuweiten. "Syrien ist zum Testgebiet für den Iran geworden", sagte er.

Nach Einschätzung des UN-Spitzendiplomaten Lakhdar Brahimi reift bei den Konfliktparteien in Syrien langsam die Einsicht, dass keine Seite militärisch siegen kann. "Jetzt sprechen beide von der Möglichkeit einer politischen Lösung", sagte der Syrien-Beauftragte der UN und der Arabischen Liga in einem Interview des UN-Fernsehens. "Syrien stellt heute ohne Zweifel die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit in der Welt dar", sagte Brahimi.

Quelle: ntv.de, AFP/dpa

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