Kinder-Hartz-IV auf dem Prüfstand Minister wollen Neuberechnung
21.10.2009, 08:28 UhrNachdem das Bundesverfassungsgericht Zweifel an den Hartz-IV-Regelsätzen für 1,7 Millionen Kinder geäußert hat, fordern mehrere Ländersozialminister eine Neuberechnung - Wirtschaftsexperten allerdings warnen vor negativen Folgen einer Anhebung für den Arbeitsmarkt und die öffentlichen Kassen.
Die designierte stellvertretende Parteivorsitzende der SPD, Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig, nannte die derzeitigen Sätze zu niedrig. "Ich gehe davon aus, dass eine gezielte Bedarfsermittlung dazu führt, dass die Regelsätze für Kinder erhöht werden müssen", sagte Schwesig der "Rheinischen Post". Der Bedarf für Kinder müsse gesondert ermittelt werden. "Bislang ist er nur prozentual vom Regelsatz für Erwachsene abgeleitet, in den beispielsweise auch Alkohol eingerechnet ist."
Jetzt müssen Taten folgen
Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) machte geltend, Kinder seien keine kleinen Erwachsenen. "Die jetzige Regelung wird der Lebenssituation von Kindern nicht gerecht", sagte die derzeitige Vorsitzende der Sozialministerkonferenz der Länder den Dortmunder "Ruhr Nachrichten". Diese hätten einen flexiblen Bedarf, der in bestimmten Lebensphasen durchaus deutlich höher liegen könne als der von Erwachsenen. Baden-Württembergs Sozialministerin Monika Stolz (CDU) sagte der Zeitung: "Angesichts der Bedeutung, die der Bekämpfung von Kinderarmut zukommt, müssen jetzt konkrete Entscheidungen getroffen werden und Taten folgen."
Wirtschaft befürchtet geringeren Anreiz
Mit Blick auf eine mögliche Anhebung des "Kinder-Hartz-IV" warnen Wirtschaftsexperten jedoch vor negativen Folgen für den Arbeitsmarkt und die öffentlichen Kassen. "Höhere Hartz-IV-Sätze für Kinder könnten dazu führen, dass sich Arbeit für einige Familien vergleichsweise weniger lohnt", sagte der Arbeitsmarktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Holger Schäfer, der "Bild"-Zeitung. Der ein oder andere würde dann seinen Job aufgeben, "weil für ihn die Stütze ausreichend" sei. Das führe wiederum zu höheren Kosten für die öffentliche Hand.
Arbeitnehmer oft nicht viel besser dran
Die Zeitung wies auf Berechnungen des Bundes der Steuerzahler (BdSt) hin, wonach das verfügbare Einkommen vieler Arbeitnehmerfamilien teilweise nur wenige hundert Euro über den Bezügen von Langzeitarbeitslosen liegt. So komme etwa ein verheirateter Vater von drei Kindern und einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2500 Euro unterm Strich auf 2368,04 Euro. Das seien 264 Euro mehr, als eine vergleichbare Hartz-IV-Familie bekomme. BdSt-Hauptgeschäftsführer Reiner Holznagel kritisierte die geringen Einkommensunterschiede zwischen Arbeitnehmerfamilien und Beziehern von Hartz IV und forderte die neue Bundesregierung zu Steuersenkungen auf: "Wer hart arbeitet, muss künftig spürbar bessergestellt werden."
Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe: (v.l.) Johannes Masing, Michael Eichberger, Brun-Otto Bryde, Ferdinand Kirchhof, Hans-Jürgen Papier (Vorsitz), Christine Hohmann-Dennhardt, Reinhard Gaier und Wilhelm Schluckebier bei der mündlichen Verhandlung.
(Foto: dpa)
Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit Berechnungsgrundlage und Höhe der Hartz-IV-Leistungen. Der Regelsatz für alleinstehende Erwachsene beträgt derzeit 359 Euro. Kinder bis sechs Jahre bekommen 215 Euro, danach 251 Euro und ab dem 14. Geburtstag 287 Euro im Monat. Die Verfassungsrichter hatten in einer Anhörung am Dienstag deutliche Zweifel daran erkennen lassen, ob die bisher geltenden Sätze den tatsächlichen Bedarf von Kindern unter 14 Jahren abdecken. In dem Verfahren will das Bundesverfassungsgericht erstmals über Inhalt und Grenzen eines "Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum" entscheiden, kündigte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier. Mit einem Urteil ist erst in einigen Monaten zu rechnen.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP