Verschleppung in Tripolis Ministerpräsident wieder frei
10.10.2013, 11:33 Uhr
Seidan ist seit Oktober 2012 Ministerpräsident des Landes.
(Foto: dpa)
Der verschleppte libysche Ministerpräsident Seidan ist wieder auf freiem Fuß. Dies bestätigen Regierungskreise. Auch wenn die Details der Entführung noch unklar sind, so viel ist sicher: Libyen driftet mehr und mehr in die Anarchie.
Milizen in Libyen haben den entführten libyschen Ministerpräsidenten Ali Seidan wieder freigelassen. Die Regierung teilte mit, dass die Verschleppung unblutig beendet wurde. Seidan ist den Angaben zufolge an einem sicheren Ort und wird noch im Laufe des Tages seine Amtsgeschäfte wieder aufnehmen.
Der Premier war in der Nacht aus einem Hotel in Tripolis an einen unbekannten Ort verschleppt worden. Eine Gruppe ehemaliger libyscher Rebellen erklärte, der Regierungschef sei "auf Anordnung der Staatsanwaltschaft festgenommen" zu haben. Die Festnahme des Ministerpräsidenten in der Hauptstadt sei gemäß dem libyschen Strafgesetz erfolgt, schrieb die Gruppe namens Operationszelle von Revolutionären auf Facebook. Demnach muss sich Seidan wegen "Verbrechen und Delikten zum Schaden des Staates und zum Schaden der Sicherheit des Staates" verantworten. Die Zelle untersteht theoretisch den libyschen Ministerien für Verteidigung und Inneres.
Auch der Sprecher der Abteilung für Verbrechensbekämpfung im Innenministerium, Abdelhakim al-Balasi, sagte der staatlichen Nachrichtenagentur Lana, es handele sich nicht um eine "Entführung", sondern um eine "Festnahme". Unter dem Dach des Innenministeriums arbeiten neben Beamten aus der Ära des 2011 gestürzten Langzeitherrschers Muammar al-Gaddafi auch Angehörige sogenannter Revolutionsbrigaden, die sich einst für den Kampf gegen Gaddafis Truppen formiert hatten. Diese folgen nicht immer den Vorgaben der Regierung.
Generalstaatsanwalt verurteilt Entführung
Das Justizministerium betonte dagegen, die Staatsanwaltschaft habe keinen Haftbefehl für Seidan ausgestellt. Das Büro des Generalstaatsanwalts verurteilte die Entführung des Ministerpräsidenten.
Das libysche Kabinett erklärte auf seiner Facebook-Seite, über eine Aufhebung der Immunität oder einen Haftbefehl gegen den Ministerpräsidenten sei ihm nichts bekannt. Das Büro des Ministerpräsidenten rief die Regierungsmitglieder zu einer Kabinettssitzung zusammen. Die Regierung appellierte an die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren.
Libyer zeigten inzwischen im Internet Fotos, die während der Entführung aufgenommen worden sein sollen. Sie zeigen Seidan ohne Brille und mit offenem Hemd. Ein Wachmann im Hotel Corinthia, in dem Seidan mit mehreren Begleitern verschleppt wurde, beschrieb den Vorfall als "Arrest". Schüsse seien nicht abgefeuert worden.
Proteste nach Verschleppung Al-Libis
Beobachter in der libyschen Hauptstadt vermuten einen Zusammenhang zu der Verschleppung des mutmaßlichen Al-Kaida-Terroristen Abu Anas Al-Libi. Dieser war am vergangenen Samstag von einem US-Spezialkommando in Tripolis gefangen und außer Landes gebracht worden.
Nach dem Verschwinden von Al-Libi hatte es in Bengasi eine Protestaktion radikaler Islamisten gegeben. Die libysche Regierung hatte ebenfalls die Verschleppung kritisiert und die US-Botschafterin einbestellt, gleichzeitig aber betont, man hoffe weiterhin auf gute Beziehungen zu Washington. Seidan, dem im Land immer wieder zu große Nähe zum Westen vorgeworfen worden war, fand klare Worte: "Wir bestehen darauf, dass libysche Staatsangehörige in Libyen vor Gericht gestellt werden, und Libyen wird seine Bürger nicht für Prozesse in andere Länder ausliefern."
Der 63-jährige Seidan ist der erste gewählte Regierungschef Libyens. Der langjährige Gegner Gaddafis hatte lange im Exil gelebt, unter anderem im Irak und in Deutschland. Als Ministerpräsident nannte er den Aufbau einer neuen Armee als Priorität.
Libyen kommt nicht zur Ruhe
Allerdings kam der Aufbau der neuen Armee und Polizei seit dem Sturz und Tod Gaddafis im Oktober 2011 nur langsam voran. Am Montag erst besetzten dutzende Soldaten den Amtssitz von Seidan, um die Auszahlung ausstehender Löhne zu fordern. Medienangaben zufolge warten sie seit Monaten vergeblich auf ihre Löhne.
Viele frühere Rebellenmilizen weigern sich, ihre Waffen abzugeben, und versuchen mit Gewalt, ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Wiederholt belagerten bewaffnete Demonstranten Behörden, Ministerien und das Parlament. Zudem liefern sich die Milizen sowie rivalisierende Stämme immer wieder blutige Kämpfe.
Weite Teile des Landes werden von der Zentralregierung kaum mehr kontrolliert. In Bengasi, wo meist islamistische Milizen das Sagen haben, wurden zuletzt fast täglich Attentate verübt.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/AFP/rts