Demonstranten zollen Soldaten Respekt Mubaraks Schicksal hängt von Armee ab
29.01.2011, 17:51 UhrBei den blutigen Zusammenstößen in Ägypten ist die Polizei für die Demonstranten der klare Gegner. Vor der Armee aber haben sie keine Angst. Sie gibt ihnen Sicherheit. Deswegen wird das Verhalten der Soldaten in den nächsten Tagen für das Schicksal Mubaraks ausschlaggebend sein,
Die Szenen, die sich derzeit in Ägypten abspielen, erscheinen unbegreiflich: Demonstranten werden niedergeknüppelt, mit Gummigeschossen und Tränengas auseinandergetrieben und auch mit scharfer Munition beschossen. Dutzende Menschen sterben. Doch im gleichen Moment klettern Demonstranten auf Armeefahrzeuge, küssen und umarmen Soldaten und suchen hinter Panzern Schutz vor den Schüssen der Polizei. Während die Polizei in den Auseinandersetzungen auf der Straße der klare Gegner ist, zollen sie der Armee Respekt - obwohl sie die Stütze des verhassten Präsidenten Husni Mubarak ist, der sich seit 30 Jahren an der Macht hält. Das Verhalten der Armee in den kommenden Tagen wird für das weitere Schicksal Mubaraks entscheidend sein.
Am Samstag waren die von Mubarak mobilisierten Streitkräfte an den wichtigen Orten Kairos präsent, Panzer waren aufgefahren und Armeehubschrauber überwachten die Lage aus der Luft. Die Armee rief die Menschen auf, die nächtliche Ausgangssperre zu respektieren. Doch die massive Militärpräsenz hat den Ägyptern keine Angst eingejagt, im Gegenteil: "Wir wollen Mubarak nicht mehr. Aber wir mögen die Armee, die Ägypter mögen ihre Armee", sagt ein junger Demonstrant, Ehab Alei, in Kairo. Die umstehenden Jugendlichen stimmen eifrig zu.
"Wir wissen nicht, auf welcher Seite sie sind"
Ein anderer Demonstrant, der am Freitagabend durch die Hauptstadt marschiert, fragt sich, welche Rolle die Armee wohl einnehmen werde. "Wir wissen noch nicht, auf welcher Seite sie ist. Aber wir respektieren sie alle." "Die Armee und das Volk - gemeinsam!" skandieren Demonstranten vor dem Gebäude des Staatsfernsehens. Viele rufen die Soldaten auf, sich den Protesten anzuschließen.
Doch ob es dazu kommen wird, oder ob sich die mächtige Armee mit knapp einer halben Million Soldaten und ebenso vielen Reservisten allen Warnungen aus dem Ausland zum Trotz zu einem harten Durchgreifen entschließt, ist noch unklar. Fest steht: Die Generäle haben genügend Macht, um über das Schicksal Mubaraks zu bestimmen. Es gebe zwei Möglichkeiten, sagt der Politologe Hischam Kassem: Entweder die Soldaten schlügen die Proteste gewaltsam nieder. "Oder, wenn sie ein großes Blutvergießen vermeiden will, fordert die Armee Mubarak auf, unter ihrem Schutz abzutreten."
Erst am Samstag kehrte der ägyptische Generalstabschef Sami Anan vorzeitig von einer USA-Reise zurück, wo er sich zu Beratungen mit der US-Armee aufhielt. US-Vizegeneralstabschef James Cartwright forderte Zurückhaltung gegenüber den Demonstranten. Washington hat durchaus Einfluss auf die Streitkräfte seines wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten: Jährlich 1,3 Milliarden Dollar Militärhilfe überwies Washington bisher nach Kairo - und drohte nun, diese Zahlungen zu überdenken.
Armee hat lange Tradition an der Staatsspitze
Die Armee hat in Ägypten eine lange Tradition an der Staatsspitze: Mubarak ist seit dem Sturz der Monarchie durch die "Freien Offiziere" 1952 der vierte Präsident aus den Reihen der Streitkräfte, nach Mohamed Nagib, Gamal Abdel Nasser und Anwar el Sadat. Doch während diese Präsidenten allesamt Offiziere waren, ist Mubaraks als Nachfolger erkorener Sohn Gamal militärisch unerfahren.
Dokumente, die das Enthüllungsportal Wikileaks veröffentlicht hat, zeigen, wie wenig die Armee von Gamal Mubarak hält. Dieser habe offenbar nicht einmal seinen Wehrdienst beendet, schrieb der damalige US-Botschafter in Kairo, Francis Ricciardone, im Jahr 2007. "Der Militärapparat könnte ein entscheidendes Hindernis" bei der Kür von Gamal Mubarak sein. Auch in der Bevölkerung sei Gamal Mubarak unbeliebt.
In der Vergangenheit hatte Mubarak angekündigt, "bis zum letzten Atemzug" an der Macht zu bleiben. Ob ihm dies gelingt, wird davon abhängen, ob ihm die Armee trotz der Massenproteste den nötigen Rückhalt gibt.
Quelle: ntv.de, Christophe de Roquefeuil, AFP