Lage in Ägypten bleibt explosiv Mursi-Anhänger machen mobil
05.07.2013, 09:02 Uhr
Die Muslimbruderschaft bleibt ein wichtiger Faktor in Ägypten.
(Foto: dpa)
Mohammed Mursi ist nur noch ägyptischer Ex-Präsident, aber seine Gefolgschaft findet sich damit nicht ab. Heute wollen die Islamisten auf die Straße gehen und gegen Mursis Absetzung protestieren. Die Muslimbrüder schließen eine Beteiligung an der Übergangsregierung kategorisch aus. Die Armee ruft zur nationalen Versöhnung auf. Gleichzeitig werden führende Islamisten festgenommen.
In Ägypten haben die religiösen Kräfte für heute zu Protesten gegen den Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär aufgerufen. Der Militärputsch dürfe nicht hingenommen werden, hieß es in einer von arabischen Medien verbreiteten Erklärung der Muslimbrüder und verbündeter Parteien.
Am Donnerstag hatte der neue Übergangspräsident Adli Mansur seinen Amtseid abgelegt. Der bisherige Vorsitzende des Obersten Verfassungsgerich ts kündigte an, die Islamisten an der Regierung beteiligen zu wollen. Dies schlossen die religiösen Kräfte in einer Stellungnahme kategorisch aus.
Mursi erklärte in einer über das Internet verbreiteten Botschaft: "Ich bin der gewählte Präsident Ägyptens." Der erzwungene Machtwechsel werde "von allen freien Menschen des Landes abgelehnt, die dafür gekämpft haben, dass Ägypten eine zivile Demokratie wird".
Die Armeeführung rief zur nationalen Versöhnung auf. Die Ägypter sollten auf Racheakte verzichten, hieß es in einer in der Nacht veröffentlichten Erklärung. Jegliche "außergewöhnlichen und willkürlichen Maßnahmen" gegen politische Bewegungen sollten vermieden werden. Das Demonstrationsrecht sei garantiert, solange die nationale Sicherheit nicht gefährdet werde.
Zahlreiche Festnahmen
Die ägyptischen Sicherheitsbehörden gingen scharf gegen die Islamisten vor. Der Führer der Muslimbruderschaft, Mohammed Badia, sein Vorgänger Mohammed Mehdi Akif und seine Stellvertreter Raschad al-Bajumi und Saad al-Katatni wurden nach Medienberichten festgenommen. Sie würden im Tora-Gefängnis bei Kairo festgehalten, in dem auch der 2011 durch einen Volksaufstand gestürzte Langzeitherrscher Husni Mubarak einsitzt. Gegen den Haupt-Finanzier der Bruderschaft, Chairat al-Schater, wurde gleichfalls ein Haftbefehl erlassen. Das Militär schloss außerdem die Fernsehkanäle der Islamisten.
Nach Angaben des deutsch-ägyptischen Autors und Politologe n Hamed Abdel-Samad ist auch der Islamist Scheich Assem Abdel-Maged festgenommen worden, der ihn mit einem Mordaufruf bedroht habe. Das Vorgehen des ägyptischen Militärs sei für ihn eine "große Genugtuung", schreibt Abdel-Samad nach Angaben der "Bild"-Zeitung in einem Gastbeitrag. Nur einen Tag nach dem Mordaufruf sei der Islamist noch vom inzwischen gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi öffentlich umarmt worden. "Gestern wurde er von der Armee verhaftet", so Abdel-Samad.
Bei Angriffen von Islamisten auf Armee- und Polizeiposten auf der Sinai-Halbinsel wurde nach Medizinerangaben mindestens ein Soldat getötet. Zwei weitere Soldaten wurden demnach bei dem Angriff auf eine Kontrollstelle der Arme in Al-Gura im Norden des Sinai verletzt. Sicherheitskräften zufolge wurden auch ein Polizeiposten sowie die Zentrale des Militärgeheimdienstes in der Grenzstadt Rafah mit Raketen und Maschinengewehren angegriffen. Seit dem Machtwechsel am Mittwoch kamen bei Zusammenstößen mindestens 16 Menschen ums Leben, Hunderte wurden verletzt.
Westliches Unverständnis
Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht mit großer Sorge die umwälzenden Ereignisse in Ägypten. "Ich möchte alle Beteiligten auffordern, vor allen Dingen keine Gewalt anzuwenden", sagte die CDU-Politikerin. Es sei auch unabdingbar, dass für alle Bürger die Grundrechte gelten. "Es werden die Probleme des Landes nur gelöst werden können, wenn man in einen schnellen politischen Prozess eintritt, bei dem dann auch die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung sehr schnell wieder hergestellt ist."
Grünen-Chef Cem Özdemir, Grüne, forderte bei n-tv Ägypten auf, "eine Konsensgesellschaft zu entwickeln". Auch müsse das Land die Rolle des Militärs klären. So sei das Ende der Regierung Mursi nicht so zustande gekommen, wie es in Demokratien üblich sei. "Das hilft nicht, das zur Seite zu drängen", sagte Özdemir.
Die Vereinten Nationen und US-Präsident Barack Obama stuften die Entmachtung nicht als Militärputsch ein, ebenso sieht es der ägyptische Außenminister Mohamed Kamel Amr. Die Definition der Geschehnisse in Kairo ist wichtig, weil ein Putsch zur Entmachtung eines frei gewählten Staatspräsidenten in der Regel Wirtschaftssanktionen nach sich zieht. Ägypten ist stark von US-Finanzhilfen abhängig.
Die Weltbank hofft, die Zusammenarbeit mit Ägypten fortsetzen zu können, wie Bankchef Jim Yong Kim bei einem Besuch in Chile sagte. Es gehe um das 4,7 Milliarden Dollar schwere Kreditprogramm für Ägypten. Der Bankchef ergänzte, es müsse nun Ruhe bewahrt werden und so schnell wie möglich Wahlen geben.
Afrikanische Union zieht Konsequenzen
Die Krise in Ägypten beschäftigt heute auch die Afrikanische Union (AU). Sie wird die Mitgliedschaft Ägyptens wahrscheinlich aussetzen. In einer Mitteilung hieß es, mit der Ablösung Mursis sei die ägyptische Verfassung verletzt worden. Die AU stufe dies dementsprechend als nicht rechtmäßigen Regierungswechsel ein.
Das Auswärtige Amt empfiehlt derweil, Reisen nach Kairo und Alexandria wegen der derzeitigen politischen Lage zu vermeiden. "Deutsche Staatsangehörige, die sich in Kairo oder Alexandria aufhalten, sollten prüfen, ob ein Verbleib dort derzeit erforderlich ist", heißt es. "Von Reisen in die übrigen Landesteile wird dringend abgeraten; dies gilt insbesondere für das Nildelta, den Sinai (mit Ausnahme der Touristenorte am Roten Meer im Küstenstreifen zwischen Sharm-El-Sheikh und Nuweiba) sowie das ägyptisch-libysche Grenzgebiet."
Nach Angaben der Streitkräfte sind vorgezogene Präsidentenwahlen, die Einsetzung einer Expertenregierung und die Überarbeitung der Verfassung geplant. Einen Zeitrahmen nannten auch die Militärs nicht. Das Verfassungsgericht soll zudem Parlamentswahlen vorbereiten.
Quelle: ntv.de, wne/dpa/AFP/rts