Tote und Verletzte in Ägypten Mursi spricht zu seinem Volk
06.12.2012, 08:00 Uhr
In der Nacht geraten in Ägypten Gegner und Anhänger von Präsident Mursi in heftige Auseinandersetzungen. Fünf Menschen sterben, 350 werden verletzt. Panzer schützen den Präsidentenpalast. Nun wartet alles auf die Worte des Präsidenten, der sich im Fernsehen äußern will.
Angesichts der neuen Gewalt in Ägypten mit mehreren Toten will sich Präsident Mohammed Mursi nun doch mit einer Rede an das Volk wenden. Die staatlichen Medien kündigten an, der Staatschef werde binnen weniger Stunden eine Ansprache halten. Ob Mursi mit einem Kompromissvorschlag an die Öffentlichkeit treten will, blieb unklar.
Nach den nächtlichen Krawallen war die Republikanische Garde am Morgen mit Panzern vor dem Präsidentenpalast aufgefahren. Außerdem stehen dort drei gepanzerte Truppentransporter. Ein Sprecher betonte, es handele sich nicht um Soldaten der Armee. Nach den Ausschreitungen zwischen Oppositionellen und Anhängern der regierenden Islamisten-Partei war in Ägypten über einen möglichen Militärputsch spekuliert worden. Die Armee gab ein Versprechen ab, dass sie nicht mit Gewalt gegen Demonstranten vorgehen wird.
Bei den Straßenschlachten waren in der Nacht mindestens fünf Menschen getötet worden. Entzündet hatte sich der Streit an einem Dekret Mursis, mit dem dieser seine Machtbefugnisse für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer neuen Verfassung ausgeweitet hatte. Unterdessen erklärte mit Mohammed Esmat Seif al-Daula ein siebter Berater von Mursi aus Protest seinen Rücktritt.
Fünf Tote und hunderte Verletzte
In Berlin rief Außenminister Guido Westerwelle die Konfliktparteien in Ägypten zum Dialog auf. Beide Seiten müssten "auf eine politische Lösung hinarbeiten, damit diese Kontroverse überwunden werden kann", sagte Westerwelle in Berlin.
Bis in die Morgenstunden war es rund um den Präsidentenpalast zu Ausschreitungen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis gekommen. In der Nacht starben dabei mindestens fünf Menschen, 350 wurden verletzt, so das Gesundheitsministerium.
Hunderte Anhänger des islamistischen Präsidenten harrten am frühen Morgen weiter vor dem Präsidentenpalast aus und skandierten Parolen zur Unterstützung Mursis. Die verfeindeten Gruppen haben sich zuvor mit Steinen und Brandsätzen bekämpft. Der Sender Al-Dschasira berichtete von Feuer in den Straßen um den Amtssitz des islamistischen Staatsoberhauptes.
Angriffe auch auf Journalisten
Die Krawalle hatten am Mittwoch begonnen, als Mursi-Anhänger zu den seit Dienstag vor dem Präsidentenpalast protestierenden Gegnern einer weiteren Islamisierung des Landes zogen und anfingen, deren Zelte niederzureißen. Reporter berichteten, einige der etwa 10.000 demonstrierenden Islamisten seien auch auf Journalisten losgegangen. Nach einer leichten Beruhigung der Lage am Abend seien die Auseinandersetzungen in der Nacht erneut aufgeflammt, meldete Al-Dschsira.
Unter den Verletzten war auch der bekannte Aktivist Ahmed Douma. Freunde Doumas berichteten, der Gründer der Koalition gegen die Militärjunta und die Muslimbruderschaft, sei von Islamisten mit Messern im Gesicht verletzt worden.
Parteibüros in Flammen
Auch in anderen Städten kam es Medienberichten zufolge zu gewaltsamen Protesten. In Ismailia und Suez hätten Mursi-Gegner die Büros der ihm nahestehenden Muslimbruderschaft in Brand gesteckt. In der südlichen Stadt Luxor gingen Tausende von Anhängern der Islamisten auf die Straße und forderten die Einführung der Scharia.
In Kairo überpinselten Islamisten Anti-Mursi-Graffiti, die Demonstranten am Vortag auf der Mauer vor dem Präsidentenpalast gemalt hatten. Nach einer Massenschlägerei feierten sie ihren "Sieg" über die liberalen Demonstranten. Die Mursi-Gegner befürchten, dass der Präsident und die Muslimbrüder aus dem Land einen islamischen Gottesstaat machen.
"Wir sind Dschihadisten"
Die Islamisten wollen ihr umstrittenes Verfassungsreferendum Mitte Dezember über die Bühne bringen - koste es, was es wolle. Vizepräsident Mahmud Mekki sagte am Mittwoch in Kairo: "Der Termin für das Referendum am 15. Dezember steht fest und wird nicht verschoben."
Mehrere radikale Islamisten drohten den Oppositionellen mit einem "Heiligen Krieg" (arabisch "Dschihad"), falls diese ihre Sabotagepolitik gegen Präsident Mursi fortsetzen sollten. Der Generalsekretär der Partei für Unversehrtheit und Entwicklung, Mohammed Abu Samra, sagte in einem Interview des Nachrichtensenders Al-Arabija: "Wenn sie sich gegen die Legitimität stellen, dann werden wir äußerste Gewalt anwenden". Er fügte hinzu: "Wir sind keine Muslimbrüder und auch keine Salafisten, wir sind Dschihadisten."
Fernsehprediger droht Christen
Der für seine radikalen Ansichten bekannte Fernsehprediger Abdullah Badr sagte in einer Talkshow des ägyptischen Islam-Senders Al-Hafez, die Christen seien es, die den Protest gegen Präsident Mursi anführten. "Und wenn ihm auch nur ein Haar gekrümmt wird, dann reißen wir ihnen die Augen aus."
Drei Berater Mursis traten aus Protest gegen die Gewalt auf der Straße zurück. Der Politologe Seif Abdel Fatah verkündete seinen Rücktritt am Abend in einem tränenreichen Interview mit dem TV-Sender Al-Dschasira live. Er erklärte, die komplette Elite des Landes sei eigennützig und habe nicht die Interessen der Bevölkerung im Blick. Die Website der Kairoer Tageszeitung "Al-Shorouk" meldete, auch Eiman al-Sajed und der Fernsehmoderator Amr al-Laithi hätten sich aus dem Beratergremium zurückgezogen.
Der schon seit Monaten schwelende Konflikt zwischen den regierenden Islamisten und der säkularen Opposition war in den vergangenen zwei Wochen eskaliert, nachdem der islamistische Staatschef seine Machtbefugnisse auf Kosten der Justiz ausgeweitet hatte. Als die Islamisten dann auch noch einen Verfassungsentwurf vorlegten, der die Rolle der islamischen Religionsgelehrten im Gesetzgebungsprozess aufwertet und die Rechte der Frau infrage stellt, schwoll die Protestwelle der liberalen Gruppen weiter an.
Quelle: ntv.de, che/dpa/AFP