Mord an Junes durch Verbündete? NATO feuert auf Staatsfernsehen
30.07.2011, 07:28 Uhr
Junes wurde zusammen mit zwei Offizieren ermordet.
(Foto: AP)
Dass die Lage in Libyen unübersichtlich ist, muss die Welt jeden Tag erfahren. Dass es zwischen den Gaddafi-Gegnern tiefe Gräben gibt, wird nun auch klar. Die Rebellen werfen einer verbündeten Miliz vor, ihren Militärchef Junes getötet zu haben. Unterdessen schießt die NATO auf Satellitenantennen des Staatsfernsehens.
NATO-Kampfbomber haben drei Satellitenantennen des libyschen Staatsfernsehens zerstört. Nach Darstellung des Bündnisses wurden dadurch die "Terrorsendungen" des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi "zum Schweigen gebracht". Das libysche Staatsfernsehen blieb allerdings nach der Attacke weiter auf Sendung. Am Samstagmorgen wiederholte es eine Polit-Talkshow vom Vortag, berichtete der Nachrichtensender Al-Dschasira.
Die NATO begründete den Angriff auf die Übertragungsanlagen mit dem Mandat des UN-Sicherheitsrates zum Schutz der Zivilbevölkerung. Es sei darum gegangen, Gaddafis Einsatz des Satellitenfernsehens "als Mittel zur Einschüchterung des libyschen Volkes und zu Aufrufen zur Gewalt gegen Zivilisten zu verhindern", hieß es.
Etwas Licht ins Dunkle
Unterdessen klärt sich das Rätselraten um den Tod des Militärchefs der libyschen Rebellen langsam auf: Er ist nach Angaben der Aufständischen von Mitgliedern einer verbündeten Miliz erschossen worden. Abdel Fatah Junes - ein übergelaufener langjähriger Vertrauter von Machthaber Muammar Gaddafi - sollte demnach von der Miliz von der Front bei Brega nach Benghasi gebracht werden, sei aber von dieser umgebracht worden, sagte der Ölminister der Rebellen, Ali Tarhuni. Ein festgenommener Anführer der Miliz habe gestanden, dass seine Untergebenen den Mord ausgeführt hätten. Die eigentlichen Täter befänden sich noch auf der Flucht. Um welche Miliz es sich handelte, sagte Tarhuni nicht.
Die Äußerungen des Rebellen-Ministers scheinen zu belegen, dass es innerhalb der Reihen der Aufständischen tiefe Gräben gibt. Junes' Tod ist ein herber Rückschlag für die Rebellen, auch wenn er wegen seiner Verbindungen zu Gaddafi nicht unumstritten war. Die genauen Umstände des Mordes sind nach wie vor nicht geklärt. Nach Angaben des Rebellenchefs Mustafa Abdel Dschalil wurde Junes von der Front in der Nähe des Ölhafens Brega zurückbeordert, um vor einem Justizkomitee der Rebellen zu erscheinen. Auf dem Weg dorthin seien er und seine zwei Leibwächter von Angreifern erschossen worden.
Junes war eine der bedeutendsten Figuren der Widerstandsbewegung in Libyen, hatte zuvor aber jahrzehntelang Machthaber Gaddafi unterstützt. Unter diesem war er noch zu Beginn diesen Jahres Innenminister und galt als Nummer zwei in dessen Machtapparat. Kurz nach dem Beginn des Aufstandes sagte er sich aber von Gaddafi los und schloss sich den Rebellen an. Junes zählte damit zu den Überläufern der ersten Stunde. Mit seinen intimen Kenntnissen über den inneren Machtzirkel des Diktators stellte er für die Aufständischen einen großen Gewinn dar. Zugleich verstummten aber auch nie die Stimmen, die seine Loyalität wegen der langen Bindung an das totalitäre Regime infrage stellten.
Zusammengewürfelter Haufen
Die mysteriöse Ermordung wirft ein Schlaglicht auf das Milieu der Milizen und Freischärler. Sie sollten eigentlich an einem Strang ziehen, um Gaddafi aus Amt und Land zu jagen. Doch es ist - wie häufig in spontanen Aufstands- und Bürgerkriegssituationen - eine bunt zusammengewürfelte Allianz, die nunmehr seit mehr als fünf Monaten dem Diktator in Tripolis trotz indirekter NATO-Unterstützung nur schleppend Boden abringt.
Unter ihnen tummeln sich Bürgerrechtler und Islamisten, hochrangige Überläufer aus dem Gaddafi-Regime - wie eben Junis selbst -, an Top-Universitäten ausgebildete Exil-Heimkehrer und wilde Stammeskämpfer, Schmuggler, Hitzköpfe, Halunken und selbstlose Idealisten. Junis und andere Militärführer der Bengasi-Armee mussten diesem ebenso enthusiastischen wie dem Feind ins Mündungsfeuer rennenden Haufen grundlegende Disziplin und Ordnung einimpfen.
Rebellenrat anerkannt
Ein Szenario, wonach sich die Rebellen wegen eines gegenseitigen Misstrauens untereinander bekämpfen, würde auch die internationale Gemeinschaft vor Probleme stellen. Zahlreiche westliche Länder haben den Nationalen Übergangsrat der Aufständischen bereits als einzigen legitimen Vertreter des libyschen Volkes anerkannt.
Die Bundesregierung hatte die Rebellen bereits im Juni offiziell anerkannt. Inzwischen bot Außenminister Guido Westerwelle den Aufständischen nach Informationen der "Berliner Zeitung" sogar an, einen diplomatischen Vertreter nach Berlin zu entsenden. Dieser wäre eine Art Gegen-Botschafter zu den libyschen Diplomaten, die sich derzeit noch als Gesandte Gaddafis in Berlin aufhielten.
Quelle: ntv.de, jmü/tis/rts/dpa/AFP