Interview: Ist ein Verbot sinnvoll? "NPD stellt sich als Märtyrer dar"
05.12.2012, 15:31 Uhr
Laut Verfassungsschutzbericht hat die rechtsextreme NPD rund 6.300 Mitglieder - Tendenz sinkend.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Mehrheit der Länder ist für einen neuen Versuch, die rechtsextreme NPD zu verbieten. Bedenken kommen von Bundesinnenminister Friedrich, Teilen der CDU und der Grünen: Eine Katastrophe wäre ein Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht. Klaus Schroeder, Zeithistoriker und Politikwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin, ist auch skeptisch, ob ein Verbot der richtige Weg ist. "Mit einem NPD-Verbot ist eigentlich wenig gewonnen und damit sind sehr viele Risiken verbunden."
ntv.de: Die Länder haben in den vergangenen Monaten teilweise lauthals ein zweites NPD-Parteiverbot gefordert. Hamburgs Erster Bürgermeister, Olaf Scholz, sagte, die NPD sei "gefährlich für die Demokratie." Ist die NPD so eine große Bedrohung?
Klaus Schroeder: Ja. Die NPD will diese Demokratie aktiv beseitigen. Noch stellt sie sich als demokratische Partei dar, beteiligt sich an Wahlen. Ihre verfassungsfeindlichen Absichten und ihr Programm sind aber so gestrickt, dass es schwer ist, hieraus ein Verbot zu begründen. Es gibt gute Argumente für ein Verbot, um ein Zeichen zu setzen: Wir sind eine wehrhafte Demokratie, und wir lassen nicht zu, dass Leute diese Demokratie stürzen wollen. Andererseits gibt es bessere Argumente, auf den Antrag zu verzichten. Denn die NPD ist längst im Niedergang begriffen, hat weniger Mitglieder. Bei Wahlen, außer in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, sieht es sehr schlecht für sie aus. Im Westen liegen die Ergebnisse zum Teil unter der Einprozentmarke. Die Probleme, die wir mit Rechtsextremismus, mit gewalttätigem Rechtsextremismus, haben werden meines Erachtens so nur verdrängt.
Sie haben bereits angesprochen, die NPD hüllt sich in ein demokratisches Gewand. Mitte November hat sie einen neuen PR-Feldzug begonnen: Beim Bundesverfassungsgericht hat einen Antrag auf Feststellung der Verfassungsmäßigkeit gestellt. Stehen deshalb die Länder auch unter Druck, selbst zu reagieren?

Professor Klaus Schroeder: "Wem das Verbotsverfahren am Ende nutzt, steht in den Sternen"
(Foto: picture alliance / dpa)
Nein, das ist einfach alles nur Theater. Das ist ein PR-Gag der NPD. Die Länder stehen überhaupt nicht unter Druck. Vielmehr haben sie den Druck selber erzeugt - durch das Versagen der Sicherheitsbehörden im Falle NSU. Jetzt will man natürlich symbolische Politik zeigen: Man geht energisch gegen Rechtsextreme vor. Aber es besteht ein mehrfaches Risiko: Erstens, wenn der Verbotsantrag scheitert, wäre es eine Katastrophe. Zweitens kann man nicht kanalisieren, was aus den Leuten wird nach dem Verbot, und drittens: Die NPD ist ein Seismograf für Stimmungen in der Bevölkerung. Man kann ablesen, wie sie bei Wahlen abschneidet, welchen Einfluss ihre menschenverachtenden Thesen haben.
Relativ überraschend hat sich vergangene Woche ein Kritiker unter den Ländern, Niedersachsen, für ein Verbotsverfahren ausgesprochen. Ist das in Ihren Augen eine sachliche Wendung oder geht es dabei vor allem um Wahlkampf?
Ja, das ist Wahlkampf. SPD und die Grüne haben den Druck erzeugt, wer nicht für ein NPD-Verbot ist, der hilft ihr quasi. Die NPD muss rational diskutiert werden. Wir können davon ausgehen, dass alle demokratischen Parteien und Minister selbstverständlich die NPD ablehnen. Aber die Frage Verbotsantrag ja oder nein, ist keine Frage, ob man der NPD nahe steht oder nicht. Da ist ein Druck erzeugt worden und da sind Niedersachsen, das Saarland und Hessen auf diesen Wahlkampftrick hereingefallen.
Anders als vor knapp zehn Jahren hält sich die Bundesregierung in der Debatte eher zurück. Bundesinnenminister Friedrich ist skeptisch und meint, die Aussichten für ein Verbot seien nicht sonderlich gut. Was kann es bedeuten, sollte ein zweites Verfahren scheitern?
Das wäre eine Katastrophe. Das würde zu einem Triumpf der NPD und ihres Umfeldes führen. Das darf eigentlich nicht geschehen. Aber die Innenminister der Länder haben sich so hineingesteigert in diese Symbolpolitik, dass sie mit rationalen Argumenten nicht mehr zu erreichen sind. Selbst wenn das Verbot durchkommt, ist damit noch nicht viel gewonnen. Die NPD-Leute sind weiter da, und wenn die dann in kleinen Gruppen aktiv sind, sind sie schwerer zu beobachten und die Gefahr, dass sie eher in den Terrorismus gehen, wird größer. Die eigentlichen Ursachen des Rechtsextremismus sind durch ein Verbot der NPD nicht beseitigt. Die Politik will das suggerieren, aber das stimmt nicht.
In dem Jahr, nachdem die NSU-Mordserie bekannt wurde, haben Bund und Länder mehr als 2.600 Belege zusammengetragen, die die Verfassungswidrigkeit der NPD beweisen sollen. Auf V-Leute soll verzichtet worden sein. Kann sich die Bundesrepublik leisten, keine internen Informationen mehr zu bekommen?
Ob die V-Leute wirklich abgezogen wurden, weiß ich nicht. Das werden wir auch nicht erfahren. Es muss natürlich weiter Informationen geben, und die sind aus der NPD einfacher zu beschaffen, als aus kleinen Gruppen. Insofern wird es für die Sicherheitsbehörden schwieriger, wenn die NPD verboten wird. Also ich sehe keinen Nutzen beim Verbot, außer, dass man ein Symbol setzt. Ein Verbot gelingt aber nur dann, wenn man nachweisen kann, dass diese Leute nicht nur Verfassungsfeinde sind, also eine Gesinnung haben, die auf den Sturz der Demokratie zielt, sondern, dass sie aggressiv, kämpferisch gegen die Demokratie vorgehen. Und das ist nicht so einfach zu belegen mit Äußerungen.
Das erste Verbotsverfahren ist ja daran gescheitert, dass viele V-Männer in Führungspositionen der NPD waren. Die sollen jetzt abgezogen sein. Glauben Sie ein mögliches zweites Verbotsverfahren, hat bessere Chancen?
Ja, zumindest, dass das Verfahren eröffnet und durchgeführt wird. Und die Chancen sind durchaus da, dass der Verbotsantrag durchkommt. Dann kann die NPD noch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen, da wird es noch komplizierter. Das wird ein Prozess sein, der sich über Jahre hinzieht und die NPD wird sich als Opfer darstellen, als Märtyrer, als Verfolgte. Also wem das am Ende nutzt, das steht in den Sternen.
Kann die NPD vielleicht sogar Aufwind bekommen durch ein Verbotsverfahren?
Sie wird dadurch motiviert sein, wieder aktiver zu werden. Es kann aber auch sein, dass wenn das Verbot gelingt, eine Konkurrenzpartei, die sich noch "softer" gibt, entsteht. Die dann noch mehr Stimmen sammelt als die NPD.
Wenn ein Verbotsverfahren gegen die NPD nicht das richtige Vorgehen gegen Rechtsextremismus ist, was wäre denn eine richtige Politik von Bund und Ländern?
Richtig wäre es, sich argumentativ mit der NPD und ihren Thesen auseinanderzusetzen. Ihre Demokratiefeindlichkeit, Menschenverachtung und Ausländerfeindlichkeit deutlich herausstellen und schon jungen Menschen klarzumachen, wohin so eine Politik führen könnte. Sozusagen die Fragen, die die NPD stellt, aufgreifen und demokratisch beantworten. Das hat man viel zu wenig gemacht und dadurch hat man gerade in Ostdeutschland den Boden bereitet, dass junge Leute diesen braunen Rattenfängern auf den Leim gingen.
In den Landtagen in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen wird generell nicht auf Anträge der NPD reagiert. Ist das eine falsche Strategie der demokratischen Parteien?
Da wo die Anträge nur Klamauk sind und Propaganda sind, ist es richtig sie zu ignorieren, aber da, wo sie Inhalte aufgreifen, da sollte man sich mit ihnen auseinandersetzen und demokratische Antworten geben. Man hat die besseren Argumente. Aber wenn man davon nicht überzeugt ist, kann man auch die Demokratie nicht verteidigen.
Mit Klaus Schroeder sprach Freya Reiß
Quelle: ntv.de