Politik

"Vertrag von Lissabon" Neue Ära in Europa

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben den "Vertrag von Lissabon" unterzeichnet und damit einen Schlussstrich unter sechs Jahre erbitterten Streit über die Modernisierung der EU gezogen. Der Vertrag soll Europa neue politische Gestaltungskraft geben und helfen, den Wohlstand der fast 500 Millionen EU-Bürger zu sichern und Europa fit für den globalen Wettbewerb zu machen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekam bei der feierlichen Zeremonie im Hieronymus-Kloster von Lissabon für ihre Arbeit am Gelingen des Vertragswerks viel Lob und Beifall. Der Vertrag wird rechtskräftig, wenn alle 27 Mitgliedstaaten ihn ratifiziert haben. Er soll 2009 in Kraft treten und die EU demokratischer und in ihren Entscheidungen schneller machen. Parlamentspräsident Pöttering rief ebenso wie EU-Kommissionspräsident Barroso die Regierungen auf, die Ratifizierung mit großer politischer Entschlossenheit voranzutreiben.

Schon am Freitag kommen die "Chefs" erneut zusammen, um beim EU-Gipfel in Brüssel über die mögliche Anerkennung eines unabhängigen Kosovos und die weiter umstrittene Erweiterung der Union zu sprechen. Auch wenn die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei schon in der kommenden Woche ausgeweitet werden, bleiben erhebliche Vorbehalte gegen den Beitritt des Landes mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung.



"Rat der Weisen" wird installiert

Nach dem Willen von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wird ein "Rat der Weisen" berufen. Das Gremium mit acht bis zehn unabhängigen Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft soll sich Gedanken machen, wie die EU in 20 Jahren aussehen soll. Sarkozy, der einen Beitritt der Türkei strikt ablehnt, erhofft von den "Weisen" Unterstützung.

In der Kosovo-Debatte dürfte der Streit um eine mögliche Anerkennung der abtrünnigen serbischen Provinz, die sich vermutlich Anfang kommenden Jahres für unabhängig erklären wird, durch eine unverbindlichen Gipfel-Erklärung entschärft werden. Auch Fragen der legalen Einwanderung in die EU und Wirtschaftsfragen stehen auf dem Gipfel-Programm.



"Abenteuer Europa"

Am Tag vor dem üblichen Brüsseler Arbeitstreffen feierten die Staats- und Regierungschef in dem Prachtbau in Lissabon ihren Erfolg und fanden überschwängliche Worte für die Zukunft der EU. "Dieser Vertrag ist eine neue Etappe im Abenteuer Europa", sagte Portugals Regierungschef Jos Scrates, der derzeitige EU-Ratsvorsitzende. Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso sagte: "Aus diesem alten Kontinent wird ein neues Europa geboren." Der deutsche Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU) meinte, die EU gehe aus der schweren Krise "gestärkt hervor".

Merkel betonte: "Dies ist ein wichtiger Tag für Europa." Künftig werde sich die EU einheitlicher darstellen. "Es werden die Voraussetzungen geschaffen, dass der Vertrag überall ratifiziert werden kann", sagte die Kanzlerin. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärte: "Europa wird transparenter, Europa wird demokratischer, und Europa wird effizienter arbeiten können. Das ist es, was dem Bürger in Europa hilft."



Viel Lob für Merkel

Vor der Unterzeichnung im Hieronymus-Kloster, einem der historisch wichtigsten Gebäude Portugals, gab es viel Lob für Merkel. Sie hatte als EU-Ratsvorsitzende im Juni bei einer dramatischen Nachtsitzung genaue Vorgaben für die abschließenden Verhandlungen durchgesetzt und die meisten Streitpunkte ausgeräumt. "Dieser Prozess war nur wegen des Einsatzes von Angela Merkel erfolgreich, die das Mandat erwirkt hat, ohne das alles nicht möglich gewesen wäre", sagte Scrates. Barroso sprach von einem "außergewöhnlichen Beitrag" der Deutschen. Er betonte vor allem die Notwendigkeit von Solidarität in der EU. "Wir wollen ein faires Modell des Gebens und Nehmens sein", sagte er.



Durch die Berliner Erklärung hatte Merkel bei einem Sondergipfel zum 50. Geburtstag der EU im März die 27 Mitgliedstaaten auf eine rasche Verabschiedung des Vertrages eingeschworen. Unter portugiesischer Präsidentschaft waren die mühsamen Verhandlungen mit etlichen Ausnahmeregeln für Großbritannien und Polen im Oktober beendet worden.



Brown unterschreibt als Letzter


Der britische Premierminister Gordon Brown unterzeichnete nachträglich den Vertrag. Er nahm wegen Verpflichtungen im Londoner Parlament an der Zeremonie nicht teil und kam war mehrere Stunden später. Brown unterschrieb das Vertragswerk in einem Kutschenmuseum, in dem Portugals Staatspräsident Anbal Cavaco Silva zu einem Essen geladen hatte. Die heimische Opposition warf ihm "Feigheit" vor. Er wolle offenbar kein Foto von sich in der Presse sehen, auf dem er den in Großbritannien höchst umstrittenen Vertrag unterzeichnet. Brown leistete die Unterschrift dann aber doch vor laufenden Kameras. Britische TV-Sender zeigten die Bilder.

Der "Vertrag von Lissabon" tritt an die Stelle der EU-Verfassung, deren Entwurf 2005 bei Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden gescheitert war. Ab 2009 sollen geänderte Abstimmungsregeln und eine Ausweitung der Themen, die mit Mehrheit beschlossen werden können, politische Entscheidungen in der EU beschleunigen. Ein auf zweieinhalb Jahre gewählter Ratspräsident soll künftig mehr Kontinuität in die EU-Politik bringen. Ein hoher Repräsentant für die Außenpolitik mit einem eigenen auswärtigen Dienst soll der EU mehr Gewicht in der Welt verschaffen. Das Europäische Parlament kann künftig bei fast allen Gesetzen mitentscheiden, und auch die Rechte der nationalen Parlamente gegenüber Brüssel werden gestärkt. Im Jahr 2014 soll außerdem die EU-Kommission verkleinert werden.

Quelle: ntv.de

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