"Nichts auf der Pfanne" Neue Brisanz im Fall Kurnaz
01.03.2007, 10:57 UhrDer Fall des Ex-Guantnamo-Häftlings Murat Kurnaz hat durch fehlende Akten im Untersuchungsausschuss sowie eine Äußerung von US-Seite zu Bemühungen um seine Freilassung neue Brisanz bekommen. Der ehemalige US-Chefunterhändler für die Entlassung von Guantnamo-Gefangenen, Pierre Prosper, widersprach Darstellungen des Auswärtigen Amtes (AA) in Berlin, Washington habe Kurnaz aus Sicherheitsgründen in dem US-Lager festhalten wollen. Die US-Regierung habe den aus Bremen stammenden Türken ganz im Gegenteil während seiner viereinhalbjährigen Haft immer freilassen wollen, sagte Prosper im ARD-Magazin "Monitor". AA-Sprecher Martin Jäger sagte dagegen am Donnerstag, wäre das der Fall gewesen, sei nicht ersichtlich, was die USA an der Entlassung hätte hindern können.
Unterdessen kam es zu einem Eklat im BND-Untersuchungsausschuss. Die mit Spannung erwartete Vernehmung von Spitzen der Geheimdienste platzte, weil wichtige Akten des Bremer Verfassungsschutzes fehlten. Der Ausschuss beschloss deshalb einstimmig, dass der frühere sowie der heutige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), August Hanning und Ernst Uhrlau, erst am 8. März gehört werden. Die für diesen Tag geplante Vernehmung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wurde auf den 22. März verschoben. Die Opposition bezeichnete das Fehlen der Akten als skandalös, die Verschiebung der Vernehmung aber als "Sieg der Vernunft".
"Deutschland hat nie Interesse bekundet"
Prosper sagte, von dem Freilassungswillen der USA hätten sowohl Deutschland als auch die Türkei gewusst. Kurnaz sei von der US-Regierung auch deshalb zur Ausreise bestimmt gewesen, weil es sich bei ihm nicht um einen Fall von erhöhtem Sicherheitsrisiko gehandelt habe. Nur Gefangene dieser Kategorie sollten in Guantnamo auf Kuba festgehalten werden. "Während meiner gesamten Amtszeit hat Deutschland mir gegenüber niemals ein Interesse bekundet, und ich war die Person, die innerhalb der US-Regierung dafür zuständig war."
Der Diplomat war von der Bush-Regierung von 2002 bis 2005 damit beauftragt, mit den Herkunftsländern der Guantnamo-Gefangenen über deren Rückführung zu verhandeln. Für die Bundesregierung war allerdings nicht Deutschland, sondern die Türkei das Herkunftsland von Kurnaz, der in Bremen geboren und aufgewachsen ist, aber die türkische Staatsbürgerschaft hat. Die SPD beharrt darauf, dass die USA Kurnaz nicht freilassen wollten und verweist auf seine Einstufung in Guantnamo als "feindlicher Kämpfer" im Jahr 2003. Zudem sagte Jäger, die Bundesregierung habe sich wiederholt beim US-Außen-, Verteidigungs- sowie Justizministerium für Kurnaz eingesetzt. "Fünf türkische Häftlinge wurden freigelassen - warum nicht Herr Kurnaz?"
Der Obmann der Linksfraktion im BND-Untersuchungsausschuss, Wolfgang Neskovic, sagte, sollte der "Monitor"-Bericht stimmen, werde die Verteidigung der Entscheidung der rot-grünen Regierung im Herbst 2002, Kurnaz nicht wieder einreisen zu lassen, zusammenbrechen. SPD-Obmann Thomas Oppermann bekräftigte, Kurnaz sei 2003 in Guantnamo als "feindlicher Kämpfer" eingestuft worden.
Bei den fehlenden Akten aus Bremen geht es um Vermerke vom Februar 2002 zur Einschätzung der Gefährlichkeit von Kurnaz. Sie waren die Grundlage dafür, dass die Geheimdienstchefs Kurnaz am 29. Oktober 2002 als Sicherheitsrisiko einstuften und die rot-grüne Regierung die Wiedereinreise nach Deutschland nach einer Freilassung aus dem US-Gefangenenlager Guantnamo ablehnte. Bei diesen Vermerken soll es sich nach Angaben des Bremer Verfassungsschutzpräsidenten Walter Wilhelm allerdings um Informationen vom "Hörensagen" handeln.
Grüne fordern Wilhelms Rücktritt
Sein früherer Stellvertreter Lothar Jachmann sagte indessen: "Eine bestätigte Information, dass Kurnaz gezielt nach Pakistan aufgebrochen ist, um Al-Kaida-Verbindungen aufzunehmen oder gar direkt in den Kampf zu ziehen, so etwas gab es nicht." Im ARD-Magazin "Monitor" erklärte er: "Wir hatten alle nichts auf der Pfanne, weder die Amerikaner, noch der BND, noch der Verfassungsschutz." Die Bremer Grünen forderten den sofortigen Rücktritt von Verfassungsschutzchef Wilhelm und eine unabhängige Ermittlung zu den Vorgängen.
Quelle: ntv.de