Linken-Parteitag in Göttingen Neue Köpfe, alter Stunk
03.06.2012, 10:57 Uhr
Plakate lassen sich leicht bedrucken.
(Foto: Müter / n-tv.de)
Der Showdown der Linken ist gelaufen. Es hat kräftig gedonnert und geblitzt, massiv rumort und gewackelt. Zwei alte Haudegen haben sich laut angegiftet. Aber hat es auch reinigend geregnet? Die Wahl der Führung offenbart den alten Zoff um die Nähe zur SPD. Die Partei ist noch lange nicht gerettet.
Eine Frau, ein Mann. Ein Wessi, ein Ossi. Formal ist alles in Ordnung bei der Linkspartei. Beim Parteitag in Göttingen haben die Delegierten eine Führungsentscheidung getroffen. Endlich, meinen viele Anhänger. Zuletzt war Amtsinhaber Klaus Ernst deftig angeschlagen, die Partei geriet ins Trudeln, flog aus zwei West-Parlamenten. Katja Kipping und Bernd Riexinger sind die Neuen. Aber sind sie auch die, auf die nun fleißig eingedroschen werden kann? Die nächsten Opfer des fiesen Grabenkampfes zwischen West-Fundamentalisten und Ost-Pragmatikern? "Unsere Partei ist nicht mehr links, sondern linkisch", sagte eine Delegierte. Ob die Bundestagsabgeordnete und der Gewerkschafter aus Baden-Württemberg das ändern können?
Keine Frage: Das wird ein Knochenjob. Es steht – wieder mal oder immer noch - Versöhnungsarbeit an. Die harten Fakten des Parteitages beweisen das. Dietmar Bartsch kassierte nach einem flammenden Plädoyer für die Beteiligung an Koalitionen mit SPD und Grünen 45 Prozent der Stimmen. Der bundesweit eher unbekannte Riexinger, entsprungen aus der ideologischen Schmiede eines Oskar Lafontaines und auf Straßenprotest geeicht, bekam 53 Prozent. Ganz grob gerundet: Hälfte-Hälfte. Die Linke ist weiterhin tief gespalten, was ihr Auftreten in der parlamentarischen Demokratie angeht.
Das beweist auch die bemerkenswerte Redeschlacht, die sich die beiden Gründerväter Lafontaine und Gregor Gysi lieferten. Für einen Parteitag, der im Normalfall einer friedlichen Regie folgt, ein wirklich seltenes Ereignis. Die beiden mieden sich schon im Vorfeld. Kam der eine, ging der andere. Gysi platzte schließlich der Kragen. "Ich bin es leid", entfuhr es ihm. Und er meinte damit den "Hass in der Fraktion" und die "Arroganz gegenüber den Ost-Verbänden". Lafontaine keilte zurück. Er sah seinen Mann im Vorsitz, Ernst, seit Monaten aus dem Osten zusammengedroschen. Das sei alles so nicht richtig, brüllte der Saarländer. Die Vernunftkoalition der alten Männer ist zerbrochen. Gysi drohte sogar mit einer "fairen Trennung". Frieden, Eintracht, soziales Verhalten, Solidarität? Totale Fehlanzeige.
Routine finden
Kipping und Riexinger bleibt jetzt nur die Gebetsmühle. Sie werden in jedes Mikrofon, bei Will und Jauch vom Ende der Flügelkämpfe sprechen. Und, so ganz nebenbei, die Programmatik verbreiten müssen: gegen Hartz IV und Armut sein, gegen entfesselte Märkte, gegen prekäre Beschäftigung und für einen Mindestlohn. Daran hat sich nicht viel geändert.
Immerhin: Es gab zahlreiche Appelle, sich nun endlich geeint zu zeigen und den Kleinkrieg einzustellen. Viel zu wichtig sei ein arbeitsfähiges sozialistisches Projekt, beschworen sich die Delegierten. Der Durchmarsch des Genossen François Hollande in Frankreich beweise das. Auch inhaltlich kam es während des Treffens kaum zu Verwerfungen. Das Programm der Linken wurde vor Monaten mit 95 Prozent Zustimmung angenommen. Das könnte als Arbeitsgrundlage eigentlich reichen. Doch der Teufel steckt eben im Detail. In diesem Fall: in unausgesprochenen Vorbehalten, in Eitelkeiten und dogmatischem Denken.
Die Partei wird das klären müssen. Nicht nur, weil die Bundestagswahl langsam näher rückt und die Umfragen für die Linke zurzeit nichts Gutes verheißen. Sondern auch, weil der bei der Vereinigung der Partei festgeschriebene Proporz von West- und Ost-Delegierten in zwei Jahren beendet ist. Konkret: Dann sind bei Parteitagen die West-Verbände nicht mehr begünstigt und die Ost-Delegierten liegen klar in Führung. Spätestens dann könnte die Partei endgültig auseinanderfliegen.
Quelle: ntv.de