Missbrauchs-Skandal Nonne gerät unter Verdacht
07.03.2010, 21:21 Uhr
Das Grundstück der Hedwigschwestern in Berlin.
(Foto: dpa)
"Man hört immer nur von den Priestern, dabei waren's doch die Nonnen genauso", sagt eine ehemalige Bewohnerin eines Berliner Kinderheims zum Missbrauchs-Skandal in der katholischen Kirche. Über Jahre sei sie missbraucht worden. Unterdessen fordert die Bewegung "Wir sind Kirche" ein klares Wort von Papst Benedikt.

Vorfälle wie im bayerischen Kloster Ettal wurden auch aus etlichen anderen Bistümern bekannt.
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Im Skandal um den sexuellen Missbrauch von Kindern in katholischen Einrichtungen gibt es jetzt auch Vorwürfe gegen ein Kinderheim der Berliner Hedwigschwestern. Im ZDF berichtete eine ehemalige Bewohnerin, dass sie in den 50er und 60er Jahren von einer Nonne über Jahre hinweg missbraucht wurde. Das heute 60-jährige Opfer spricht von ständigen Berührungen im Intimbereich; sie sollen begonnen haben, als sie gerade einmal acht Jahre alt war. "Man hört immer nur von den Priestern, dabei waren's doch die Nonnen genauso."
Die Vorwürfe richten sich gegen eine heute 79 Jahre alte Berlinerin. Man habe Kontakt zur früheren Nonne aufgenommen, die schon 1986 aus dem Orden ausgetreten sei, sagte Thomas Gleißner, der von den Hedwigschwestern als Pressesprecher eingesetzt wurde. Die Ordensgemeinschaft sagte die Aufklärung der Vorfälle zu. "Wir sind tief betroffen über die Vorwürfe und werden alles daran setzen, diese rückhaltlos aufzuklären", betonte Generaloberin Schwester Vincentia. Zudem erklärte sie sich zu einem Gespräch mit der Betroffenen bereit. Das Kinderheim der Hedwigschwestern liegt in Berlin-Zehlendorf in direkter Nachbarschaft zum Mutterhaus "Sancta Maria". Noch heute ist dort Platz für bis zu 80 Jungen und Mädchen.
Unterdessen fordert die Reformbewegung "Wir sind Kirche" den Papst auf, zu den Enthüllungen Stellung zu nehmen. "Denn Joseph Ratzingers Amtszeit als Münchner Erzbischof von 1977 bis 1982 gehört genau zu den Jahren, um die es bei den Missbrauchsfällen geht", sagte "Wir sind Kirche"-Sprecher Christian Weisner. Es dränge sich die Frage auf, ob er damals Kenntnis von solchen Übergriffen gehabt habe - und falls ja, wie er damit umgegangen sei.
Vatikan-Notiz: Gerechtigkeit für die Opfer
Bisher nur soviel: Der Vatikan wolle Klarheit und Gerechtigkeit für Missbrauchsopfer in katholischen Einrichtungen. Das geht aus einer Notiz der vatikanischen Tageszeitung "Osservatore Romano" hervor, die sich auf die Missbrauchsfälle in Deutschland und dabei vor allem auf die betroffenen Regensburger Domspatzen bezieht. Der Heilige Stuhl unterstütze die Diözese in deren Bemühungen, im Sinne der Vorgaben der Deutschen Bischofskonferenz "die schmerzliche Frage entschieden und in offener Weise zu untersuchen", heißt es.

Papst-Bruder Georg Ratzinger leitete von 1964 bis 1994 die Regensburger Domspatzen (Archivbild 2008).
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Hauptziel sei die "Gerechtigkeit für mögliche Opfer". Nach Angaben des kirchlichen Sonderbeauftragten und Trierer Bischofs Stephan Ackermann soll für sie nun eine Hotline eingerichtet werden. Der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper forderte kirchenintern eine "ernsthafte Reinigung". Es sei gut, dass der Papst null Toleranz verlange, meinte er.
Am Freitag waren Details zu den Jahre zurückliegenden Missbrauchsfällen im oberbayerischen Kloster Ettal und bei den Regensburger Domspatzen bekanntgegeben worden. Ähnliche Fälle gab es auch bundesweit in etlichen anderen Bistümern. Das Bistum Hildesheim teilte am Wochenende mit, einen Wolfsburger Pfarrer suspendiert zu haben, weil dieser vor mehr als 30 Jahren einen Jungen missbraucht habe. Das Opfer habe bis vor kurzem aus Scham geschwiegen.
Fragen an Papst-Bruder Georg Ratzinger
Auch der Bruder des Papstes, Georg Ratzinger, müsse sich Fragen zum Missbrauchsskandal gefallen lassen, sagte Weisner. Der Kirchenmusiker Georg Ratzinger hatte die Regensburger Domspatzen von 1964 bis 1994 geleitet. "Ich habe nichts davon gewusst", betonte der Papst-Bruder in einem Interview der römischen Tageszeitung "La Repubblica". Auch der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller erklärte im "Osservatore Romano", dass die "in Erinnerung zurückgerufenen" Missbrauchsfälle seit Ende der 50er Jahre nicht Georg Ratzingers Amtszeit beträfen.
Dennoch stünde er als Zeuge eventuellen Ermittlungen zur Verfügung, sagte Georg Ratzinger. Er bedauerte aber eine gewisse "Feindseligkeit" hinter einigen Behauptungen: "Ich spüre teilweise eine Feindseligkeit der Kirche gegenüber, die bewusste Intention, schlecht über die Kirche zu reden." In Italien hatten die deutschen Missbrauchsfälle schlagartig mehr Aufmerksamkeit erlangt, als bekannt wurde, dass es auch um die Regensburger Domspatzen geht, die vom Papst-Bruder geleitet wurden.

Der Cellerar des bayerischen Klosters Ettal, Pater Johannes Bauer, räumt ein, in den 1980er Jahren Kinder "brutal koerperlich misshandelt" zu haben.
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Der "Bild"-Zeitung sagte Ratzinger: "Bei uns ging es streng zu, aber das war nötig, weil ja Leistung gefordert wurde." Damit stößt er auf Widerspruch: "Warum der Papstbruder Georg Ratzinger, der seit 1964 Domkapellmeister war, davon nichts mitbekommen haben soll, ist mir unerklärlich", sagte Regisseur und Komponist Franz Wittenbrink, der im Regensburger Internat der Domspatzen bis 1967 lebte, dem Magazin "Der Spiegel". Er sprach von einem "ausgeklügelten System sadistischer Strafen verbunden mit sexueller Lust". Der damalige Internatsdirektor habe sich "abends im Schlafsaal zwei, drei von uns Jungs ausgesucht, die er in seine Wohnung mitnahm". Dort habe es Rotwein gegeben, der Priester habe mit Minderjährigen masturbiert.
Sichtbares Zeichen der Reue verlangt
Indes pocht die heutige Leitung der Domspatzen darauf, dass der Geist des Hauses nichts mehr mit den früheren Vorkommnissen zu tun habe. "Vorfälle von vor 50 oder 60 Jahren spiegeln nicht die aktuelle Lebenswirklichkeit der Domspatzen wieder", sagte Internatsdirektor Rainer Schinko einer Mitteilung zufolge. Darin heißt es über den schon seit längerem geplanten Tag der offenen Tür am Wochenende: "Die Eltern zeigten (...) keinerlei Irritationen."
"Wir sind Kirche"-Sprecher Weisner verlangt von den Bischöfen ein sichtbares Zeichen der Reue. "Eine auf einer Pressekonferenz abgelesene Entschuldigung reicht nicht aus." Stattdessen solle die Deutsche Bischofskonferenz etwa eine gut dotierte Stiftung zur Vorbeugung gegen sexuellen Missbrauch gründen, sagte Weisner.

An der Odenwaldschule in Hessen wird befürchtet, dass noch längst nicht alles ans Tageslicht gekommen ist.
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Einen Runden Tisch aller Betroffenen hält dagegen der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Max Stadler (FDP), für dringender denn je. Wenn sich alle Beteiligten darauf verständigten, dann könne auch über Entschädigungen bereits verjährter Fälle geredet werden, sagte Stadler.
Private Vorzeigeschule
Auch außerhalb der katholischen Kirche wurden Missbrauchsfälle bekannt - an der renommierten privaten Odenwaldschule im hessischen Heppenheim. Betroffene berichteten, sie seien in der Zeit von 1970 bis 1985 von Lehrern als "sexuelle Dienstleister" fürs Wochenende eingeteilt worden. "Wir haben die große Befürchtung, dass es tatsächlich mehr sind als die Namen, die wir bis jetzt kennen", sagte Schulleiterin, Margarita Kaufmann. Am Montag würden Briefe an alle Altschüler versandt, die zur fraglichen Zeit an der Schule waren.
Bundesbildungsministerin Annette Schavan sucht nun nach konkreten Möglichkeiten, um dem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen vorzubeugen. Die CDU-Politerkin sagte "Bild am Sonntag": "Ich werde in den nächsten Tagen mit dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz und den Vorsitzenden der Lehrerverbände darüber beraten, welche konkreten Maßnahmen wir ergreifen, um weiteren Fällen von Missbrauch vorzubeugen, Opfern zu helfen und damit Vertrauen auch bei Eltern wiederherzustellen."
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende forderte von den betroffenen Bildungseinrichtungen vollständige Aufklärung: "Wo immer in Schulen und Internaten der Verdacht besteht, dass Missbrauch und Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen vorliegen, muss es null Toleranz geben und vollständige Aufklärung erfolgen. Nichts darf verheimlicht werden."
Gewalt und Missbrauch gegenüber Schülern sei der schwerste Vertrauensbruch, der vorstellbar ist. "Eltern müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Kinder vor Gewalt und Missbrauch in pädagogischen Einrichtungen geschützt sind."
Quelle: ntv.de, dpa